Gesundheitspolitische Veranstaltung der B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg

„Von neun Einsätzen war nur einer ein wirklicher Notfall!“

Praktiker diskutierten in Stuttgart „Quo vadis Notfallversorgung – Baden-Württemberg setzt Akzente“

Die Notfallversorgung ist derzeit in Bundes- und Landespolitik ein viel diskutiertes Thema. Auch im jüngsten Referentenentwurf für ein „Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung“ von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spielt sie eine große Rolle. „In der Notfallversorgung bündeln sich zentrale Probleme unseres Gesundheitssystems“, betonte Dr. Christian Korbanka von der B 52-Verbändekooperation Baden-Württemberg. Deshalb hat die Kooperation aus dem BKK Landesverband Süd, der IKK classic, der KNAPPSCHAFT und dem Verband der Ersatzkassen (vdek) Landesvertretung Baden-Württemberg Praktiker aus den verschiedenen Sektoren an einen Tisch gebracht, um Lösungsansätze aufzuzeigen und zu diskutieren.

Baden-Württemberg sei mit seiner Notdienstreform schon einen großen Schritt in die richtige Richtung gegangen, sagte Jacqueline Kühne von der B 52-Verbändekooperation bei der Veranstaltung „Quo vadis Notfallversorgung – Baden-Württemberg setzt Akzente“ am Dienstag Vormittag im Stuttgarter Hospitalhof vor rund 150 Teilnehmern. Wo dennoch noch großer Handlungsbedarf besteht, zeigten die Praktiker Dr. Lisa Federle, Leitende Notärztin aus Tübingen, Prof. Dr. Oliver Hautmann, Ärztlicher Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Notfallmedizin des RKH Klinikums Ludwigsburg, und Dr. Doris Reinhardt, Leiterin der Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg in Offenburg, bei ihrem Blick in den Versorgungsalltag. Bei neun Einsätzen in ihrer letzten Schicht habe nur einer tatsächlich eine Notarztindikation gehabt, berichtete Federle, und führte dies auf komplexe Veränderungen zurück, die sich aus Hausarztmangel, unzureichende ärztliche Versorgung in Altenheimen, Fehleinschätzungen der Patienten ihrer eigenen Situation durch Konsultation von „Dr. Google“ und mangelndes Wissen über bewährte Hausmittel, Anspruchshaltung sowie Sprachproblemen zusammensetzen. Auch Prof. Oliver Hautmann berichtete von ständig steigenden Patientenzahlen in der Notaufnahme, von denen ein Großteil dort gar nicht hingehöre, oft aber sogar von niedergelassenen Kollegen eingewiesen worden sei.

Dr. Doris Reinhardt schilderte mit der Organisation der Notfallpraxis in Offenburg einen möglichen Lösungsansatz. Durch die klare Struktur – Notdienstpraxis an der Klinik – wüssten die Patienten, wo sie hin müssten. Der ärztliche Fahrdienst suche zusätzlich Patienten in der Nacht zu Hause auf und versorge sie vor Ort. Als weitere Perspektiven nannte Reinhardt die Ausweitung des Baden-Württemberger Pilotprojekts DocDirekt, den Ausbau von Portalpraxen an Kliniken und eine weiter gehende Kooperation zwischen den Sektoren. „Eine gute Notfallversorgung braucht eine gute Regelversorgung“, betonte Reinhardt.

Auch beim Rettungsdienst identifizierte Prof. Hermann Schröder, Leiter der Abteilung Rettungsdienst im Innenministerium Baden-Württemberg, Verbesserungspotenzial, angefangen von der Strukturierung der Leitstellen bis hin zur Ausstattung der Notfallsanitäter mit mehr medizinischen Kompetenzen. Grundlage im Optimierungsprozess müsse jedoch immer der Qualitätsaspekt sein. Hier ist das Land in der besonderen Lage, durch die bundesweit einmalige Stelle für trägerübergreifende Qualitätssicherung im Rettungsdienst Baden-Württemberg (SQR BW) über Erkenntnisse und Daten zu verfügen, die es nun zu nutzen gelte, forderte Schröder. Auch solle die Stelle personell aufgestockt werden und die Prozesse nach Ankunft im Krankenhaus mit in die Betrachtung einbeziehen, so Schröder weiter.

Auf das Grundproblem der Finanzierung der Notfallversorgung ging Dr. Christopher Niehues von der Fachhochschule Münster ein. Eine fallorientierte Vergütung, wie sie im Gesundheitswesen vorherrsche, widerspreche der Notfallversorgung als Daseinsvorsorge mit immensen Vorhaltekosten von Personal und Geräten. Hier seien nicht nur die Länder, sondern auch der Bund gefragt, sagte Niehues. Darüber hinaus setze eine Vergütung, die nur zwischen einem einfachen ambulanten Fall und einem komplexen stationären Fall unterscheide, Fehlanreize. „Was ist mit einem komplexen ambulanten Fall?“ – Hier fehle eine angemessene Vergütung, sodass der Patient im Zweifelsfall eben stationär im Krankenhaus lande.

Die Möglichkeiten der Digitalisierung und Telemedizin wurden bei der anschließenden Podiumsdiskussion erläutert. Insbesondere Projekte wie DocDirekt hätten das Potenzial, Patienten abzufangen, die sonst in die Notaufnahme kommen würden, sagte Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, Geschäftsführender Ärztlicher Direktor des Robert-Bosch-Krankenhauses Stuttgart. Biggi Bender von der B 52-Verbändekooperation appellierte in diesem Zusammenhang an den Bundesgesetzgeber, das elektronische Rezept zuzulassen, um die telemedizinische Versorgung umfassender zu machen. Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, setzte bei der Verbesserung der Prozesse insbesondere auf die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte.

Einig waren sich alle Diskutanten unter der Moderation von Dr. Florian Staeck von der Ärzte Zeitung, dass die flächendeckende Einrichtung von integrierten Notfallzentren notwendig sei, gleichzeitig aber auch in die Gesundheitsbildung der Bevölkerung investiert werden müsse. Im Anschluss an die Veranstaltung wurde Hugo Schüle, langjähriger Repräsentant der B 52-Verbändekooperation, feierlich aus seinem Ehrenamt verabschiedet.

Kontakt

Frank Winkler
Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek)
Landesvertretung Baden-Württemberg

Tel.: 07 11 / 2 39 54 - 19
E-Mail: frank.winkler@vdek.com