Interview mit Diplom-Pflegewirtin Susanne Froese

„Der Hausbesuch bleibt Goldstandard“

Susanne Froese

Susanne Froese ist Diplom-Pflegewirtin und Bereichsleitung des Geschäftsbereichs Pflegeversicherung des MD Bremen. In diesem Interview haben wir sie zur Arbeit des MD während der Pandemie und zur aktuellen Situation vor Ort gefragt.

Frau Froese, bei den Qualitätsprüfungen im pflegerischen Bereich besteht die Arbeit des Medizinischen Dienstes aus der Einschätzung der Situation vor Ort in den Einrichtungen, aus dem Gespräch mit den Pflegebedürftigen und den Pflegekräften. Das war seit etwa einem Jahr nicht mehr möglich. Jetzt starten die normalen Regelprüfungen wieder. Wie haben Sie den Prüfauftrag auf Distanz umgesetzt und setzen ihn jetzt um, ohne das Personal in den schwierigen Zeiten der Pandemie noch weiter zu belasten?

Die Medizinischen Dienste haben zum Schutze der vulnerablen Gruppe der Bewohner die Qualitätsprüfungen von Pflegeeinrichtungen nach Paragraf 114 des SGB XI erst im März 2020 und dann nach einem kurzen Neustart im Oktober, ab November bis einschließlich März 2021 wieder eingestellt.

Auch wenn die Regelprüfungen ausgesetzt waren, so wurden vermehrt Anlassprüfungen durchgeführt. Die durch das Gesundheitsamt gemeldeten Hinweise oder Beschwerden über eine defizitäre Versorgung von Bewohnern, also einem konkreten Pflegemangel, sind wir mit einer Anlassprüfung sofort nachgegangen. Die Prüfungen erfolgten wie auch jetzt unter den erforderlichen hygienischen Anforderungen.

"Auch Testkonzepte wurden geprüft"

Die Infektionsgefahr ist mit den Impfungen deutlich entspannter geworden. Auch die 7-Tage-Inzidenz ist soweit gesunken, dass wir seit April 2021 wieder Regelprüfungen durchführen.

Die Qualitätsprüfer waren in der Zeit der Pandemie sehr flexibel. Neben den Qualitätsprüfungen wurden die Kolleginnen und Kollegen in der Pflegebegutachtung geschult und eingesetzt. Gegen Ende der zweiten Jahreshälfte wurden uns zusätzlich Aufgaben des Gesundheitsamtes übertragen. So haben die Prüferinnen und Prüfer 514 Testkonzepte von Einrichtungen geprüft und 1170 Personen in die Anwendung eines Corona-Tests eingewiesen.

Die Begutachtung der Pflegbedürftigkeit und Feststellung des Pflegegrades erfolgt auch derzeit telefonisch, was ist der Unterschied und worauf muss geachtet werden?

Die Pflegebegutachtungen ganz auszusetzen, war zu Beginn der Pandemie keine Alternative. Somit musste schnell ein Instrument gefunden werden, was die persönliche Begutachtung ersetzt, damit der Leistungsanspruch auf Pflegeleistungen und -geld gewährleistet war. Mit dem strukturierten Interview erhielten viele Versicherte während der Pandemie schnell und unkompliziert eine Empfehlung zu einem Pflegegrad und den anderen zu beurteilenden Leistungen. Eine Telefonbegutachtung erfolgt dabei kaum anders als ein persönlicher Hausbesuch.

Der Fragenkatalog ist der gleiche, es liegt allerdings nur eine „strukturierte telefonische Informationserhebung“ zugrunde. Die Begutachtung per Telefon oder wie wir es nennen, dass strukturierte Telefoninterview, beruht auf einem langen Telefonat mit dem Versicherten, einer Bevollmächtigten bzw. einem Bevollmächtigtem z.B. dem pflegenden An-/Zugehörigen oder einer Betreuerin bzw. einem Betreuer. In dem Telefonat werden viele Informationen über den Grad der Selbständigkeit, der Fähigkeiten, den Beeinträchtigungen der pflegerischen Versorgung des Versicherten von den Gutachterinnen und Gutachtern erfragt. Diese Angaben und Informationen dienen als Grundlage für die Bewertung und Empfehlungen im Gutachten.

"Begutachtung beginnt am Gartentor"

Es war und ist ein gut erprobtes Instrument und hat alle Beteiligten vor den Gefahren einer Infektion mit möglicherweise schwerem Verlauf durch Kontakt im Haubesuch bewahrt. Dass es eine gute Alternative zum Hausbesuch war, zeigt sich auch im Vergleich der Pflegegradergebnisse 2020 zu den Vorjahren, denn diese haben sich kaum verändert. Letzteres bestätigt auch auf die Professionalität der Gutachterinnen und Gutachter bei der Anwendung des neuen Verfahrens.

Allerdings ist und bleibt der Hausbesuch der „Goldstandard“ in der Begutachtung.
Ich erkläre meinen neuen Gutachterinnen und Gutachtern immer, dass die Begutachtung am Gartentor beginnt. Dies gibt schon einen Anhalt darüber, wie der Pflegebedürftige versorgt wird. Spätestens beim Öffnen der Tür werden alle Sinne der Gutachterin oder des Gutachters aktiviert, dieses fehlt uns leider im Telefonat. So können wir bei der individuellen Inaugenscheinnahme und der Beratung im Hausbesuch zu möglicherweise erforderlichen Hilfsmittelversorgung der Wohnumfeld Anpassungen nur eingeschränkt Empfehlungen im Telefonat abgeben. Mit ihrer Erfahrung können die Gutachterinnen und Gutachter diese fehlenden Sinne zwar weitestgehend kompensieren, aber ob wirklich alles wahrheitsgemäß erzählt wird, kann nicht nachgeprüft werden. Ein Blick in den Kühlschrank, das Lüften der Bettdecke oder auch der etwas stechende Geruch bei einer Harninkontinenz sind Hinweise, die im Hausbesuch erfasst werden können. Im Hausbesuch kann feinfühlig danach gefragt werden, im Telefonat nimmt man dies aber als Gutachterin oder Gutachter leider nicht wahr. Wenn es dann bei Nachfragen zum Beispiel zur Inkontinenz im Telefonat nicht wahrheitsgemäß angegeben wird, kann es nicht berücksichtigt werden.

"Langsam wieder Normalität in Pflegeheimen"

Inzwischen sind die Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen im Land Bremen gegen Covid 19 geimpft. Ist die Situation dort fühlbar entspannter geworden?

Die Pflegeeinrichtungen freuen sich über die langsam wiedereinsetzende Normalität, dies ist in den Regelprüfungen spürbar. Seitdem wir wieder Regelprüfungen durchführen, werden wir freudig empfangen und für die Bewohner und Bewohnerinnen ist es eine Abwechslung, wenn sie in die Prüfung involviert werden.

Ebenfalls wird bei den Begutachtungen des Pflegegrades inzwischen häufiger ein Hausbesuch gewünscht. Die Versicherten, die weiteren Anwesenden und die Gutachterinnen und Gutachter sind zum größtenteils schon zweifach geimpft und bei Einhaltung der Hygieneanforderungen ist es auch für die Gutachter trotz Maske eine Rückkehr in den normalen Alltag. Seit Beginn der Pandemie und des Aussetzens der Qualitätsprüfungen und der Hausbesuche arbeiten die Gutachterinnen und Gutachter im Homeoffice.

Mit dem MDK-Reformgesetz ändert sich zukünftig die Zusammensetzung des MD-Verwaltungsrats. Vertreter der Patienten, der Pflegebedürftigen, Verbraucher, Pflegeberufe und Ärzteschaft werden dort vertreten sein. Welche Schnittstellen und Kommunikationswege gibt es zwischen Ihnen im operativen Geschäft und dem Verwaltungsrat? Sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zufriedenstellend?

Dass der Verwaltungsrat nach dem Inkrafttreten des Reformgesetzes Vertreter der Patienten, der Pflegebedürftigen und der Verbraucher sowie der Pflegeberufe hat, empfinden wir durchweg positiv und als eine Bereicherung.

Wenn Sie einen Wunsch an den neuen MD-Verwaltungsrat hätten, wie lautet dieser?

Ich würde mir wünschen, dass die Mitglieder unseres Verwaltungsrates unsere Gutachterinnen und Gutachter bei der Einzelfallbegutachtung oder auch bei einer Qualitätsprüfung begleiten würden, damit sie einen Einblick in unsere Arbeit erhalten.