Interview mit Arne Trumann, Regionalsprecher Nord der Deutschen Sepsis-Hilfe e.V.

"Mein Körper musste Federn lassen"

Arne Trumann, 2. stellvertretender Vorsitzender der Sepsis-Hilfe

Arne Trumann ist Regionalsprecher Nord der Deutschen Sepsis-Hilfe e.V. und damit auch für das Bundesland Bremen zuständig. Außerdem ist er 2. stellv. Vorsitzender der Patientenorganisation auf Bundesebene.

Der heute 53-jährige Familienvater und leidenschaftliche Klavierspieler hat im Alter von 44 Jahren infolge einer Sepsis sieben Fingerkuppen verloren. Die Sepsis war nicht rechtzeitig erkannt worden.

vdek: Sie haben selbst erlebt, wie schnell eine Sepsis entsteht und welche verheerenden Folgen das haben kann?

Arne Trumann: Ja, vor ziemlich genau neun Jahren ist die Sepsis bei mir ausgebrochen. Ich hatte mir ein paar Tage zuvor eine leichte Rachenentzündung eingefangen, eigentlich ein harmloser Infekt. Ich war auch schon wieder bei der Arbeit gewesen. Abends mir ging es plötzlich innerhalb kurzer Zeit so elend, dass meine Frau den ärztlichen Notdienst gerufen hat. Leider hat der Arzt nicht erkannt, was mit mir los war.

vdek: Wie kann das sein?

Arne Trumann: Das ist eine gute Frage. In der Annahme, dass es sich um einen grippalen Infekt handelte, hatte der Arzt aus dem Fokus verloren, dass es auch etwas anderes sein könnte. Er hat auch keine ordentliche Untersuchung gemacht, wie man sie eigentlich immer machen sollte. So riet er mir nur dazu, mich ein wenig auszuruhen.

vdek: Was wäre geschehen, wenn Sie diesem Rat gefolgt wären?

Arne Trumann: Sehr wahrscheinlich würde ich dann heute nicht mehr leben. Nur eine gute halbe Stunde nach dem ärztlichen Notdienst haben wir doch noch einen Rettungswagen gerufen, der Notarzt an Bord, ein Intensivmediziner, erkannte sofort einen septischen Schock und vermutete bereits multiples Organversagen. Dann ging es ins Klinikum Bremen-Mitte, und keine zwei Stunden später lag ich im künstlichen Koma.

vdek: Wie ging es weiter?

Arne Trumann: Ich lag vier Wochen im Koma, während die Ärzte um mein Leben gekämpft haben. Aber sieben Fingerkuppen mussten in Folge der Sepsis amputiert werden, und ich brauchte acht Monate, bis ich wieder einigermaßen arbeiten konnte. Dabei hatte ich noch Glück und habe keine kognitiven Schäden davongetragen. Aber bis heute merke ich, dass mein Körper „Federn lassen“ musste.

vdek: Warum ist es so wichtig über Sepsis aufzuklären – in Bremen genauso wie in anderen Bundesländern?

Arne Trumann: Es sollen mit der Kampagne möglichst viele Menschen aller Altersgruppen erreicht werden, auch über das Internet. Es kommt bei dieser Krankheit auf jede Minute an. Um bei einer Sepsis das Ruder herumreißen zu können, muss man sie sehr, sehr frühzeitig feststellen. In Bremen, genauso wie in anderen Bundesländern, wird Sepsis häufig zu spät erkannt. Viele der mindestens 75.000 Sepsis-Todesfälle im Jahr in Deutschland wären vermeidbar. Genauso die schwerwiegenden Folgen, mit denen Erkrankte ihr Leben lang zu kämpfen haben, etwa mit Gliedmaßen, die verlorengehen. So eine Hand wächst nicht wieder nach, da gibt es kein Zurück.

vdek: Welche Rolle spielt Corona?

Arne Trumann: Inzwischen ist klargeworden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Corona-Toten eine Sepsis erlitten hatte und letztendlich daran verstorben ist. Ältere oder vorerkrankte Menschen etwa, die schon geschwächt waren und bei denen sich dann im Zusammenspiel mit Corona heftige Reaktionen entwickelt haben. Dadurch ist das Thema Sepsis gerade verstärkt ins Bewusstsein geraten, und so schlimm Covid-19 ist, ist das ein positiver Aspekt für alle Menschen.

vdek: Wie kann man sich gegen Sepsis schützen?

Es gibt keinen hundertprozentigen Schutz dagegen, denn die Ursachen sind so vielfältig. Von der kleinen Schürfwunde bis zum Krankenhauskeim kann es jeden jederzeit treffen. Die Sepsis setzt sich auf bestehende Erkrankungen drauf und führt zu Komplikationen, die kaum gestoppt werden können. Gerade darum ist es so wichtig, dass alle daran denken: Es könnte eine Sepsis sein!

vdek: Wen wollen Sie mit der Kampagne konkret erreichen?

Arne Trumann: So viele Menschen wie möglich sollten künftig die Anzeichen für Sepsis „auf dem Zettel“ haben – Ärzte, Pflegekräfte, größere Teile der Bevölkerung. Die Informationen sollten so breit wie möglich gestreut werden, etwa auch in den Betrieben, die das Thema aufgreifen könnten, oder in Erste-Hilfe-Kursen. Dann könnte Patienten und ihren Familien viel Leid erspart bleiben.