Blutvergiftung nach Wundrose am Ohr

Schnelle Reaktion kann Schlimmeres verhindern

Mann im Porträt, schwarz-weiß

Wolfgang Steinkamp

Wolfgang Steinkamp ist 57 Jahre alt, lebt in der Nähe von Bremen und arbeitet als Sozialpädagoge. Zuvor hat er als examinierter Krankenpfleger lange in verschiedenen Kliniken gearbeitet, hauptsächlich im Bereich der neurologischen Intensivmedizin in der Universitätsklinik in Göttingen. Vor etwa drei Jahren bekam er durch eine kleine Hautverletzung eine Sepsis.

vdek: Wie haben Sie die Sepsis bemerkt?

Wolfgang Steinkamp: Vor etwa drei Jahren war ich zuhause, als ich ein starkes Krankheitsgefühl entwickelte. Ich dachte, jetzt hat dich doch eine Influenza erwischt, das kann ja heiter werden. Ich ruhte mich aus, aber es wurde nicht besser. Dabei habe ich eigentlich ein ganz gut funktionierendes Immunsystem, bis dahin kannte ich solche gravierenden Verläufe nicht. Dann habe ich hinter meinem Ohr eine Verdickung ertastet und wunderte mich, ob mich da etwas gestochen hat und ich eine anaphylaktische Reaktion auf einen Mückenstich haben könnte? Ich konnte das nicht so richtig einordnen. Als dieser Knubbel nicht kleiner und auch das Krankheitsgeschehen nicht besser wurde, bin ich dann hochfiebernd in eine nahegelegene Hausarztpraxis gegangen. Die Ärztin empfahl mir dringend eine Krankenhauseinweisung, sie würde mich auch gar nicht mehr nach Hause gehen lassen. Ich war ehrlich gesagt ein wenig schockiert, ich hatte ja nichts bei mir, kein Handy, keine Zahnbürste. Aber sie hat sofort den Rettungswagen gerufen und mich schon vor Ort mit einem venösen Zugang versorgt und die Vitalzeichen gemessen. Der Rettungswagen hat mich von der Praxis aus direkt ins St. Joseph Stift gefahren.

vdek: Wie bewerten Sie die Reaktion der Hausärztin, und wie erging es Ihnen danach?

Wolfgang Steinkamp: Die Hausärztin hat Fieber gemessen, aber das hinter dem Ohr konnte sie, glaube ich, auch nicht richtig einordnen. Aber sie hat gesehen, dass es mir überhaupt nicht gut ging. Als ich vorschlug, sie könne mir ja ein orales Antibiotikum geben, sagte sie, das geht ja nicht so schnell ins Blut, das Krankheitsgeschehen ist zu gravierend. Sie hatte wohl schon etwas anderes vermutet. Als ich mit dem Rettungswagen ins Joseph Stift kam, musste ich eine ganze Weile in der Notaufnahme warten. Nachdem die Assistenzärztin nicht richtig zuordnen konnte, was da hinter meinem Ohr vor sich ging, kam der Chefarzt der HNO-Klinik. Der hat dann vermutet, es sei ein Erysipel. Das ist eine Wundrose, eine Hautveränderung, die offenbar mit einer bakteriellen Infektion zusammenhängt. Es gibt allerdings auch ein äußerlich etwas ähnliches Krankheitsbild, das sich hinter dem Ohr abspielt, eine Mastoiditis. Wenn es das gewesen wäre, hätte man sofort operieren müssen, weil das die Knochenstrukturen angreift und zu schweren Komplikationen führen kann. Diese beiden Formen mussten differentialdiagnostisch unterschieden werden. Der leitende Arzt war aber sehr erfahren und hat das erkannt. Als ich endlich auf die HNO-Station kam, ich dort auch noch die Übergabe im Wartezimmer abwarten musste und mir dann endlich ein Zimmer zugewiesen wurde, ging es mir wirklich schon sehr schlecht. Ich habe mich sofort ins Bett geworfen, weil ich kaum noch stehen konnte.

vdek: Ihr Zustand hat sich also innerhalb von Stunden so sehr verschlechtert?

Wolfgang Steinkamp: Ich hatte ja schon längere Zeit anhaltendes Fieber, bevor ich zum Hausarzt ging, und das ist durch die Aufregung und Belastung beim Arzt, Rettungswagen und Krankenhaus nicht besser geworden. Ich hatte in der Notaufnahme schon relativ vehement eingefordert, dass ich endlich eine Antibiose haben möchte. Die sahen das ein bisschen entspannter, aber ich habe mich sehr schlecht gefühlt. Ich dachte, damit nichts Schlimmeres passiert, brauche ich jetzt sofort ein Breitbandspektrum-Antibiotikum. Erst auf der Station habe ich dann vom Stationsarzt ein Antibiotikum intravenös bekommen, aber das hat zunächst keine Besserung gebracht. Bei der Visite am nächsten Tag ging es mir noch genauso schlecht, die Hautveränderung und das Fieber waren noch da, ich wurde immer kraftloser. Der Arzt hat dann die Gabe eines anderen Antibiotikums angeordnet, und das hat dann erfreulicherweise innerhalb kurzer Zeit  gewirkt. Nach der Gabe des richtigen Antibiotikums habe ich tief geschlafen und schon während der Nacht gemerkt, dass sich das Blatt zum Besseren wendet. Am nächsten Morgen war ich fieberfrei. Ich war zwar total durchgeschwitzt und sah schrecklich aus, aber ich habe mich großartig gefühlt, weil ich gespürt habe, dass ich wieder fieberfrei bin und die Vitalität zurückgekehrt. Ein, zwei Tage später konnte ich dann auch wieder entlassen werden.

vdek: Woher kam dieses Erysipel?

Wolfgang Steinkamp:  Woher es genau kam, kann ich nicht sagen, aber es verschwand mit der Gabe des richtigen Antibiotikums  Ich musste die Stelle hinter dem Ohr noch etwas länger mit einer antiseptischen Creme behandeln. Ich war zu dem Zeitpunkt des Krankheitsgeschehens persönlich einigen Stressoren ausgesetzt, das wird nicht ganz unbedeutend für den Verlauf der Infektion gewesen sein. Es wirkt sich ja schnell aufs Immunsystem aus, ob man gut schläft oder ob man besonderen Belastungen ausgesetzt ist. Dadurch ist man krankheitsanfälliger. Da sehe ich direkte Zusammenhänge. Aber es ist nicht so eindeutig wie zum Beispiel bei einem multiresistenten Keim, wo ich nachvollziehen kann, da hatte ich eine  Diagnostik, dort ist etwas schief gelaufen und ich wurde mit Keimen infiziert und dadurch bin ich krank geworden. Das ist ein ganz anderes Geschehen, viel eindeutiger somatisch. Bei der Sepsis gab es dagegen bei mir  auch erkennbare Komponenten, die mit der aktuellen Lebenssituation zusammenhingen, und die die Anfälligkeit des Körpers beeinflusst haben.


vdek: Eine schnelle Reaktion ist bei Blutvergiftung sehr wichtig. Hat das medizinische Personal Ihrer Meinung nach richtig und schnell genug gehandelt?

Wolfgang Steinkamp: Durch meine Ausbildung habe ich ja eine gewisse medizinische Vorbildung. Die Assistenzärztin in der Notaufnahme wusste die Symptome nicht so richtig einzuordnen. Ich musste ein wenig drängeln, man spürt ja selbst ganz gut, ob man einen grippalen Infekt hat oder ob es darüber hinausgeht. Aber der Chef hatte viel Erfahrung und hat die richtige Diagnose gestellt. Es war zwar gut, dass mir geholfen wurde, aber ich denke, man hätte noch ein bisschen schneller reagieren müssen. Da zählt ja jede Minute. Die Bakterien vermehren sich extrem schnell, und je eher man da eine Antibiose einleitet, desto besser ist das. Da waren sie meiner Meinung nach ein bisschen zu entspannt und hätten mir schon in der Notaufnahme Medikamente geben können. Zumindest hätte mir eine Infusion mit Kochsalz  gegeben werden können, da ich aufgrund des Schwitzens schon etwas dehydriert war und ich nichts trinken sollte wegen der Operation, die eingeleitet worden wäre, wenn es sich um eine Mastoiditis gehandelt hätte. Letztlich kenne ich die Abläufe, sich da in den Mittelpunkt zu drängen ist auch nicht so toll. Aber man ist in so einer Situation ja selbst irgendwie ein bisschen ausgeliefert, das war ein eher erschreckendes Gefühl. Am Schluss war ich ganz froh, dass es so glimpflich abgelaufen ist und dass mir letztendlich gut geholfen wurde. Das Gefühl der Dankbarkeit überwiegt.

vdek: Bemerken Sie heute noch Folgen der Sepsis?

Wolfgang Steinkamp: Von dem Sepsis-Geschehen selber zum Glück nicht.