Interview mit Prof. Dr. Dotzauer

"Das Virus will besser werden"

Mann mit Bart und Brille in gelbem Laborkittel

Professor Dr. Andreas Dotzauer vom Laboratorium für Virusforschung der Universität Bremen ist einer der Experten, der derzeit bundesweit gefragt ist, wenn es um die virologische Einschätzung des Corona-Virus und seiner Entwicklung geht.

Für die vdek-Landesvertretung Bremen ordnet er die Mutationen von Covid-19, der Zusammenhang mit Lockdown-Maßnahmen und den langfristigen Umgang mit diesem Virus ein.

Prof. Dotzauer, mit der Verordnung zur molekulargenetischen Surveillance des Coronavirus will Bundesgesundheitsminister Spahn erreichen, dass die Diagnostiklabore mindestens fünf Prozent der positiven Coronatests sequenzieren, um neue Varianten des Virus zu entdecken. Wird es möglich sein, hier in kurzer Zeit einen Überblick zu bekommen?

Ja, denn das würde bedeuten, dass bei fünf Prozent jede zwanzigste Probe sequenziert wird. Das wäre schon sehr engmaschig. Und auch der Ausbau weiterer Sequenzierungskapazitäten sollte relativ zeitnah möglich sein. Das Virus hat 30.000 Nukleotide – deutlich mehr, als die meisten Viren. Diese auszuwerten ist aufwendig, aber Sequenzierung ist kein Hexenwerk. Dabei macht es Sinn, wenn dies nicht in vielen kleinen Labors in der Fläche gemacht wird, sondern von speziellen Anbietern. Es ist also vorstellbar, dass es in den nächsten Wochen und Monaten gut möglich sein wird, die entsprechende Surveillance, also die Beobachtung der Entwicklung des Virus, auch hier in Deutschland aufzustellen.

Aber auch wenn wir im Moment die Verbreitung der Variante B117 noch nicht über eine engmaschige Sequenzierung nachweisen können, ist doch zu erwarten, dass sich diese Mutation auch schon in Deutschland ausbreitet. Sind Sie daher aktuell für einen schärferen Lockdown?

Ja, die Variante ist da und wir müssen in einen eventuell noch schärferen Lockdown.

Wächterprogramm beobachtet Corona-Entwicklung

Für das Grippevirus gibt es ein internationales Surveillance-System, dessen Erkenntnisse zur Entwicklung des jährlichen Grippeimpfstoffs genutzt werden. Gibt es bereits Aktivitäten, dies auch für das Coronavirus aufzubauen?

Das ist tatsächlich so. So ein Wächterprogramm wird derzeit schon nach Kriterien der WHO durchgeführt. Und es gibt Überlegungen, wie dies in Zukunft weiter gestaltet werden soll. Die eine Frage bei der Überwachung ist, „Wie schnell findet diese Virusevolution statt, wie schnell kommt es zu Veränderungen?“ und „Wo treten sie auf?“. Die Daten müssen weltweit gesammelt werden. Denn es kann überall ein neuer Startpunkt des Virus entstehen. Wichtig ist, dass die Tests schnell durchgeführt werden und die Ergebnisse möglichst schon am Tag nach der Probennahme vorliegen. Die Todesrate und die Schwere der Krankheit werden bereits beobachtet, damit man gegebenenfalls Hinweise bekommt, ob das Virus aggressiver wird. In diesem Zusammenhang ist natürlich auch eine gute Kontaktverfolgung notwendig.

Zu Beginn der Pandemie hieß es, dass das Coronavirus in seiner Entwicklung träger ist, als das Grippevirus. Lässt sich das mit der bisherigen Erfahrung bestätigen?

Das Coronavirus mutiert tatsächlich bei weitem nicht so schnell wie das Influenzavirus. Sein Kopiervorgang zur Vermehrung ist nicht so fehleranfällig, weil hier Reparaturen vorgenommen werden. Dies ist beim Kopiervorgang des Influenzavirus nicht der Fall – hier werden „Tippfehler“ nicht korrigiert. Zusätzlich besteht das Influenzavirus aus mehreren Molekülen und die Mutationsrate ist dadurch erhöht. Der Austausch und die Neukombination von genetischem Material kommen daher beim Coronavirus nicht vor.

Anpassungsdruck durch Lockdown

Warum setzt sich aber plötzlich eine neue Mutationsvariante des Corona-Virus (wie B117) durch, auch wenn es keinen Anpassungsdruck gibt, da sicherlich noch ausreichend „Wirte“ für das Virus vorhanden sind?

Das Virus will in seinem Sinne „besser“ werden. Es möchte möglichst viele Wirte von einer Person ausgehend infizieren, um die kontinuierlich sich vervielfältigende Kette aufrecht zu erhalten. Ein Anpassungsdruck besteht schon. Denn das Virus muss auf andere Wirte gelangen. Und wir hatten ja auch Kontaktbeschränkungsmaßnahmen, die das Virus registriert hat. Der Anpassungsdruck ist also, wegen der Kontaktbeschränkungen schneller zu sein. Dann konzentriert es sich in seiner Weiterentwicklung auf die Situationen, in denen die Beschränkungen nicht eingehalten werden, mit einer Anpassung auf eine besonders schnelle Ansteckung. Daher sind solche Einschränkungsmaßnahmen, wenn sie nicht strikt genug sind, eine Gelegenheit für die schnellere Mutation des Virus, sich besser durchzusetzen. Deshalb bin ich kein Freund des „Lockdown light“ – aus Sicht des Virologen ist dies brandgefährlich.

Wenn wir durch die Impfung eine ausreichende Herdenimmunität erreicht haben, wird sich der Umgang mit dem Coronavirus dann - wie mit dem Grippevirus – auf die Beobachtung und eine jährliche Impfung einspielen, oder unterscheiden sich Grippe- und Coronavirus?

Die Überwachungsmaßnahmen wie beim Grippevirus und das Nachregulieren des Impfstoffs bieten sich auch für das Coronavirus an. Die Überwachung müsste allerdings anders erfolgen, als beim Grippevirus. Da sich das Coronavirus länger im Körper – in den unterschiedlichen Geweben – aufhält, als das Grippevirus. Dieses infiziert den Körper und die Krankheit ist etwa nach sechs Tagen überstanden. Das sieht beim Coronavirus anders aus. Der Krankheitsverlauf ist viel länger und bei etwa jedem zwanzigsten Patienten hält sich das Virus viel länger oder reaktiviert später wieder. Das kann durchaus dazu führen, dass die Tests negativ sind, das Virus sich aber noch im Körper befindet und zu einem späteren Zeitpunkt wieder anfängt sich auszubreiten. Diese Gefahr haben wir bei der Grippe nicht. Deshalb ist hier ist die Beobachtung über die nächsten Jahre sehr wichtig. Dieses Virus wird bleiben und es hat das Potential sich exponentiell weltweit auszubreiten.

Können wir beim Coronavirus denn dahin kommen, dass wir es, so wie zum Beispiel das Poliovirus, in den Griff bekommen?

Dass das Coronavirus eher träge ist, könnte natürlich helfen. Die Voraussetzung ist aber, nur noch sehr wenige Infektionen zu haben, da diese zu aggressiveren Varianten führen. Wenn durch die Impfmaßnahmen die Infektionen stark reduziert werden, könnte es sein, dass dieses Virus relativ stabil bleibt. Verschwinden wird das Virus nicht, aber es wird möglicher Weise in den Griff zu bekommen sein.