Interview mit neuer Netzwerkkoordinatorin Dr. Rieke Schnakenberg

Bessere Vernetzung hilft dem Patient:innenwillen

Junge Frau mit Brille vor grüner Natur

Dr. Rieke Schnakenberg ist seit dem 1. April 2023 die erste Netzwerkkoordinatorin* beim Hospiz- und Palliativ-Verband Bremen. Die studierte Gesundheitswissenschaftlerin hat über den Patientenwillen und die Versorgung am Lebensende promoviert. 2021 ging sie zum Hospiz- und Palliativverband Niedersachsen, um ein Projekt zur gesundheitlichen Versorgungsplanung in der letzten Lebensphase zu koordinieren.

Sie sind seit dem 1. April 2023 Netzwerkkoordinatorin. Was genau ist Ihr Job in Bremen?

Beim Hospiz- und Palliativverband Bremen arbeite ich an zwei Teilprojekten. Einmal übernehme ich die Netzwerkkoordination innerhalb der Stadt Bremen für alle hospizlich-palliativen Akteur:innen hier, und zum zweiten mache ich die überregionale Netzwerkkoordination für Niedersachsen und Bremen. Hier unterstütze ich u.a. Akteur:innen in den Kommunen dabei, Anträge auf Netzwerkkoordinationsstellen nach § 39d zu stellen.

Was ist der Sinn der Netzwerkkoordination?

Das übergeordnete Ziel ist die Verbesserung der hospizlich-palliativen Versorgung, indem Schnittstellenprobleme minimiert werden und die Kooperation und der Austausch der einzelnen Akteur:innen untereinander verbessert wird. Außerdem sollen die Bedarfe in Bezug auf Fort- und Weiterbildung der einzelnen Akteur:innen gesammelt und bedient werden. Zudem soll mit einer besseren Öffentlichkeitsarbeit aufgeklärt werden, welche Versorgungsangebote es in der Stadt Bremen gibt und wie die Zugänge dazu sind. Also diese drei Standbeine: Vernetzung, Fort- und Weiterbildung und Öffentlichkeitsarbeit.

Sind die Akteur:innen in der kleinen Stadt Bremen nicht ohnehin schon gut vernetzt? Die Zahl der ambulanten und stationären Hospizdienstleister sind ja eher überschaubar im Vergleich zu einem Flächenland wie Niedersachsen.

Ja, viele kennen sich bereits, aber tatsächlich noch nicht alle. Zu den Akteur:innen in der Hospiz- und Palliativversorgung gehören neben Mitarbeiter:innen in Pflegediensten, Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen beispielsweise auch ehrenamtliche Hospizbegleiter:innen und ihre Koordinator:innen. Bei einigen medizinisch Versorgenden ist das Angebot der ambulanten Palliativdienste noch gar nicht so bekannt. Oder es gibt in Pflegeeinrichtungen angestellte Gesprächsbegleitende für die gesundheitliche Versorgungsplanung nach §132g SGB V, die sich aber untereinander nicht kennen. Da will ich eine Kontaktdatenbank aufbauen, damit diese Menschen sich untereinander kollegial beraten und austauschen können. Und manchmal gibt es auch immer noch Schnittstellenprobleme in der Überleitung vom Krankenhaus ins stationäre Hospiz, bei der Informationen für oder über die Patient:innen untergehen.

Also müssen die Akteur:innen näher zueinander, damit die einen besser wissen, was die anderen brauchen?

Ja, und das an allen nötigen Stellen. So ein Klinikum ist zum Beispiel eine große Einrichtung mit verschiedenen Versorgungsakteur:innen, und neue in der Überleitung tätige Mitarbeitende können sich beispielsweise nicht immer verlässlich die nötige Zeit nehmen, die speziell für Palliativpatient:innen nötigen Informationen nicht nur zu vermitteln, sondern sich auch rückversichern, dass alle Informationen richtig angekommen sind. Hier kann man vielleicht verstärkt mit Checklisten arbeiten. Eine andere Idee ist, einen hausärztlichen Qualitätszirkel mit dem Schwerpunkt Palliativversorgung zu initiieren, damit sich Hausärzt:innen mit komplexen Behandlungssituationen kollegial untereinander beraten können. Außerdem ist mein Eindruck, dass es noch mehr für die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) qualifizierte Hausärzt:innen in Bremen geben müsste, um den Versorgungsbedarf in der Häuslichkeit schwerkranker und sterbender Menschen optimal decken zu können.

Was sind Ihre ersten Schritte?

Bislang bin ich dabei, die Versorgungsakteur:innen kennenzulernen und die Bedarfe abzuklären, was könnte ich in den nächsten Jahren vorantreiben und was hat Priorität, was ist das interdisziplinärste Thema, wo möglichst viele von profitieren. Und ich habe Informationen für die Webseite gesammelt. Für Bremen ist das die Seite www.hpn-bremen.de. Da soll beispielsweise eine neutrale und möglichst umfassende Übersicht über Trauerangebote in Bremen entstehen. Denn es gibt unterschiedliche Formen der Trauerarbeit, von Selbsthilfegruppen für Trauernde über einzelne Betreuung, kostenfreie oder kostenpflichtige Angebote, und auch die Hospizdienste bieten teilweise Trauergruppen oder individuelle Trauerbegleitung an.

Die hospizlich-palliative Arbeit endet also nicht mit dem Tod des Pflegebedürftigen?

Nein, so ist es. Die Trauerarbeit gehört mit zum Selbstverständnis der Hospizarbeit und Palliativversorgung. Sie ist wichtig, um präventiv zu verhindern, dass trauernde Angehörige zum Beispiel in die Erwerbsunfähigkeit gehen, weil sie nicht gut versorgt sind. Da es keine regulär refinanzierten Trauerangebote gibt, ist es manchmal schwer, ein gutes und umfassendes Angebot zu finden.

Bremerhaven gehört nicht zu Ihrem Aufgabengebiet?

Bremerhaven gehört nicht zu meiner Tätigkeit als regionale Netzwerkkoordinatorin, allerdings bin ich trotzdem im Rahmen meiner Tätigkeit als überregionale Netzwerkkoordinatorin mit dem Netzwerk, soweit es bereits existiert, in Kontakt.

Ist die Netzwerkkoordination ein zeitlich befristetes Projekt?

Die Förderung für die Stelle ist zunächst nur für das Jahr 2023. Im Paragraphen 39d SGB V ist geregelt, dass die Netzwerkkoordination von der GKV finanziert wird, sofern die Kommune sich mindestens mit der Hälfte finanziell beteiligt. Wenn die Kommune sich schriftlich bereit erklärt, das Projekt längerfristig zu fördern, kann auch ein Antrag für beispielsweise drei Jahre gestellt werden. Das wäre effizienter, aber das Geld wird nur jährlich bereitgestellt.

Ihre Tätigkeit der überregionalen Netzwerkkoordination wird vom Bundesverband der Privaten Krankenkassen über den Deutschen Hospiz- und Palliativverband finanziert. Was genau ist da Ihre Aufgabe?

Die Stelle als Pendant zur regionalen Netzwerkkoordination soll über den Tellerrand hinausschauen, wie kann die Vernetzung überregional verbessert werden, um von anderen Bundesländern bzw. Netzwerken aus anderen Regionen zu lernen. Gerade in Niedersachsen und Bremen macht das viel Sinn, weil viele Versorgungsangebote grenzüberschreitend passieren: Hausärzt:innen, die Hausbesuche in Niedersachsen machen, Pflegeheimträger, die Häuser in Bremen und Niedersachsen haben, oder ambulante Pflegedienste, die über die Grenzen des Bundeslandes hinaus arbeiten.

Im Rahmen meiner überregionalen Koordinationsstelle berate ich hier die Akteur:innen in den Kommunen bei der Antragsstellung einer regionalen Koordinierung, und das Angebot gilt für ganz Niedersachsen. Es gibt bereits eine landesweite Arbeitsgruppe von regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken, teilweise gibt es dort schon geförderte Netzwerkkoordinationsstellen. Teilweise sind Netzwerke noch nicht gefördert, weil entweder die Kommune kein Geld bereitgestellt hat oder es noch keinen Antrag mangels „Kümmerer“ gegeben hat. Da schaue ich, wie kann die Region unterstützt und der Kommune vermittelt werden, dass zukünftig durch bessere Vernetzung auch Mehrarbeit und Mehrkosten gespart werden können.

Wie kann denn eine Netzwerkkoordination der Kommune Geld sparen?

Durch die Vermeidung von besonders Über- und Fehlversorgung dank einer besseren Kommunikation. Zum Beispiel bei den Krankenhauseinweisungen: Wenn durch eine bessere Vernetzung besser entsprechend dem Patient:innenwillen versorgt werden kann, können auch ungewünschte Krankenhausaufenthalte am Lebensende vermieden werden. Wir wissen aus anderen Ländern, dass eine gute Kommunikation der Versorgungswünsche am Lebensende dafür sorgt, dass Mehrkosten eingespart werden können. Und es sorgt für mehr Zufriedenheit der Versorgenden, weil sie das Gefühl haben, entsprechend der Patient:innenwünsche behandeln zu können. Rettungssanitäter:innen oder Rettungsärzt:innen machen das ja nicht gern, einen hochaltrigen Menschen mit einer lebenslimitierenden Erkrankung immer wieder ins Krankenhaus zu bringen, wo allen klar ist, der Zustand verbessert sich dadurch nicht mehr und der Mensch möchte eigentlich lieber zu Hause bleiben.

Was könnte z.B. ein Rettungsdienst denn in so einer Situation anders machen, wenn er gerufen wird?

Das Ziel sollte sein, dass der Notruf dadurch vermieden werden kann, dass es ein besseres ambulantes Versorgungsangebot gibt, dass beispielsweise die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) initiiert wird. Auch in der stationären Pflege sind hospizliche und palliative Versorgungsangebote den Mitarbeitenden teilweise noch nicht so richtig gut bekannt, oder sie sind bekannt, aber das Angebot noch nicht ausreichend vorhanden. Manchmal kann über ein ausreichendes psychosoziales und ein verbessertes nicht-medizinisches Angebot auch körperliches Leid eingedämmt werden und dadurch der Bedarf an medizinischer Versorgung gut geregelt werden.

Hinzu kommt, dass Menschen besser befähigt werden sollten, ihre Behandlungswünsche klar zu äußern, sodass Pflegende und Mediziner:innen genau wissen, welche Behandlungen dem Patient:innenwillen entsprechen. Tatsächlich ist die gesetzliche Grundlage deutlich, wenn eine Person ihren Wunsch ganz klar äußern kann oder das dokumentiert ist in einer gültigen Patientenverfügung, dann können sich alle Versorgenden sorglos danach richten. Hier sollte noch mehr der Fokus darauf gelegt werden, dass Menschen befähigt werden zu äußern, was sie sich wünschen und es nicht als das Scheitern der Versorgung angesehen wird, wenn das Therapieziel geändert werden muss: weg von der Heilung einer Erkrankung hin zu einer Verbesserung der Lebensqualität bis zum Schluss.

Was wollen Sie in fünf Jahren erreicht haben?

Ich würde mir wünschen, dass es in allen Regionen Netzwerkkoordinator:innen wie mich gibt, die die Versorgenden in der Kommunikation untereinander unterstützen und dadurch die Versorgung verbessern, und es letztlich dadurch seltener vorkommt, dass unerwünschte Behandlungen stattfinden und sterbende Menschen dort versorgt werden, wo sie es sich wünschen. Auf alle Fälle wünsche ich mir, dass die Schnittstellen besser funktionieren bei Überleitungen von Versorgungsformen und alle hospizlich-palliativen Akteur:innen wissen, dass es die Netzwerkkoordinationsstelle gibt. Und schließlich möchte ich, dass es eine übersichtlichere Internetpräsenz über die Versorgungsangebote sowohl für Bürger:innen als auch für Versorgende gibt, die die Versorgungsangebote transparenter darstellt.

* Zum Hintergrund:

Im Paragraf 39d SGB V ist geregelt, dass die Gesetzlichen Krankenkassen die Koordination in regionalen Hospiz- und Palliativnetzwerken durch Netzwerkkoordinator:innen fördern. Die Förderung soll die regionalen Akteurinnen und Akteure (Pflegedienste, Ärzt:innen, ambulante (Kinder-)Hospizdienste, SAPV-Teams, allgemeine kommunale oder kirchliche Angebote) darin unterstützen, sich untereinander besser abzustimmen und ihre Aktivitäten zu koordinieren. Seit dem 1. April 2022 gilt hierfür eine Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes. Hierdurch soll ein weiterer Beitrag geleistet werden, um die Versorgung und Begleitung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu verbessern.