Bundestagswahl 2021

Pflege

Rollstuhl im Pflegeheim

Pflege ist das gesundheitspolitische Kernthema der kommenden Jahrzehnte. Der demographische Wandel stellt die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung vor eine große Herausforderung. Dies zeigt sich auch am Beispiel Hamburg, der Anteil der Pflegebedürftigen an der Hamburger Bevölkerung hat sich seit 2007 beinahe verdoppelt. Gleichzeitig existiert in der Pflege ein enormer Personalmangel. Die Ersatzkassen positionieren sich zu den wichtigen Finanzierungsfragen und unterbreiten Reformvorschläge:

Die Ersatzkassen fordern…

Grafik mit Zitat von Kathrin Herbst zur Pflegeversicherung, Bundestagswahl 2021

… dass die Tarifpartner ihre Möglichkeiten nutzen, um für gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen. Dazu gehören nicht nur angemessene Löhne, sondern auch die anderen Rahmenbedingungen - wie Arbeitszeiten, Urlaubsansprüche oder Teilzeitregelungen. Nötigenfalls muss der Gesetzgeber ohne Eingriffe in die Tarifautonomie rechtlich nachschärfen. Das wird einen Teil dazu beitragen, dem Pflegepersonalproblem Herr zu werden.

… dass die Vorhaben der Konzertierten Aktion Pflege“ (KAP) konsequent verfolgt, umgesetzt und unter Beteiligung aller Akteur:innen auch sinnvoll fortgeschrieben werden. Hier gibt es gesetzgeberisch enormen Aufholbedarf. Dazu gehört auch, mehr für Personalgewinnung und -ausbildung zu tun. Etwa durch die Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte oder die Nach- und Weiterqualifizierung von Pflegehilfskräften zu Pflegefachkräften. Beispiel Hamburg: In den Pflegeheimen der Hansestadt hat nur etwa die Hälfte der Beschäftigten einen pflegerischen Berufsabschluss. Außerdem ist das Pflegepersonal im Durchschnitt auch nicht mehr ganz jung: Rund 40 Prozent der Pflegekräfte, die in Hamburg in einem Heim oder bei einem ambulanten Pflegedienst arbeiten, sind 50 Jahre alt oder älter. Ebenfalls sollte, wie in der KAP verabredet, den Pflegefachkräften mehr Verantwortung übertragen werden, denn diese haben eine hochwertige Ausbildung absolviert. In der Ausbildung von Pflegefachkräften sollten zudem pflegediagnostische Kompetenzen stärker in den Fokus genommen werden. Außerdem müssen die Chancen der Digitalisierung auch in der Pflege genutzt und fortentwickelt werden. Durch die komplette Umstellung auf elektronische Datenprozesse können die Pflegekräfte von unnötiger Bürokratie und Zettelwirtschaft entlastet werden.

… dass ein dauerhafter Steuerzuschuss die Pflegeversicherung stützt. Die Absicherung des Pflegerisikos ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die verlässlich finanziert werden muss. Der Steuerzuschuss muss dauerhaft und verlässlich sein, um die Gefahr einer Finanzierung nach Kassenlage und kurzfristige Beitragssatzerhöhungen zu verhindern. Der Zuschuss könnte regelgebunden z. B. als Anteil der Leistungsausgaben ausgestaltet werden, der im gleichen Verhältnis wie die Ausgaben der Pflegeversicherung steigt.

… dass die finanzielle Gesamtbelastung der Pflegebedürftigen nicht unvermindert weiter steigen darf, da sonst immer mehr Menschen – trotz Pflegeversicherung – auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind. Hier sind dringend politische Lösungen gefordert, da die erfolgten und noch zu erwartenden Mehrbelastungen, z. B. durch verbesserte Tariflöhne in der Pflege, die Belastungen noch weiter steigen lassen bzw. im ambulanten Bereich dazu führen, dass die Pflegebedürftigen sich immer weniger Leistungen einkaufen können.

… dass die im SGB XI verankerten Leistungsbeträge einmalig anzuheben sind, um eine kurzfristig spürbare Entlastung für die Pflegbedürftigen bei den pflegebedingten Eigenanteilen zu schaffen. Dadurch könnten die erfolgten und noch zu erwartenden Mehrbelastungen, z. B. durch verbesserte Tariflöhne in der Pflege, ausgeglichen werden. Im vollstationären Bereich würde damit der von Pflegebedürftigen zu tragende einrichtungseinheitliche Eigenanteil reduziert werden. Der durchschnittliche Eigenanteil der Bewohner in Hamburger Pflegeheimen beträgt aktuell 2.080 Euro. Im ambulanten Bereich könnten die Pflegebedürftigen sich mehr Leistungen einkaufen, was zu einer Entlastung der pflegenden Angehörigen führen würde.

… dass sich die private Pflegeversicherung (PPV) am gemeinsamen Finanzausgleich mit der sozialen Pflegeversicherung (SPV) beteiligt. Dies wäre solidarisch, da die PPV im Vergleich zur SPV vor allem einkommensstarke Personen mit guten Risiken (geringere Pflegewahrscheinlichkeit) versichert. Nach Ansicht von Expert:innen findet hier aktuell eine Risikoselektion statt. Der Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten. Allein in Hamburg haben sich die Ausgaben der SPV in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt.

… dass die Bundesländer die Investitionskosten verbindlich übernehmen. Die Förderung von Investitionskosten ist gemäß den Vorschriften des SGB XI Aufgabe der Länder. Bei Einführung der SPV sollte so eine Kompensation für die damalige erhebliche finanzielle Entlastung der Länder bei der Sozialhilfe durch die Einführung der SPV erreicht werden. Dieser Aufgabe kommen die Länder aber bis heute nicht umfassend nach und nutzen die derzeit unverbindliche Regelung im SGB XI, um sich ihrer finanziellen Verantwortung zu entziehen. Möglich wird dies, indem die Investitionskosten auf die Vergütungssätze und damit auf die Pflegebedürftigen umgelegt werden. Aktuell belaufen sich die dadurch verursachten Mehrkosten im Bundesdurchschnitt auf 453 Euro je Monat und Pflegebedürftigen. Die Pflegebedürftigen sollten grundsätzlich nicht für die Investitionskosten aufkommen müssen. Durch eine verbindliche Verpflichtung der Länder zur Übernahme der Investitionskosten würde die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen kurzfristig deutlich gesenkt.