Interview

"Wir haben die Chance, gesundheitliche Gleichheit herzustellen"

Gesundheit und Schule: Wie passt das zusammen - und wie tragen Schulgesundheitsfachkräfte zum guten Zusammenspiel bei?

An der Georg-Kerschensteiner-Grundschule in Hamburg-Harburg gibt es seit letztem Schuljahr eine neue Kollegin: Bianca Mewes. Und mit ihr auch ein neues Aufgabengebiet, das der Schulgesundheitsfachkraft (SGFK). Als Schulleiterin Banu Graf im Kollegium Bianca Mewes ankündigt, herrscht große Neugierde. „Unter einer solch neuen Tätigkeit kann man sich zunächst natürlich nicht so viel vorstellen“, sagt die Schulleiterin. Deshalb habe sie die Schulgesundheitsfachkraft gezielt in viele Gremien wie der Elternvollversammlung oder etwa der Erzieherrunde eingeführt, damit sie sich und ihr Tätigkeitsfeld bekannt macht. Im Mittelpunkt der Arbeit von Bianca Mewes steht, Kindern ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen und sie dazu zu ermächtigen, ihre mentale und körperliche Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen. Die Schulgesundheitsfachkräfte betrachten dabei den Lebensraum Schule als Ganzes, indem sie mit den Schüler:innen, aber auch deren Eltern, Lehrkräften und der Grundschule zusammenarbeiten und bei Bedarf außerschulische Angebote zur Gesundheitsförderung in ihre Arbeit einbeziehen.

Die Schulgesundheitsfachkräfte sind ein bundesweit beachtetes Modellprojekt, maßgeblich unterstützt durch den Verband der Ersatzkassen (vdek) in Hamburg. Das Projekt richtet sich an Grundschulen in benachteiligten Quartieren der Hansestadt. Wieso wurde gerade der Lebensraum Schule ausgewählt?

Isabell Wesch, Referentin Projektmanagement Prävention und Gesundheitsförderung beim vdek:

Isabell Wesch web

„In der Grundschule haben wir die Chance, Grundlagen für ein gesundes Leben frühzeitig zu schaffen. Kinder verbringen viel Zeit in der Schule und es ergibt Sinn, Themen wie gesunde Ernährung und Bewegung als Selbstverständnis in den Schulalltag einzubauen. Denn Gesundheitsförderung und Prävention sind dann besonders nachhaltig wirksam, wenn sie bei den Lebenswelten der Kinder und deren Familien ansetzen. Die Schulpflicht bietet einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Maßnahmen: Es werden alle Kinder erreicht und ihre Eltern können miteinbezogen werden. Die Schulgesundheitsfachkräfte unterstützen die Schulen dabei, den Kindern Kompetenzen zu gesunder Lebensweise zu vermitteln und diese zu erweitern. Wenn das gelingt, dann sind die Schüler:innen in der Lage, selbst Verantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen – auch über den Unterricht hinaus.“

Bianca Mewes, Schulgesundheitsfachkraft an der Georg-Kerschensteiner-Grundschule:

Bianca Mewes web

„Ich finde, Gesundheit und Schule passen sehr gut zusammen. Denn Schule ist der Ort, an dem alle Kinder uneingeschränkt erreicht werden können, unabhängig von ihrem Hintergrund, dank der Schulpflicht. Wir haben die Chance, gesundheitliche Gleichheit herzustellen. Oftmals hat man es mit einem Präventionsdilemma zu tun. Das bedeutet, man erreicht eher Eltern und ihre Kinder, die bereits für das Thema sensibilisiert sind. An der Schule jedoch kann man allen ein Angebot machen. Es geht darum, eine Grundlage für ein gesundes Leben zu schaffen, Kindern gesunde Ernährung näher zu bringen und ausprobieren zu lassen. Ihnen Genuss zu vermitteln, denn hinter Ernährung steckt ja viel mehr als nur zu essen. Wir machen auch Angebote zur Bewegung und Entspannung. Gerade im neuen Schul-Alltag mit Corona sind viele Kinder gestresst und die Schule kann als Ort genutzt werden, um Möglichkeiten zur Erholung anzubieten.“

Banu Graf, Schulleiterin der Georg-Kerschensteiner-Grundschule:

Banu Graf frei

„An den Schulen kann ohne Barrieren die Kommunikation mit den Kindern, Eltern und Lehrkräften zu gesundheitlichen Themen aufrechterhalten werden. Die Lehrkräfte sind mit im Boot und können die Themen, die die Schulgesundheitsfachkraft anstößt, im Unterricht nochmals aufgreifen und beispielsweise gezielt in Gespräche mit Eltern nehmen. Dadurch bekommt Gesundheit in der Schule eine Natürlichkeit, das Thema lässt sich gut einbinden, ohne dass sich Eltern auf den Schlips getreten fühlen. Es werden alle Beteiligten, sei es aus der Schule oder dem Umfeld, zum Thema Gesundheit sensibilisiert und eingebunden. Das passiert etwa in Elterncafés oder gemeinsam mit den Lehrkräften in Unterrichtseinheiten. Frau Mewes ermittelt Bedarfe an unserer Schule. Sie zeigt uns aber auch, was wir bereits an Möglichkeiten haben, aktiv etwas für die Gesundheit der Kinder zu tun.“

Eine dieser Möglichkeiten sind die regelmäßig an der Grundschule stattfindenden Elterncafés. Einmal im Monat werden dazu alle Eltern über die Mappenpost ihrer Kinder an die Schule eingeladen. Nach einer Corona-bedingten Pause konnte das Angebot im März 2022 wieder starten. Zunächst haben Bianca Mewes und eine Lehrerin die erschienenen Eltern befragt, zu welchen Themen sie sich gerne austauschen würden. Dabei fielen Stichwörter wie Medienkompetenz, Bewegung, Ernährung, aber auch Selbstständigkeit und Grenzen. Daraus wurde dann ein thematischer Leitfaden für die weiteren Cafés entwickelt.

„Das probiere ich einfach mal aus!“

Üblicherweise läuft eines dieser Treffen mit den Eltern so ab: Bianca Mewes liefert die Grundlagen und untermauert diese wissenschaftlich. Was ist gesunde Ernährung? Wie sieht buntes Essen in der Brotdose aus? Alle Informationen können die Eltern online nochmals nachlesen und die Schulgesundheitsfachkraft ergänzt regelmäßig weitere nützliche Punkte. Ihre Kollegin, die selbst Kinder hat, übernimmt den Alltagstransfer der Themen und bespricht mit den Eltern, wie die Umsetzung zuhause funktionieren kann, aber auch, wo es Schwierigkeiten gibt. „Die Eltern werden durch die Kombination aus Informationen und Alltagstransfer abgeholt, aber auch von uns zusätzlich zum Austausch und zur Unterstützung untereinander angeregt“, sagt Bianca Mewes. „Ziel des Elterncafés ist es, dass die Eltern bestärkt und mit einem guten Gefühl nachhause gehen. Und sich denken: Das probiere ich einfach mal aus!“

Nicht nur mit den Eltern ist die Schulgesundheitsfachkraft gut vernetzt, sie hält auch Kontakt zum Schul(zahn)ärztlichen Dienst und zur kommunalen Gesundheitsförderungs-Managerin und besucht regelmäßig den örtlichen Sozialraumtreff. Netzwerke aufzubauen und die Kommunikation der Beteiligten am Laufen zu halten, ist ein zentraler Punkt von Bianca Mewes‘ Tätigkeit: „Es geht darum, mit den unterschiedlichen Stellen gesundheitliche Bedarfe der Kinder zu ermitteln. Und sich dann gemeinsam zu überlegen, wo man sich gegenseitig unterstützen kann und wo die Schule im Speziellen einen Beitrag leisten kann.“

Schüler:innen werden zu Pyramiden-Detektiv:innen

Die Einbindung der neuen Kollegin in die Grundschule und damit die Etablierung eines neuen Aufgabenbereichs ist für Schulleiterin Banu Graf ein Erfolg: „Frau Mewes ist als Person präsent. Nicht nur durch ihre Anwesenheit vor Ort, sondern auch durch die offene Kommunikation an unserer Schule zu ihren Themen und Tätigkeiten. Das hat sofort große Wirkung gezeigt. Die Kolleg:innen haben sie direkt angenommen und sind für ihre vielschichtigen Ideen dankbar.“ Das zeigt sich auch darin, dass für das laufende Schuljahr nicht nur neue Projekte geplant sind, sondern auch Initiativen fortgesetzt werden. In den Vorschulklassen gab es unter anderem mehrwöchige Aktionen zum Thema Ernährung. „Sie waren individuell auf die Klassen zugeschnitten und haben den Kindern sehr viel Spaß gemacht und mir dementsprechend auch“, freut sich Bianca Mewes. Die Schüler:innen dürfen sich nach ihrer Teilnahme nun Ernährungspyramiden-Detektiv:innen nennen. Ganz offiziell, mit eigenen kleinen Ausweisen.

Mit dem Pilotprojekt „Gesund aufwachsen in Hamburg – Schulgesundheitsfachkräfte an Hamburger Grundschulen“ unterstützen der Verband der Ersatzkassen e. V., die Behörde für Schule und Berufsbildung, die Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration (Sozialbehörde) und das Bezirksamt Hamburg-Nord, gemeinsam ein Modellvorhaben, das für Hamburger Grundschulkinder aus sozial benachteiligten Quartieren gleiche Startbedingungen für ein gesundes Leben schaffen soll. Die Unfallkasse Nord unterstützt das Projekt als Träger der gesetzlichen Schülerunfallversicherung ebenfalls.

Interview: Isabella Tartamella, Stefanie Kreiss