Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) wurde vor 30 Jahren als fünfte Säule des Sozialversicherungssystems neben der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Unfallversicherung eingeführt und hat seitdem das Leben von Millionen Menschen in Deutschland geprägt. Ein Anlass zum Feiern, aber gleichzeitig auch zum Diskutieren: Wo liegen jetzt und in Zukunft die größten Herausforderungen für die Pflegeversicherung, und wie können wir die Pflege in Hessen, aber auch deutschlandweit zukunftssicher machen?
Auf der gestrigen Fachveranstaltung „30 Jahre Pflegeversicherung – Zeit für eine Zwischenbilanz“ der vdek-Landesvertretung Hessen in Frankfurt wurden hierzu die zentralen Fragestellungen diskutiert: Wie konnte die soziale Pflegeversicherung in eine so besorgniserregende finanzielle Lage geraten? Wie kann die Pflegeversicherung angesichts einer älter werdenden Gesellschaft und steigender Kosten nachhaltig ausgestaltet und finanziert werden? Welche organisatorischen und strukturellen Entwicklungen können Pflegebedürftige und ihre Angehörigen heute und in Zukunft unterstützen? Was können Wissenschaft und Politik dazu beitragen?
„Der deutsche Pflegesektor – und damit auch die Pflegeversicherung – stecken mitten in einem gewaltigen Umbruch. Der demografische Wandel fordert uns mehr denn je und immer mehr Menschen werden pflegebedürftig. Gleichzeitig finanzieren immer weniger Beitragszahler das System“, betonte die Gesundheits- und Pflegeministerin Diana Stolz und ergänzte: „Lassen Sie uns daher gemeinsam daran arbeiten, so dass auch in den nächsten 30 Jahren die Menschen in unserem Land in Würde gepflegt werden können – zu Hause oder in einer Pflegeeinrichtung. Vereint mit Akuteren wie dem vdek möchten wir dafür sorgen, dass diejenigen, die im Pflegefall Hilfe benötigen, diese auch bekommen – in der Großstadt wie auch im ländlichen Raum.“
Hochkarätige Podiumsdiskussion
Nach einem Impulsvortrag von Professor Dr. Martina Hasseler, Professorin für Gesundheits-, Pflege- und Rehabilitationswissenschaften in Oldenburg, moderierte Werner Schlierike eine lebhafte Diskussion.
„Die Soziale Pflegeversicherung ist ein Erfolgsmodell. Sie hat u.a. dazu beigetragen, dass wir heute in Deutschland ein qualitativ hochwertiges und flächendeckendes pflegerisches Versorgungsangebot vorhalten. Nun ist die Politik gefordert, das solidarische System finanziell zukunftsfest aufzustellen. Hierzu müssen endlich regelhaft und dynamisierte Bundeszuschüsse für versicherungsfremde Aufgaben gewährt werden“, forderte Oliver Blatt, Abteilungsleiter Gesundheit des Verbands der Ersatzkassen e.V. (vdek). „Dazu zählen die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige, mit etwa vier Milliarden Euro jährlich genauso wie die Ausbildungskosten der Pflegekräfte in Höhe von etwa 250 Millionen Euro. Zudem sind weiterhin die 5,5 Milliarden Euro Pandemiekosten vom Staat nicht erstattet“, so Blatt weiter.
Regine Bresler, Präsidentin des Hessischen Landesamts für Gesundheit und Pflege, erklärte: „Die Pflegeversicherung in Deutschland hat sich in den letzten 30 Jahren zu einem wichtigen Baustein der Daseinsvorsorge weiterentwickelt. Es wird nun darum gehen die Pflegeversicherung zukunftssicher aufzustellen. Ziel muss es sein, dass sehr viele Menschen sehr lange gesund, selbständig und selbstbestimmt in ihrem eigenen Zuhause leben können. Prävention und Gesundheitsförderung müssen mehr interdisziplinäre Beachtung finden. Die Bedeutung von Umweltbedingungen, Bewegung und Ernährung für unsere Gesundheit und ein langes gesundes Leben ist wissenschaftlich belegt, muss aber auch gesellschaftlich anerkannt werden und in unser tägliches Handeln von Kindesbeinen an einfließen. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.“
„Pflege gehört zu den BIG FIVE Herausforderungen unserer Zeit, „Nicht-Handeln“ hat demokratiegefährdende und volkswirtschaftliche Konsequenzen. Eine grundlegende und legislaturübergreifende Struktur- und Finanzreform der Pflegeversicherung ist zwingende Voraussetzung, um die Versorgungssicherheit wieder zu gewährleisten und gleichwertige Lebensverhältnisse für die Pflegebedürftigen in Hessen und Deutschland zu schaffen. Für den Systemwechsel nach 30 Jahren müssen als erstes die Eigenanteile tatsächlich gedeckelt werden – stationär und ambulant. Ziel muss es außerdem sein, das Leistungsrecht zu vereinfachen und die sektorale Trennung zwischen Ambulant und Stationär aufzuheben, damit mehr innovative und bedarfsgerechte Angebote entstehen und nachhaltig umgesetzt werden können“, sagte Sonja Driebold stellvertretend für die Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Hessen e. V..
„Mit der Kompetenzvermutung für hochqualifizierte internationale Pflegefachkräfte mit mindestens dreijähriger Ausbildung oder Studium und entsprechenden Sprachkenntnissen würden wir nicht nur einen schnellen und wirksamen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten, sondern auch unser Hessisches Landesamt bei der zeitraubenden Prüfung immer gleicher Berufsurkunden spürbar entlasten“, stellte Ralf Geisel, Vorstandsvorsitzender der Landesgruppe Hessen des bpa, heraus.
„Die Pflegeversicherung war nie darauf ausgelegt, eine bedarfsangemessene Langzeitpflege zu sichern, sondern bietet lediglich eine Basisversorgung. Pflegefachberufe wurden durch die Pflegeversicherung systematisch deprofessionalisiert – fachpflegerische Versorgung wurde nie als eigenständige Leistung anerkannt und finanziert. Die Pflegeversicherung hat dazu geführt, dass mit Redewendung „die Pflege“ auch Pflegefachberufe und pflegefachliche Leistung darunter subsumiert werden. Damit hat sich Deutschland ein Pflegeverständnis angeeignet, das nicht mehr international vergleichbar ist und dem Verständnis pflegefachlicher Versorgung sehr geschadet hat. Langzeitpflege tragen nach wie vor pflegende Angehörige – insbesondere Frauen –, wie es von der Pflegeversicherung intendiert war. Für sie bedeutet Familienpflege ein erhebliches Risiko der Altersarmut und Überforderung. Damit verschärft die Pflegeversicherung soziale Ungleichheit und gefährdet langfristig die langzeitpflegerische Versorgung“, machte Prof. Dr. Martina Hasseler deutlich.
Tarifpflicht und Personalbemessung sind wichtig, müssen aber finanziert werden – Gute Pflege muss bezahlbar bleiben
„Bei einer möglichen Reform der Pflegeversicherung müssen die Ressourcen sinnvoll eingesetzt und das Personal in den stationären, teilstationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen und -diensten wie auch die zahlreichen pflegenden Angehörigen entlastet werden. Hier gebührt unser Dank all denjenigen, die mit viel Engagement und trotz aller Widrigkeiten einen guten, unverzichtbaren Job machen“, erklärte Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen. „Trotzdem besteht Handlungsbedarf: Der finanzielle Eigenanteil für Pflegebedürftige und deren Angehörige steigt stetig an. Pflegebedürftigkeit wird so immer mehr zum Armutsrisiko, obwohl die SPV gerade dies verhindern wollte. Faire Bezahlung des Pflegepersonals und eine angemessene Personalausstattung in Pflegeheimen sind wichtig, aber die Politik muss deren Folgekosten im Blick haben. Gute Pflege muss für alle bezahlbar bleiben. Die Beitragszahlenden alleine können das nicht stemmen“, so Ackermann weiter. Abschließend nahm Ackermann auch die hessische Landesregierung in die Pflicht: „Außerdem steht auch das Land Hessen in der Verantwortung, endlich die Investitionskosten für die Pflegeeinrichtungen zu übernehmen. Dies alleine würde die Pflegebedürftigen in Hessen monatlich um 517 Euro entlasten.“
Hintergrund
Bei den Veranstaltungen der vdek-Landesvertretung Hessen treffen sich regelmäßig wichtige Player der hessischen Gesundheitswirtschaft, u.a. Vertreter:innen von Politik, Wirtschaft, Kommunen, Verbänden. Krankenkassen und deren Selbstverwaltung, (Zahn-)Ärzt:innen Vertreter:innen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen und aus weiteren Gesundheitsberufen, um über aktuelle Themen der Gesundheitsversorgung zu diskutieren. Am 12.03.2025 fand die Veranstaltung im Stadthaus am Markt in Frankfurt statt.
Kontakt
Heike Kronenberg
Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek)
Landesvertretung Hessen
Tel.: 0 69 / 96 21 68 - 20
E-Mail: heike.kronenberg@vdek.com