Pflege ist aktuell und für die kommenden Jahrzehnte ein wesentliches gesundheitspolitisches Kernthema. Die Pflegeversicherung steht 30 Jahre nach ihrer Einführung vor großen finanziellen Herausforderungen: Der demografische Wandel bedingt, dass immer weniger junge Menschen die Leistungen der Pflegeversicherung für eine steigende Anzahl älterer Menschen finanzieren müssen. Gleichzeitig herrscht in der Pflege ein enormer Fachkräftemangel.
Die Politik hat auf die drängenden Probleme 2021 nur mit einer „Mini-Reform“ reagiert, die aus Sicht des vdek erneut nicht weit genug geht. Eine Grundsatzreform in der Pflege ist nach wie vor dringend erforderlich. Sie muss die Finanzierung der Pflege auch dauerhaft absichern und die Pflegebedürftigen spürbar entlasten, denn gute Pflege muss für alle bezahlbar bleiben!
30 Jahre Pflegeversicherung – Zeit für eine Zwischenbilanz
Am 01.01.1995 wurde die soziale Pflegeversicherung als fünfter Zweig der Sozialversicherung in Deutschland eingeführt. Sie ist im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) gesetzlich geregelt und sollte die Antwort auf den demografischen Wandel mit steigender Lebenserwartung und einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung sein. Seither hat das System Millionen von Pflegebedürftigen unterstützt und Angehörige entlastet. Gleichzeitig rückte die gesetzliche Absicherung die Bedeutung professioneller und familiärer Pflege stärker in die Öffentlichkeit. Dies führte zu Recht auch zu höherer Wertschätzung für die Pflegearbeit. Trotz dieser Erfolge zeigen sich erhebliche Schwachstellen: Steigende Kosten bei vielen Beteiligten, Fachkräftemangel und eine unzureichende Finanzierung belasten die Soziale Pflegeversicherung. Darüber hinaus bleibt die Pflegeversicherung eine Teilkostenversicherung, die finanzielle Belastung der Betroffenen deshalb weiterhin hoch. Um die Pflege in Deutschland zukunftssicher zu machen, sind tiefgreifende Reformen notwendig – von einer nachhaltigen Finanzierung bis hin zu besseren Arbeitsbedingungen.
Die Einführung der sozialen Pflegeversicherung als Teilkostenversicherung mit dem Pflegeversicherungsgesetz im Jahr 1995 markierte einen Meilenstein in der deutschen Gesundheits- und Sozialpolitik. Wie es dazukam und was seitdem geschah. » Lesen
Die alternde Gesellschaft: Mehr Pflegebedürftige, weniger Fachkräfte
Der demografische Wandel stellt das Pflegesystem vor große Herausforderungen. Bis 2050 wird sich die Zahl der Hochbetagten über 80 nahezu verdoppeln. Dadurch wird auch die Anzahl der Pflegebedürftigen laufend weiter steigen. Gleichzeitig stehen auch in der Pflege immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, da die geburtenstarken Jahrgänge sukzessive aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Schon heute ist der Fachkräftemangel eklatant. Ohne gezielte Maßnahmen, wie beispielsweise attraktive Arbeitsbedingungen, Ausweitung der Kompetenzen, eine angemessene Vergütung und gezielte Anwerbung aus dem Ausland, droht eine Versorgungslücke, die sich in den kommenden Jahrzehnten weiter verschärfen wird.
Die Pflegeversicherung soll das Risiko von Pflegebedürftigkeit jedenfalls zum Teil absichern, setzt aber auch auf die Eigenverantwortung. Sie kann ihre Aufgaben allerdings nur dann zuverlässig erfüllen, wenn sie zukunftsfest ausgestaltet wird. Hierzu müssen die Menschen, die zu Hause oder professionell Pflege leisten, noch stärker in den Mittelpunkt rücken. Ganz besonders wichtig ist es, pflegende An- und Zugehörige zu stärken, denn sie sind die tragende Säule der pflegerischen Versorgung. Außerdem müssen die Arbeitsbedingungen für professionell Pflegende attraktiv ausgestaltet werden und die Kompetenzen der Pflegeberufe besser genutzt werden.
Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen
Pflege in der Familie – Kraftakt mit wenig Unterstützung?
Ein Großteil der Pflege findet in Deutschland und Hessen weiterhin im häuslichen Umfeld statt. Rund 80 % der Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt – überwiegend durch Angehörige und oft ergänzt durch ambulante Pflegedienste. Die Situation pflegender Angehöriger ist oftmals stark physisch, psychisch und finanziell belastend. Viele pflegende Angehörige sind berufstätig und müssen ihre Arbeitszeit reduzieren oder ganz aufgeben, um ausreichend Zeit und Kraft für die Versorgung zu haben. Gleichzeitig fehlt es an ausreichender Unterstützung durch Pflegedienste oder Entlastungsangebote.
Pflegebedürftigkeit als Armutsrisiko?
Die Kosten in der stationären Pflege in Hessen steigen weiter
Die Pflegeversicherung ist vom Gesetzgeber in Anlehnung an eine Teilkaskoversicherung mit Eigenbeteiligung angelegt. Pflegebedürftige erhalten je nach Grad der Pflegebedürftigkeit, aber unabhängig von den tatsächlichen Kosten der Pflege sog. Festbeträge. Steigen die Preise in der Altenpflege, zum Beispiel aufgrund höherer Personalkosten, müssen diese Steigerungen von den Pflegebedürftigen selbst getragen werden. In der stationären Pflege steigen deshalb die Eigenanteile der Pflegebedürftigen kontinuierlich.
Dies zeigt auch eine aktuelle Auswertung des vdek: Neben steigenden Lebenshaltungskosten wirkt sich insbesondere die seit Herbst 2022 geltende Tarifbindungspflicht deutlich bei der Eigenbeteiligung der Pflegebedürftigen in hessischen Pflegeheimen aus. So sind die Kosten, die Pflegebedürftige für die pflegerische Versorgung, Unterkunft und Verpflegung aufbringen mussten, im Zeitraum vom 01.01.2024 bis 01.01.2025 erneut gestiegen.
Leider ist der finanzielle Eigenanteil für Pflegebedürftige und deren Angehörige in diesem Jahr erneut gestiegen. Dies führt oftmals zu einer finanziellen Überforderung. Und dabei sollte und wollte die Soziale Pflegeversicherung eigentlich gerade verhindern, dass Pflegebedürftigkeit zum Armutsrisiko wird. Schon jetzt ist absehbar, dass weitere Kostensteigerungen auf die Pflegebedürftigen zukommen: Die Gehälter der Pflegekräfte werden weiter steigen. Gleichzeitig braucht es Investitionen in neue Technologien, um die internen Prozesse zu verbessern und sich in Zeiten des Fachkräftemangels zukunftsfest aufzustellen. Steigende Löhne und eine bessere Personalausstattung sind richtig und wichtig, damit der Pflegeberuf attraktiver wird und sich wieder mehr Menschen dafür interessieren. Die Kosten hierfür dürfen aber nicht alleine den Pflegebedürftigen aufgebürdet werden.
Claudia Ackermann, Leiterin der Landesvertretung Hessen
Alle gesetzlich Krankenversicherten sind automatisch auch in der sozialen Pflegeversicherung versichert und erwerben für den Pflegefall dort Leistungsansprüche. Wie funktioniert das genau? » Lesen
Die Rolle der Pflegeversicherung
Mit Einführung der Pflegeversicherung wurden auch das System der Pflegekassen eingeführt. Die Pflegekassen sind dafür verantwortlich, dass die Pflegebedürftigen die ihnen aus der SPV zustehende Unterstützung erhalten. Sie beraten Versicherte und deren Angehörige in allen Fragen der Pflege, einschließlich möglicher Leistungsansprüche und Pflegeorganisation. Außerdem prüfen sie Anträge auf Pflegeleistungen und gewähren finanzielle Hilfen u.a. für ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflege. Sie überwachen die Qualität der Pflegeeinrichtungen und -dienste, indem sie die Prüfdienste mit regelmäßigen Kontrollen beauftragen und bei Bedarf Maßnahmen zur Qualitätssicherung auferlegen. Zudem finanzieren sie Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, um die Selbstständigkeit der Pflegebedürftigen zu unterstützen.
Darüber hinaus schließen die gesetzlichen Pflegekassen Vergütungsverträge mit ambulanten Pflegeeinrichtungen und -diensten über Leistungen in der häuslichen Versorgung von Pflegebedürftigen (z.B. Betreuung, Körperpflege, Haushaltsführung) ab. Sie prüfen ferner, ob interessierte Anbieter die nötigen Voraussetzungen für eine Leistungserbringung erfüllen. Erst dann können die ambulanten Leistungserbringer zugelassen und die erbrachten Leistungen mit der sozialen Pflegeversicherung abgerechnet werden. Zudem führen sie sog. Pflegesatzverhandlungen mit stationären Pflegeeinrichtungen, in denen sich z. B. die Kosten für Pflegeleistungen, Unterkunft und Verpflegung wiederfinden. Ziel der genannten Verträge ist dabei, eine angemessene Versorgung der Pflegebedürftigen sicher zu stellen.
Die vdek-Landesvertretung Hessen ist Vertragspartnerin von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen in Hessen. Darüber hinaus hat sie noch zahlreiche andere Aufgaben im Bereich der Pflegeversicherung. » Lesen
Es ist Zeit, die Pflegeversicherung zukunftsfest zu machen
Die Einführung der Sozialen Pflegeversicherung hat die gesellschaftliche Wahrnehmung von Pflege deutlich verbessert. Hierdurch wurde Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe etabliert und erstmals das Pflegerisiko solidarisch abgesichert und Sozialhilfe und Angehörige entlastet. Gleichzeitig sorgte sie für eine breite Absicherung in der Bevölkerung: Aktuell sind über 73,6 Millionen Menschen (= 90 Prozent der Bevölkerung) in Deutschland in der sozialen Pflegeversicherung versichert.
In den vergangenen 30 Jahren hat sich die soziale Pflegeversicherung als unverzichtbarer Pfeiler unseres Sozialstaats etabliert. Allerdings stehen wir aktuell vor enormen Herausforderungen durch den demografischen Wandel, steigende Pflegekosten und den Fachkräftemangel. Kontinuierlich steigende Eigenanteile belasten Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Es ist höchste Zeit, tragfähige Konzepte zu entwickeln, um diese Kosten zu begrenzen und gleichzeitig die Qualität der Versorgung zu verbessern. Der vdek fordert daher unter anderem einen Finanzausgleich zwischen sozialer und privater Pflegeversicherung sowie eine rechtssichere Gestaltung des Pflegevorsorgefonds. Zudem müssen versicherungsfremde Kosten, wie die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung für pflegende Angehörige sowie die Investitionskosten für die Pflegeeinrichtungen und Ausbildungskosten, aus Steuermitteln finanziert werden. Pflegebedürftige müssen finanziell spürbar entlastet und die Kosten gerechter verteilt werden – denn gute Pflege muss für alle bezahlbar sein!
Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung
Antje Sachs ist Referatsleiterin Pflege in der vdek-Landesvertretung Hessen. Im Interview spricht sie über 30 Jahre Pflegeversicherung und welche konkreten Reformschritte notwendig sind, damit die Pflegeversicherung in Hessen auch in den nächsten Jahrzehnten eine tragfähige Säule der sozialen Sicherung bleibt. » Lesen
In einem aktuellen Positionspapier „Gute Pflege - stabile Finanzen; Pflegeversicherung zukunftsfest ausgestalten“ skizzieren der vdek und die Ersatzkassen zentrale Handlungsfelder für eine Reform der Pflegeversicherung, wie verbesserte Arbeitsbedingungen, Prävention, Digitalisierung und Klimaschutz. Die entscheidende Voraussetzung für eine zukunftsfähige Pflege bleibt dabei eine nachhaltige und verlässliche Finanzierung, um die sich die nächste Bundesregierung sofort kümmern muss!