Notfallversorgung

Grundsätzliche Neuausrichtung der Notfallversorgung in Hessen erforderlich

Emergency medical service

Die Strukturen der Notfallversorgung sind bundesweit und auch in Hessen grundlegend reformbedürftig. Die Notfallversorgung muss sich ausschließlich an den medizinischen Bedarfen der Patienten ausrichten, statt wie bisher an den jeweiligen Strukturen und Vergütungsanreizen der drei Versorgungssektoren. Symptome dafür sind steigende Patientenzahlen in den Notaufnahmen und laufend steigende Einsatzahlen im Rettungsdienst. Was fehlt, ist eine Lotsenfunktion, die Patienten unabhängig von Sektorengrenzen dorthin leitet, wo die medizinisch notwendige Behandlung geleistet werden kann. Dafür sollten an den Eintrittspunkten in die Versorgung geeignete Lotseninstrumente eingerichtet werden. Dies betrifft insb. die Notrufnummern der Rettungsleitstellen (112) und der Dispositionszentralen für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst der KV Hessen (116117) sowie die Notaufnahmen der Krankenhäuser.

In den Anlaufstellen der Notrufnummern sollten einheitliche, qualitätsgesicherte telefonische Abfragesysteme zur Identifizierung der medizinischen Dringlichkeit installiert werden. An Krankenhäusern sollten Portalpraxen inklusive eines gemeinsamen Tresens wie z.B. im Klinikum Höchst eingerichtet werden, die rund um die Uhr an der Notfallversorgung teilnehmen. Eine Portalpraxis sollte mit Ärzten der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen betrieben werden Am zentralen gemeinsamen Tresen (Anlaufstelle) wird die Behandlungsbedürftigkeit (notfallmedizinische Ersteinschätzung) abklärt und die Notfallpatienten in die für sie medizinisch angezeigte Versorgung gesteuert. Eine solche Portalpraxis kann zusätzlich eine kassenärztliche Notdienstpraxis beinhalten, in der die ambulante Notfallbehandlung dann direkt durchgeführt wird (organisatorisch von der Notaufnahme getrennt).

Eine bundesweit einheitliche und gute Versorgung der Notfallversorgung ist für die Ersatzkassen besonders wichtig. Die Ersatzkassen fordern über die bereits skizzierten Strukturveränderungen hinaus daher, ...

... dass der Sicherstellungsauftrag für die Notfallbehandlung weiterhin bei den Kassenärztlichen Vereinigungen bleibt und diese eine bundesweit einheitlich vorgegebene Mindestzahl von Notärzten je 100.000 Einwohner garantieren

... dass, wenn die erforderlichen Ärzte für die Notfallbehandlung nicht bereitgestellt werden können, die KV Kooperationsverträge mit den Krankenhäusern oder Krankenhausärzte schließen müssen.

... dass in festzulegenden Sprechstundenzeiten der vertragsärztliche Bereich die primäre Anlaufstelle für ambulante Notfallpatienten ist.

Claudia Ackermann

Die regional sehr unterschiedlichen Notfallversorgungsstrukturen sollten nach Auffassung der vdek Landesvertretung Hessen in ein neues, integriertes System überführt werden. Dabei müssen der ärztliche Bereitschaftsdienst, die Notfallambulanzen der Krankenhäuser und der kommunale Rettungsdienst durch Gemeinsame Notfallleitstellen über gemeinsame und einheitliche Abfragesysteme miteinander verzahnt werden. Damit können u. a. auch die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser entlastet werden, da die Patienten direkt in die für sie richtige Versorgungsstruktur gelotst werden.

Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung

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Dazu ist es notwendig, die Notfallrufnummern 112 und 116117 idealerweise zu einheitlichen medizinischen Lotseneinrichtungen für alle medizinischen Hilfeersuchen weiterzuentwickeln. Eine Integration der präklinischen Versorgung (Rettungsdienst) inklusive der Leitstellen in das Gesundheitssystem wäre dafür wünschenswert. Der G-BA sollte ermächtigt werden, bundesweit einheitliche Behandlungs- und Prozessstandards für die präklinische und die ambulante Notfallversorgung zu definieren. Dazu gehören auch Vorgaben für ein umfassendes Qualitätsmanagement für alle Patienten. Es darf kein Patient an einer Sektorengrenze verloren gehen. Dafür müssen die Abfrageinstrumente und die Lotsenfunktion kontinuierlich evaluiert und bei Bedarf angepasst werden. Technische Lösungen dafür sind bereits entwickelt. Eine auf Bundes- oder Landesebene neu einzurichtende unabhängige Stelle für Qualitätsmanagement könnte diese Weiterentwicklung und Evaluation durchführen und dafür z. B. Daten der IVENA-Datenbank, die in Hessen entwickelt wurde und über weiteres Ausbaupotenzial verfügt, nutzen.

Eine Reform der Notfallversorgung ist unerlässlich. Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung aus 2020, der auf Eis gelegt wurde, kann dazu als gute Grundlage weiter entwickelt werden. Der Entwurf ist in seiner Gesamtkonzeption ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Impulse aus Wissenschaft und Praxis, wie zum Beispiel des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen aus 2018 („Bedarfsgerechte Steuerung der Gesund­heits­versorgung“), des Gutachtens des Aqua-Instituts in Göttingen im Auftrag des vdek e.V. und auch der Machbarkeitsstudie der Universität Maastricht für das Gemeinsame Landesgremium gemäß § 90a SGB V in Hessen sind in den Entwurf eingeflossen und können zu einer fokussierten Neukonzeption der Notfallversorgung führen. Es wird jetzt an der neuen Bundesregierung liegen, die notwendige Reform der Notfallversorgung im o.g. Sinne anzugehen.