Pflege

Gute Pflege muss für alle Versicherten wieder bezahlbar werden, auch in Hessen!

Pflege: Hände halten

Pflege ist ein wesentliches gesundheitspolitisches Kernthema der kommenden Jahrzehnte. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass immer weniger junge Menschen die Leistungen der Pflegeversicherung für immer mehr ältere Menschen finanzieren müssen. Wie sollen künftig die zusätzlichen finanziellen Belastungen geschultert werden? Schon heute sind die Eigenanteile der Pflegebedürftigen sehr hoch, und sie steigen kontinuierlich weiter an. Lag der durchschnittliche monatliche Eigenanteil für einen Platz in einer stationären Pflegeeinrichtung in Hessen zum 01.01.2018 noch bei 1.694 Euro, beträgt er zum 01.07.2021 bereits 2.077 Euro. Hessische Pflegebedürftige müssen aktuell pro Monat 383 Euro mehr bezahlen als noch vor dreieinhalb Jahren. Das entspricht einer Steigerung von 22,6 %.

 

Uebersicht finanzielle Belastung in stationaeren Pflegeeinrichtungen Hessen Juli 2021
Claudia Ackermann

Die kontinuierliche Steigerung der Belastung für Pflegebedürftige ist besorgniserregend. Sie zeigt, dass die bisherigen Bemühungen des Gesetzgebers zur Reform im Bes. der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung nicht ausreichen. Die Finanzierung der Pflege muss langfristig gesichert und die Pflegebedürftigen müssen durch eine dauerhafte Begrenzung der Eigenanteile spürbar entlastet werden. Außerdem sollte der Beitragssatz in der Pflegeversicherung stabilisiert werden. Dazu müssen sich z.B. die Bundesländer ihrer Verantwortung stellen und die Investitionskosten, die heute von den Pflegebedürftigen direkt gezahlt werden, verbindlich übernehmen. Nur dann kann eine gute Pflege für alle Versicherten wieder bezahlbar werden, auch in Hessen.

Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen

Gleichzeitig herrscht in der Pflege ein enormer Fachkräftemangel. Durch die „Konzertierte Aktion Pflege“ (KAP) hat die noch amtierende Bundesregierung bereits einige Verbesserungen auf den Weg gebracht. Darüber hinaus müssen sich die Arbeitsbedingungen weiter verbessern. Hier sind die Tarifpartner und der Gesetzgeber in der Pflicht. Bereits heute gibt es z.B. die Möglichkeit, einen Tarifvertrag in der Altenpflege für allgemeinverbindlich zu erklären.

Die Ersatzkassen befassen sich insbesondere auch mit der Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Die Pflegeversicherung muss auskömmlich finanziert werden, um auch in Zukunft stabil zu bleiben und ihr Leistungsniveau halten zu können. Der vdek hat sich im Dezember 2020 deshalb zu den wichtigen Finanzierungsfragen positioniert und konkrete Reformvorschläge unterbreitet:

 

Eckpunkte zur Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung

Stand: 04.12.2020 Eckpunkte zur Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung

Beschlossen durch die Mitgliederversammlung

 

In quasi letzter Sekunde hat sich die aktuelle Koalition auf eine Mini-Pflegereform im Rahmen des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) geeinigt. Demnach sollen die Tarifbindung in der Pflege gestärkt und die Eigenanteile der Pflegebedürftigen teilweise begrenzt werden, Letzteres abhängig von der Dauer des Verbleibs in einer stationären Pflegeeinrichtung. Leider wurde jedoch die Forderung nach einer Erhöhung der Erstattungsbeträge für die Pflegebedürftigen nicht aufgegriffen.

Aus Sicht des vdek gehen jedoch auch diese Schritte nicht weit genug, eine Rundum-Reform in der Pflege ist nach wie vor dringend erforderlich. Nötig ist eine Reform, die die Finanzierung der Pflege dauerhaft absichert. Investitionskosten in der Pflege müssen verbindlich von den Ländern übernommen und der Steuerzuschuss auf einem angemessenen Niveau verstetigt und dynamisiert werden. Zudem muss die private Pflegeversicherung am gemeinsamen Finanzausgleich der Pflegekassen beteiligt werden. Alleine Letzteres könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr entlasten.

Der vdek und die Ersatzkassen in Hessen fordern daher weiterhin

Die Tarifpartner und sofern nötig der Gesetzgeber müssen ihre Möglichkeiten nutzen, um für gute Arbeitsbedingungen in der Pflege zu sorgen. Dazu gehören nicht nur angemessene Löhne, sondern auch entsprechende Regelungen zu wichtigen Rahmenbedingungen wie Arbeitszeitrahmen, Urlaubsansprüche oder Teilzeitregelungen. Das kann dazu beitragen, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten und in der Folge mehr Personal für die Pflege zu gewinnen.

Die Vorhaben der „Konzertierten Aktion Pflege“ (KAP) müssen konsequent verfolgt, umgesetzt und unter Beteiligung aller Akteure auch sinnvoll fortgeschrieben werden. Hier gibt es gesetzgeberisch enormen Aufholbedarf. Dazu gehört auch, mehr für Personalgewinnung und -ausbildung zu tun, etwa durch die Anwerbung ausländischer Pflegefachkräfte und die Nach- und Weiterqualifizierung von Pflegehilfskräften zu Pflegefachkräften. Ebenfalls sollte, wie in der KAP verabredet, den Pflegefachkräften mehr Verantwortung zugetraut und übertragen werden. Die Pflegefachkräfte sind durch eine hochwertige Ausbildung dafür entsprechend qualifiziert. Dies würde die Attraktivität dieser Jobs erhöhen.

In der Ausbildung von Pflegefachkräften sollten pflegediagnostische Kompetenzen stärker in den Fokus genommen werden. Außerdem müssen die Chancen der Digitalisierung auch in der Pflege genutzt und fortentwickelt werden. Durch eine sukzessive Umstellung auf schlanke, elektronische Datenprozesse können die Pflegekräfte z.B. bei den notwendigen Verwaltungsaufgaben zeitlich entlastet werden.

Die Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege müssen zu einem jährlichen Entlastungsbudget zusammengefasst werden. Dieses Entlastungsbudget ist ein bereits im letzten Koalitionsvertrag auf Bundesebene verankertes Finanzierungskonzept für die häusliche Pflege, das den Zugang zu Pflegeleistungen vereinfachen soll, indem mehrere Leistungsbudgets zusammengefasst werden. Das unterstützt vor allem die pflegenden Angehörigen, sofern das Entlastungsbudget flexibel und unbürokratisch in Anspruch genommen werden kann. Für die Tages- und Nachtpflege gibt es jeweils ein eigenständiges Budget, das sich an den Pflegegraden orientiert. Diese Regelung hat sich in der Praxis bewährt und sollte weitergeführt werden.

Ferner muss ein dauerhafter Steuerzuschuss die Pflegeversicherung stützen. Die Absicherung des Pflegerisikos ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die verlässlich finanziert werden muss. Dieser Steuerzuschuss muss dauerhaft fließen, um die Gefahr einer „Finanzierung nach der jeweiligen Kassenlage“ und kurzfristige Beitragssatzerhöhungen zu verhindern. Der Zuschuss könnte regelgebunden z. B. als Anteil der Leistungsausgaben im gleichen Verhältnis wie die Ausgaben der Pflegeversicherung dynamisiert werden.

Die finanzielle Gesamtbelastung der Pflegebedürftigen darf ebenfalls nicht unvermindert weiter steigen. Sonst werden immer mehr Menschen trotz der Leistungen aus der Pflegeversicherung zusätzlich auf Sozialhilfe angewiesen sein. Hier sind dringend politische Lösungen gefordert, da die erfolgten und noch zu erwartenden Mehrbelastungen z. B. durch höhere Tariflöhne in der Pflege die Belastungen noch weiter steigen lassen und im ambulanten Bereich dazu führen, dass die Pflegebedürftigen sich immer weniger Leistungen „einkaufen“ können.

Die im SGB XI verankerten Leistungsbeträge müssen einmalig angehoben werden, um eine kurzfristig spürbare Entlastung für die Pflegbedürftigen bei den pflegebedingten Eigenanteilen zu schaffen. Dadurch könnten die bereits eingetretenen und noch zu erwartenden Mehrbelastungen jedenfalls teilweise ausgeglichen werden. Im vollstationären Bereich würde damit der von Pflegebedürftigen zu tragende einrichtungseinheitliche Eigenanteil reduziert werden. Im ambulanten Bereich könnten die Pflegebedürftigen mehr Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen. Dies wiederum würde zu einer Entlastung der pflegenden Angehörigen führen.

Die private Pflegeversicherung (PPV) muss sich am gemeinsamen Finanzausgleich mit der sozialen Pflegeversicherung (SPV) beteiligen. Dies ist nur angemessen, da die PPV im Vergleich zur SPV vor allem einkommensstarke Personen mit guten Risiken (geringere Pflegewahrscheinlichkeit) versichert. Nach Ansicht von Experten findet hier aktuell eine Risikoselektion statt. Der Finanzausgleich könnte die SPV um bis zu zwei Milliarden Euro jährlich entlasten.

Die Bundesländer müssen verbindlich die Investitionskosten der Pflegeeinrichtungen übernehmen. Die Förderung von Investitionskosten ist gemäß den Vorschriften des SGB XI Aufgabe der Länder. Bei Einführung der SPV sollte so eine Kompensation für die erhebliche finanzielle Entlastung der Länder bei der Sozialhilfe erreicht werden. Dieser Aufgabe kommen die Länder aber bis heute nicht umfassend nach und nutzen die derzeit unverbindliche Regelung im SGB XI, um sich ihrer finanziellen Verantwortung zu entziehen. Dies führt in der Praxis dazu, dass die Investitionskosten auf die Vergütungssätze umgelegt und damit von den Pflegebedürftigen getragen werden. Aktuell belaufen sich die dadurch verursachten Mehrkosten bundesdurchschnittlich auf 453 Euro je Monat und Pflegebedürftigen. Die Pflegebedürftigen sollen jedoch gerade nicht für die Investitionskosten aufkommen. Durch eine verbindliche Verpflichtung der Länder zur Übernahme der Investitionskosten würde die finanzielle Belastung der Pflegebedürftigen kurzfristig deutlich gesenkt.

Die Kosten der medizinischen Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen müssen weiterhin durch die SPV und nicht die gesetzlichen Krankenkassen getragen werden. Eine Verlagerung in die GKV wäre u.a. mit einem erheblichen Bürokratieaufwand bei den Krankenkassen verbunden. Die Leistungen müssten zukünftig ärztlich verordnet und von der Krankenkasse genehmigt werden. Dies würde auch für die Versicherten ein Mehr an Aufwand bedeuten.