Interview mit dem Leitungsteam des Hessischen Krebsregisters

"Die bisher bereits erfassten Daten im Hessischen Krebsregister sind enorm!"

Dr. med. Soo-Zin Kim-Wanner, Leiterin der Landesauswertungs- und Abrechnungsstelle, Martin Rapp, Organisatorischer Leiter der Vertrauensstelle, und Dr. med. Gunther Rexroth, Ärztlicher Leiter der Vertrauensstelle, sind das Leitungsteam des Hessischen Krebsregisters. Im Interview sprechen sie u.a. über den Beitrag des Hessischen Krebsregisters zur onkologischen Versorgungsforschung, die Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten in Hessen und den Einfluss des geplanten Krebsregisterdatengesetzes auf ihre Arbeit.

Dr. med. Soo-Zin Kim-Wanner_copyright Carmen Worm

Frau Dr. med. Soo-Zin Kim-Wanner, die Auf- und Umbauphase zum klinischen Krebsregister wurde in Hessen abgeschlossen. Was bedeutet das konkret?

Krebs primär zu verhindern, früh zu erkennen, erfolgreich zu behandeln und die betroffenen Patientinnen und Patienten umfassend zu unterstützen, ist eine gemeinsame Aufgabe der medizinischen Institutionen, der Politik und der Gesamtgesellschaft. Für die Wissenserweiterung bilden Daten von Krebspatientinnen und –patienten eine wichtige Grundlage. Das Hessische Krebsregister hat hierbei die gesetzliche Aufgabe, flächendeckend und sektorenübergreifend Krebsdaten von hessischen Patientinnen und Patienten zu registrieren, um sie unter anderem für die Forschung und den Wissensgewinn bereit zu stellen.

Durch den erfolgreichen Aufbau des hessischen Krebsregisters wurde der Grundbaustein für eine umfassende Datenbank mit Krebsbehandlungen und -verläufen der Patientinnen und Patienten gelegt. Die aus den Daten generierbaren Erkenntnisse können nun für die Verbesserung der onkologischen Gesundheitsversorgung für die hessischen Bürgerinnen und Bürger genutzt werden, um Krebs in Zukunft noch erfolgreicher bekämpfen zu können.

Erklärtes Ziel der Krebsregister ist es, die Versorgung krebskranker Menschen im jeweiligen Bundesland weiter zu verbessern. Wie können Sie konkret zur Versorgungsverbesserung beitragen?

Dr. Kim-Wanner: Das Hessische Krebsregister trägt mit eigenständigen Analysen und Berichterstattungen zur onkologischen Versorgungsforschung bei und untersucht die Krebshäufigkeiten und die Qualität der onkologischen Versorgung in Hessen. Bei auffälligen Entwicklungen von Krebshäufungen kann aufbauend auf den Ergebnissen eine Ursachenbekämpfung durchgeführt werden. Durch das Aufzeigen und die regelmäßige Evaluation der onkologischen Versorgungsstrukturen und Versorgungsprozesse mit der Fragestellung, ob eine qualitativ gute Medizin allen hessischen Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung steht und angewendet wird, trägt das Hessische Krebsregister zur Qualitätssicherung bei. Im Austausch mit den Versorgenden in Hessen kann auf diese Weise die Versorgungsqualität gesichert und langfristig verbessert werden.

Dipl.-Inf. Martin Rapp_copyright Carmen Worm

Herr Rapp, Sie stehen in einem permanenten Austausch mit den behandelnden Ärzten, insbesondere den Onkologen. Wie genau läuft diese Zusammenarbeit ab und was konkret gilt es noch zu verbessern?

Das Hessische Krebsregister analysiert von den einzelnen behandelnden Einrichtungen die Behandlungsdaten und vergleicht sie mit dem hessischen Durchschnitt. Die Ergebnisse werden den einzelnen behandelnden Einrichtungen in einem jährlichen Rückmeldebericht für die eigene Evaluation zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus erfolgt der aktive Austausch mit den Leistungserbringern in regionalen Qualitätskonferenzen, bei denen entitätsspezifisch die Versorgungssituation detaillierter aufgearbeitet wird. Ein Ausbau der Qualitätskonferenzen als Instrument der Qualitätssicherung wird angestrebt. 

Ein Register kann allerdings nur so gut und so aussagekräftig sein, wie die Daten von denen es gespeist wird. Entsprechend muss auch das Hessische Krebsregister darauf achten, plausible und valide Daten zu erhalten, um eine hohe Datenqualität sicherzustellen. Der Austausch mit den behandelnden Ärzten ist daher von enormer Relevanz.

Es besteht aber auch zwischen den Ärzten ein guter fachlicher Austausch. Mit dem Hessischen Onkologiekonzept hat sich eine Vernetzung der onkologischen Versorgung entwickelt, diesen hat sich das Hessische Krebsregister zu Nutze gemacht. Sieben sogenannte regionale Koordinatoren unterstützen von den koordinierenden Kliniken aus in ihrer Region die Arbeit des hessischen Krebsregisters. Von hier bahnen sie die Meldetätigkeit der behandelnden Ärzte an, unterstützen bei Fragen um den Meldeprozess oder vermitteln auch Melderschulungen beim Hessischen Krebsregister. Sie sind somit ein wichtiger Multiplikator in der flächendeckenden Krebsregistrierung. Auch direkt aus dem Hessischen Krebsregister wird der Dialog zum behandelnden Arzt gesucht. Aktuell wurde ein sogenannter „Doku-Check“ für Neumelder etabliert, um frühzeitig in der Meldetätigkeit Rückmeldung zu den eigenen übermittelten Meldungen geben zu können. Aber auch das seit Jahren etablierte Nachfragemanagement, welches bei Unstimmigkeiten in den Daten den Dialog zum Meldenden sucht, trägt zunehmend zu einer Steigerung der Dokumentationsqualität bei.

Ausbaufähig ist jedoch noch die Meldetätigkeit, vor allem aus dem ambulanten Sektor. Hier wird im Hessische Krebsregister deutlich, dass längst nicht alle behandelnden Ärzte Ihrer gesetzlichen Meldepflicht nachkommen. Die Ursachen wurden analysiert, auch das Vorhaben der „regionalen Koordinatoren“ hat hier zu einem erheblichen Erkenntnisgewinn beigetragen. Im Dialog mit den behandelnden Ärzten konnten auch Defizite im Meldeprozess aufgedeckt werden. So gibt es in den wenigsten Praxen die Möglichkeit aus der eigenen Praxissoftware an das Hessische Krebsregister zu melden. Diesem Defizit ist das Hessische Krebsregister bisher mit einem Meldeportal begegnet, hier kann der behandelnde Arzt seine Patienten erfassen und melden. Um den Meldeprozess aber weiter zu vereinfachen, wird der Austausch mit den Softwareherstellern der Praxissysteme gesucht. Ziel ist es die ca. 5.200 Praxen in Hessen direkt, das heißt aus dem eigenen Praxissystem, anzubinden und dies möglichst über die Telematikinfrastruktur. Auch hier soll der Ansatz verfolgt werden, vorhandene Strukturen nutzen und den Meldeprozess möglichst schlank gestalten. Das Hessische Krebsregister muss aber auch Anlaufstelle für die behandelnden Ärzte sein, es muss sichtbar werden und die Prozesse nachvollziehbar werden. Auch aus dem Grund wurde die Internetpräsenz des Hessischen Krebsregisters deutlich ausgebaut. Hier sind für die verschiedenen Zielgruppen umfangreiche Informationen zu finden und der Ausbau geht auch hier stetig weiter.
Dennoch sollte der Blick nicht nur auf die noch möglichen Verbesserungen gelenkt werden. Die bisher bereits erfassten Daten im Hessischen Krebsregister sind enorm! Daher gilt unser Dank den vielen aktiven Melderinnen und Meldern, die bisher tatkräftig und regelmäßig an das Hessische Krebsregister melden, vielen, vielen Dank für die geleistete Arbeit.

Voraussichtlich Mitte 2021 soll das Krebsregisterdatengesetz in Kraft treten. Was bedeutet das für Sie und Ihre Arbeit?

Martin Rapp: Das Krebsregisterdatengesetz beeinflusst die Krebsregistrierung in Hessen nachhaltig, denn es wird auf Bundesebene auf den abgeschlossenen Umbau der Landeskrebsregister reagiert. Die Datennutzung rückt in einem 2-stufigen Verfahren in den Fokus. Die komplexe flächendeckende klinische Krebsregistrierung, welche in den verschiedenen Landeskrebsregistern aufgebaut wurde, soll genutzt werden, damit im Zentrum für Krebsregisterdaten (ZfKD) bundesweite klinische Auswertungen möglich werden. Für die Forschung sollen die Daten zur Verfügung gestellt werden, auch hierfür müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Vom Hessischen Krebsregister wird mit der Gesetzesnovelle ein viel größerer klinischer Datensatz zur Übermittlung an das ZfKD gefordert. Hier gilt es die Vollständigkeit des Datenbestandes zu erhöhen um somit flächendeckend aussagekräftige Daten zur Verfügung stellen zu können. Mit der Datenzusammenführung wird die Analyse der Krebsregisterdaten aus den Ländern möglich sein, und eine Verknüpfung mit anderen Daten wird angestrebt.
Somit kann man festhalten, dass mit Hilfe des neuen Krebsregisterdatengesetzes die Nutzungsmöglichkeiten der Krebsregisterdaten ausgebaut werden. Aus unserer Sicht wird die Krebsregistrierung in Deutschland gestärkt, was ausdrücklich zu befürworten ist.

Dr. med. Gunther Rexroth_copyright privat

Ein kurzer Ausblick: Was kann das hessische Krebsregister in 5 Jahren leisten?

Dr. Rexroth: Das hessische Krebsregister wird in 5 Jahren die Behandlung aller Tumorpatientinnen und -patienten in Hessen vollzählig und vollständig erfassen. Durch Einrichtung und Nutzung sicherer Meldewege sind das Hessische Krebsregister, alle hessischen Ärztinnen und Ärzte, die hessischen Krankenhäuser und die beteiligten hessischen (z.B. Krankenkassen) und gesamtdeutschen Institutionen (z.B. ZfKD) elektronisch so vernetzt, dass problemlos und unter Einhaltung aller Anforderungen einer strengen Datenschutzgesetzgebung, aktuell und effektiv Tumordaten an das Hessische Krebsregister gemeldet werden können. Der Patient ist insofern in das System integriert, als er jederzeit Zugriff auf seine Daten hat und vorgesehenen Datenübertragungen jederzeit widersprechen kann. In der Vertrauensstelle des Hessischen Krebsregisters werden die eingehenden Tumordaten tagesaktuell weitgehend automatisiert erfasst.

Dr. Kim-Wanner: In der Landesauswertungsstelle werden die eingehenden hessischen Daten ausgewertet, um die onkologische Versorgung in Hessen zu monitorieren und zu evaluieren. Quantitative und qualitative Versorgungsschwächen können einrichtungsbezogen und hessenweit identifiziert und rückgemeldet werden, um Verbesserungen zu bewirken. Zusätzlich bieten sich die bundesweit zusammengeführten Krebsregisterdaten an, zusätzliche wissenschaftliche Erkenntnisse für die onkologische Behandlung zu gewinnen. Insbesondere können Therapieempfehlungen, die anhand von klinischen Studien an einem selektionierten Patientenkollektiv ausgearbeitet wurden, an „Real Life“-Krebsregisterdaten überprüft werden. Darüber hinaus können wissenschaftliche Analysen mit Krebsregisterdaten neue Evidenz für Therapieempfehlungen bei Patientensubgruppen generieren, bei denen aufgrund von niedrigen Fallzahlen klinische Studien nicht vorliegen und nur schwer umsetzbar sind. Perspektivisch sieht sich das Hessische Krebsregister gemeinsam mit den bundesweiten Krebsregistern als feste gesundheitspolitische Struktur bundesweit, um die Qualität der onkologischen Versorgung zu sichern, sowie im Verbund mit den Kliniken und Forschungsinstitutionen Wissen zu generieren, um die onkologische Behandlung für die Patientinnen und Patienten zu verbessern.