Versorgungssysteme am Patientenwohl ausrichten

Eine aktuelle Studie der Bertelsmannstiftung zeigt Lösungswege

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Mit der Studie „NOTFALLVERSORGUNG & RETTUNGSDIENST IN DEUTSCHLAND. Partikularismus vs. Systemdenken“ der Maastricht University, die im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung und der Björn-Steiger-Stiftung erstellt wurde und am 24.11.2022 erstmals veröffentlicht wurde, liegen erstmals Vorschläge vor, mit denen die Notfallversorgung unabhängig von den beteiligten Sektoren anhand des Patientenwohls ausgerichtet werden könnte. Da in den letzten Jahren in einer Vielzahl von Studien und Stellungnahmen die Defizite in der Notfallversorgung mit einer weiten Übereinstimmung festgestellt wurden, besteht offenbar nur noch in der Frage der Umsetzung weitgehender Dissens. Hierfür sind auch nach der Studie der Maastricht University partikulare Interessenslagen und zersplitterte Zuständigkeiten verantwortlich, die eher zu Besitzstandswahrung als zu einer patientenzentrierten Weiterentwicklung der Versorgung führen. Zentrales Instrument für einen Ausweg aus dem Partikularismus wären Vorgaben zur Mindeststandards in und der Qualität der Versorgung durch den G-BA gemäß § 135a Abs. 1 SGB V: Hier wird die Verpflichtung aller Leistungserbringer zur Qualitätssicherung vorgegeben, ein entsprechender Auftrag durch den Bundesgesetzgeber an den G-BA mit der Vorgabe bundesweit einheitlicher Qualitätsstandards könnte demnach auch erteilt werden.

Zur Konkretisierung werden in der Studie 10 Kernthesen formuliert, die neben der Forderung nach einem neuen Zielbild für die Notfallversorgung auch konkrete Vorschläge für deren Umsetzung formulieren. Hierzu gehört u.a. die Umwandlung und Zusammenführung der getrennten Notrufnummern 112 und 116177 in sog. (virtuelle) Single Point of Contacts. Diese zentralen Gesundheitsleitstellen sollen ein möglichst breites Leistungsspektrum für die telefonische Koordinierung und Beratung von Patientenanliegen abdecken, vom echten Notruf bis zu Gesundheitsberatung. Dafür werden weitere Maßnahmen vorgeschlagen, die u.a. die strukturellen Voraussetzungen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen einer solchen Strukturreform betreffen.

Die zehn zentralen Thesen der Maastricht University finden Sie in der Studie ab S. 141.

Claudia Ackermann

Das ist die erste Studie zur Notfallversorgung, die konsequent die Patientenperspektive einnimmt und Lösungswege aufzeigt, die alleine im SGB V liegen. Das Patientenwohl darf nicht durch Sektorengrenzen im Gesundheitssystem oder föderale Befindlichkeiten gefährdet werden. So müssen die in der Studie der Maastricht University dargestellten Defizite der öffentlichen Gefahrenabwehr zu Lasten der Patientinnen und Patienten sowie der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler endlich behoben werden. Gerade die Identifizierung von Best Practice Beispielen aus anderen Ländern muss im deutschen Gesundheitssystem insgesamt, besonders aber bei der Notfallversorgung deutlich mehr berücksichtigt werden. Auch das ist eine wichtige Erkenntnis der Wissenschaftler:innen aus Maastricht. Hier sind der Bund bezüglich einer Neuregelung im SGB V und die Bundesländer im Anschluss bei der Umsetzung gefordert. Die Notfallpatient:innen haben im wahrsten Sinne des Wortes keine Zeit mehr.

Claudia Ackermann, Leiterin der vdek-Landesvertretung Hessen