Interview mit Arne Trumann, Regionalsprecher Nord der Deutschen Sepsis-Hilfe e. V.

"Das wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind"

Arne Trumann, 2. stellvertretender Vorsitzender der Sepsis-Hilfe

Arne Trumann ist Regionalsprecher Nord der Deutschen Sepsis-Hilfe e.V. und damit u. a. für Schleswig-Holstein zuständig, wo er seit einigen Monaten auch lebt. Außerdem ist er 2. stellvertretender Vorsitzender der Patientenorganisation auf Bundesebene.

Der heute 55 Jahre alte Familienvater und leidenschaftliche Klavierspieler hat vor elf Jahren infolge einer Sepsis sieben Fingerkuppen verloren. Die Sepsis war nicht rechtzeitig erkannt worden.

vdek: Sie waren 44 Jahre alt, als Sie eine Sepsis erlitten und diese nur mit Glück überlebten. Wie kam es dazu? 

Arne Trumann:  Das ist eine ganz typische Geschichte. Ich hatte mir einen grippalen Infekt eingefangen und war auch krankgeschrieben gewesen. Ich hatte schon wieder einige Tage gearbeitet, fühlte mich aber noch schlapp. Am Freitagnachmittag fühlte ich mich dann richtig krank. Meine Frau rief den hausärztlichen Notdienst. Der kam dann auch, aber er hat mich gar nicht richtig untersucht. Er sagte mir, dass ich mich ins Bett legen solle und dann mal sehen solle, wie es mir am nächsten Tag geht.

vdek: So lange haben Sie aber nicht gewartet?

Arne Trumann: Nein, denn meine Frau und ich hatten beide das Gefühl, das ist was Ernstes. Wir riefen noch am Abend den Notruf 112. Der Notarzt war Intensivmediziner und hat schon bei der Untersuchung schnell den Verdacht gehabt, dass das ein septischer Schock sein könnte – und dann ging es auch gleich mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus. Bei der Einlieferung war ich verwirrt und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

vdek: Wie ging es dann weiter?

Arne Trumann: Ich lag 30 Tage im künstlichen Koma. Das einzige, an das ich mich erinnere, sind horrorartige Alpträume, die offenbar durch die Medikamente ausgelöst wurden. Das berichten auch andere Sepsis-Patienten. Das war echt fies. Das wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind! Später erzählten mir die Ärzte, dass meine Überlebenswahrscheinlichkeit 60 zu 40 war – gegen mich!

vdek: Den Kampf um Ihr Leben haben Sie gewonnen – aber Sie haben bleibende Schäden davongetragen …

Arne Trumann: Als ich aufwachte, waren alle Finger noch dran, aber sieben von zehn waren schwarz, steif und ohne Gefühl. Nach zehn Tagen stellte sich die Frage der Amputation. Ich habe beide Hände auf einmal machen lassen, so dass ich schneller durch war damit. Die Finger sind zum Glück nicht so kurz geworden wie befürchtet. Aufgeben kam für mich nicht in Frage. Ich wollte mein altes Leben wiederhaben – einschließlich Klavierspielen!

vdek: Was war der konkrete Impuls für Ihr Engagement in der Sepsis-Hilfe

Arne Trumann: Das war die Erfahrung mit den zwei Ärzten vor der Einlieferung ins Krankenhaus. Es kann doch nicht sein, dass einer den septischen Schock sofort erkennt, während der andere gar nicht auf die Idee kommt. Dieses Missverhältnis hat mich nachdenklich gestimmt und ich habe beschlossen, die Initiative zu ergreifen. Ich habe mich gefragt, was kann ich tun, damit das anderen Menschen nicht passiert.

vdek: Wo setzt die Aufklärung dabei an?

Arne Trumann: Das frühe Erkennen ist immens wichtig – ähnlich wie bei Herzinfarkt oder Schlaganfall. Da fragt doch auch keiner, ob der Patient ins Krankenhaus muss. In jeder Stunde, in der eine Sepsis unerkannt bleibt, sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit um vier bis sieben Prozent.

vdek: Sie engagieren sich nicht nur regional in der Sepsis-Hilfe, sondern auch bundesweit. Wen wollen Sie mit Ihrer Aufklärungsarbeit erreichen?

Arne Trumann: Aufgrund meiner Erfahrungen wende ich mich oft direkt an Ärzte, um diese für das Thema zu sensibilisieren und ihnen die Sepsis aus der Sicht eines Patienten zu schildern. Das mache ich unter anderem im Rahmen von Weiterbildungen. Hier ist ein wichtiger Punkt die Schock-Symptomatik, die bei einer Sepsis oft und deutlich vorkommt. Ein Schock kann auch andere Ursachen haben, aber wenn ein Arzt dann denkt „Das könnte auch eine Sepsis sein“, ist schon viel gewonnen! Wenn ich Vorträge auf Ärztekongressen halte, sitze ich in der Regel am Klavier und spiele, während das Publikum in den Saal kommt. Im Vortrag erfahren sie dann, dass ich mit sieben verkürzten Fingern spiele – das bleibt hängen.

vdek: Die gerade gestartete Kampagne #DeutschlandErkenntSepsis verfolgt einen anderen Ansatz – sie will das Thema in die breite Öffentlichkeit zu tragen …

Arne Trumann: Das ist eine optimale Ergänzung, denn es ist genauso wichtig, dass auch medizinische Laien ein Bewusstsein für die Sepsis entwickeln. Man kann leider nicht sagen. „Tue dies und lasse das, dann bekommst du keine Sepsis!“ So funktioniert das nicht. Es geht eher in die Richtung „Wenn du diese Symptome hast und dich unendlich krank fühlt, denk an Sepsis!“ Um das Bewusstsein für die Sepsis zu verbreitern, wünsche ich mir, dass das Thema verbindlich in Erste-Hilfe-Kursen oder im Biologie-Unterricht in der Schule vorkommt. 

vdek: Und bei welchen Symptomen sollten die Alarmglocken schrillen?

Neben dem Schockzustand sind das beispielsweise Bewusstseinseinschränkungen oder unnormales Verhalten. Das können auch medizinische Laien bemerken, wenn sie in Gesellschaft mit einem an Sepsis-Erkrankten sind, den sie sonst als gesunden Menschen kennen.

vdek: Was könnte sich Deutschland von anderen Ländern abgucken, um Sepsis besser zu erkennen?

Arne Trumann: In England wurden landesweit in jeder Bushaltestelle Plakate aufgehängt mit der Frage „Könnte das Sepsis sein?“ Die Menschen haben das jeden Tag gesehen. Morgens auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule – und noch einmal auf dem Heimweg. Da bleibt was hängen und die Menschen fangen an, darüber nachzudenken – so ähnlich wie in Deutschland in den 1980er Jahren mit der AIDS-Kampagne.

vdek: Wenn Die ganze Welt redet derzeit fast nur über Corona. Ist das nicht ein schwieriger Zeitpunkt für den Start einer Sepsis-Kampagne?

Arne Trumann: Ganz im Gegenteil! Das war so nicht geplant, aber Corona ist für uns sogar eine Chance, mehr Menschen zu erreichen. Viele COVID-Patienten sterben an bzw. mit einer Sepsis, weil ihr ohnehin geschwächtes Immunsystem dadurch komplett überfordert wird. Deshalb gibt es – leider - kaum einen besseren Zeitpunkt. Wir konnten so auf einen Zug aufspringen, den wir allein nie so in Gang bekommen hätten.