Interview

vdek: Warum engagiert sich gerade das HELIOS-Klinikum bei der Organspende?

Dr. Torsten Meinig: Das HELIOS-Klinikum Erfurt ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung, das mit Ausnahme der Herzchirurgie alle medizinischen Disziplinen vorhält. In den Kliniken für Neurochirurgie, Neurologie, Anästhesie, Intensivmedizin und Schmerztherapie, der 3. Medizinischen Klinik sowie im Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie und Neuroradiologie werden interdisziplinär u. a. Patienten mit schweren Hirnschädigungen behandelt. 83 Patienten verstarben 2012 auf einer Intensivstation an einer Erkrankung oder Verletzung des Gehirns und kamen damit prinzipiell als Organspender in Frage. Im HELIOS-Klinikum Erfurt werden ebenfalls Patienten behandelt, die entweder auf der Warteliste für eine Organtransplantation stehen oder bereits transplantiert wurden. Unsere Nephrologen betreuen Dialysepatienten, die auf eine Niere warten. Wir sehen also einerseits Patienten vor und nach einer Transplantation und betreuen andererseits potenzielle Organspender. Deshalb leistet unser Klinikum seinen Anteil an der Gemeinschaftsaufgabe Organspende. Im Jahr 2004 wurde und in diesem Jahr wird unser Klinikum für sein Engagement im Bereich der Organspende durch die Gesundheits- und Sozialministerien der mitteldeutschen Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) ausgezeichnet.

vdek: Wie viele Organe sind im vergangenen Jahr im HELIOS-Klinikum entnommen worden?

Dr. Torsten Meinig: 2012 wurden 4 Organspenden erfolgreich durchgeführt, 14 Organe wurden dabei insgesamt entnommen. In den letzten Jahren lag die Zahl der realisierten Organspenden zwischen 4 und 8.

vdek: Gibt es einen Transplantationsbeauftragten in Ihrem Haus?

Dr. Torsten Meinig: Das HELIOS-Klinikum Erfurt führte bereits im Jahr 2002 als eines der ersten Häuser einen ärztlichen und pflegerischen Transplantationsbeauftragten ein. Ich übe diese Funktion nun bereits über 11 Jahre aus.

vdek: Wie wird die Organentnahme in Ihrem Haus organisiert?

Dr. Torsten Meinig: Um die potenziellen Organspender nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft jederzeit optimal zu behandeln, den Hirntod zweifelsfrei nach den Richtlinien der Bundesärztekammer festzustellen und bestmögliche Transplantationsergebnisse ermöglichen zu können, haben wir alle Strukturen und Abläufe bei einer Organspende standardisiert und für alle Mitarbeiter rund um die Uhr verfügbar im Intranet als Checkliste hinterlegt. Sobald bei Patienten mit einer schweren Hirnschädigung nach Ausschöpfung aller therapeutischer Maßnahmen Symptome auftreten, die auf einen vollständigen Ausfall aller Hirnfunktionen hinweisen, wird die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) informiert. Nach der Feststellung des Hirntodes und bei Vorliegen einer Zustimmung des Verstorbenen für eine Organentnahme kommt ein Koordinator der DSO in unser Klinikum und organisiert alle weiteren Maßnahmen (Welche Organe können entnommen werden? Welche Transplantationszentren entnehmen/transplantieren die Organe? Welcher Patient von der Warteliste erhält die Organe?) Durch differenzierte Intensivtherapie wird der Zustand des Organspenders bis zur Entnahme stabil gehalten, um eine bestmögliche Transplantatfunktion zu gewährleisten.

Die Angehörigen des Organspenders werden vom Beginn der Behandlung an vertrauensvoll begleitet und regelmäßig über den Stand der Diagnostik und Therapie informiert.

vdek: Wie erfahren Sie, wer Organspender ist?

Dr. Meinig: Nur ca. 10 Prozent der Bevölkerung haben entweder in Form eines Organspendeausweises oder in einer Patientenverfügung die Zustimmung oder Ablehnung einer Organentnahme nach dem Tod schriftlich dokumentiert. In den 20 Jahren meiner Arbeit auf den Intensivstationen unseres Hauses hatten nur 2 Patienten einen Organspendeausweis, bei denen eine Organspende durchgeführt wurde! In der Regel müssen wir mit Hilfe der Angehörigen den mutmaßlichen Willen des im Hirntod Verstorbenen in Bezug auf eine Organspende ermitteln. Dies ist für die Familie in einer Phase größter Erschütterung und Trauer sehr oft eine extrem schwierige Entscheidung. Daher kann ich nur an alle Bürger appellieren, eine ganz persönliche Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen, diese mit den Angehörigen zu besprechen und in einem Organspendeausweis festzuhalten. In eine Patientenverfügung sollte ein separater Passus zur Organspende aufgenommen werden. Da nicht selten in einer Patientenverfügung intensivmedizinische Maßnahmen abgelehnt werden, die zur Feststellung des Hirntodes bzw. Vorbereitung zur Organentnahme notwendig sind, sollte klar vermerkt werden, ob im Falle eines sich abzeichnenden Hirntodes die Patientenverfügung oder der Wille zur Organspende Vorrang hat.

vdek: Sind durch die neuen gesetzlichen Regelungen zur Organspende (Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes und Gesetz zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz) die Organspenden aus Ihrer Sicht gestiegen?

Dr. Torsten Meinig: In den vielen Jahren meiner öffentlichen Arbeit für die Organspende in Form von Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen habe ich immer wieder festgestellt, dass in der Bevölkerung zu wenig Information zum Thema Organspende vorhanden ist. Daraus resultiert nicht selten mangelndes Vertrauen. Außerdem gaben viele Bürger an, nicht zu wissen, wo man einen Organspendeausweis erhalten könne. Dies hat eine repräsentative Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) aus dem Jahr 2010 bestätigt. Gemäß dem novellierten Transplantationsgesetz erhalten seit diesem Jahr alle Versicherten von ihren Krankenkassen Informationsmaterial zur Organspende sowie einen Organspendeausweis per Post. Inwieweit diese Maßnahme zu einer Steigerung der Organspendezahlen führen wird, kann derzeit noch nicht gesagt werden.