Pflegebudget

Grußworte/Reden des Ersatzkassenverbandes in Thüringen

Das Pflegebudget – Impuls für Politik und Praxis

Redebeitrag von Michael Domrös
Leiter der Landesvertretung der Ersatzkassenverbände in Thüringen
anlässlich der Erfurter Abschlussveranstaltung am 20. März 2008 in Erfurt

- es gilt das gesprochene Wort -


Sehr geehrte Damen und Herren,

ich darf mich zu Beginn meiner Ausführungen erst einmal sehr herzlich für die Einladung und die mir eingeräumte Möglichkeit eines Grußwortes bedanken. Ich bin dieser Einladung sehr gern gefolgt, bietet sie mir die Möglichkeit, mit Ihnen, sehr verehrte Anwesende, sozusagen ein Stück besonderes pflegerisches Engagements in Thüringens Landeshauptstadt in den letzten vier Jahren Revue passieren zu lassen.

Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie umfasst deutlich mehr als die Hilfen, welche wir als Pflegekassen geben können.

Ausgehend von der heutigen Pflegesituation können wir sagen, dass in Deutschland von fast 2,1 Mio. Leistungsbeziehern in der Pflegeversicherung etwa zwei Drittel in der eigenen Häuslichkeit betreut werden. Das heißt, ca. 1,4 Mio. Menschen werden täglich von ihren Angehörigen oder von professionellen Pflegediensten und über ehrenamtliche Arbeit zu Hause betreut. Diese Pflegebedürftigen werden mit Essen versorgt, gewaschen, behandelt und gepflegt.

Wir alle wissen, dass gerade im Bereich der Pflege seit Einführung der Pflegeversicherung enorm viel geleistet wurde. So gesehen habe ich das in den letzten vier Jahren modellhaft erprobte personenbezogene Pflegebudget als ein weiteres Angebot in der Pflegeversicherung verstanden. Ein Angebot, welches wir als Pflegekassen auch mit den nötigen finanziellen Mitteln aus dem Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung unterstützten konnten. Wir wollten durch die Einführung des Pflegebudgets wissen, ob und inwieweit die begleitenden Parameter (Sicherstellung der Qualität, Assessment-Verfahren, Case-Management) tatsächlich positive Effekte zeigen.

Als im September 2004 das Modellprojekt „Personenbezogenes Pflegebudget“ gestartet wurde, haben wir als Pflegekassen deshalb unsere Erwartungen klar ausgesprochen: Das Pflegebudget wurde aufgelegt, um zu erproben, unter welchen Bedingungen eine Flexibilisierung des Leistungsrechtes in der Pflegeversicherung zur weiteren Stabilisierung der Pflege in der Häuslichkeit beitragen kann. Die individuellen Pflegearrangements sollten sich deswegen nicht an starren Leistungskomplexen, sondern an den tatsächlichen Bedürfnissen der zu Pflegenden ausrichten und so ausgestaltet werden, dass pflegende Angehörige entlastet werden. Gleichzeitig sollte untersucht werden, wie das Case-Management als Unterstützung für die Betroffenen auszurichten ist.
Kurzum, was wir wollten, waren Vereinfachungen für die betroffenen Menschen. Sie sollten über Art und Einsatz der über die Pflegeversicherung bereitgestellten Mittel mit entscheiden können und dabei auch auf Dienstleister zurückgreifen können, die keinen Versorgungsvertrag mit der Pflegekasse haben. Letztendlich ging es uns darum, den pflegebedürftigen Menschen darin zu unterstützten, ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen. Das persönliche Pflegebudget sollte dem Pflegeversicherten die Möglichkeit bieten, sich seine eigenen individuell erforderlichen Hilfen selbst zu ergänzen bzw. sicherzustellen.

Sehr verehrte Damen und Herren,

als Pflegekassen wurden wir im Verlauf des Modellprojektes in regelmäßigen Zusammenkünften über die Case-Managerinnen zum Projektstand informiert. Zuletzt vor knapp einem Jahr. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich bereits ab, dass für alle Versicherten, die sich aktiv am Modellprojekt am Standort beteiligten, eine Verbesserung der Pflegesituation erreicht werden konnte.

Gleichzeitig war festzustellen, dass in Erfurt die Beteiligung am Modellprojekt hinter den Erwartungen zurückblieb. Genau so, wie die bisher vorliegenden Erfahrungen mit persönlichen Budgets aus anderen Sozialleistungsbereichen (SGB IX), zeigten uns auch die vier Jahre  "Persönliches Pflegebudget" in Erfurt auf, dass dieses nicht ohne weiteres akzeptiert wird.

Trotz ausführlicher Information der Versicherten über Inhalte und Möglichkeiten des zu erprobenden Konzeptes entschieden sich viele potentielle Teilnehmer gegen eine Beteiligung. Insbesondere in der Startphase wurde das Studiendesign nicht akzeptiert. Die 50%ige Chance, in der Vergleichsgruppe eingeordnet zu werden und damit von den neuen Möglichkeiten nicht direkt zu profitieren, führte in vielen Fällen zur Absage oder zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Modellprojekt. Im weiteren Verlauf sorgte dann hauptsächlich die Bedingung, dass die Leistungen von Angehörigen nicht über das Pflegebudget finanziert werden konnten, für einen Beteiligungsverzicht. Nicht zu unterschätzen war auch die Skepsis vieler ambulanter Pflegedienste – die Demonstrationen anlässlich des Symposiums in Erfurt sprachen eine deutliche Sprache.

Im Weiteren wurde deutlich, dass die wirtschaftliche Situation der Familien letztendlich ausschlaggebend ist für die Entscheidung, ob Geld- oder Sachleistungen aus der Pflegeversicherung bezogen werden. So lange das Pflegegeld ein wesentlicher Faktor im Familieneinkommen ist, wie insbesondere in den neuen Bundesländern, stehen weitergehende Überlegungen zur Flexibilisierung des Leistungsrechtes hauptsächlich für die Empfänger von Sachleistungen an erster Stelle. Dagegen profitierten durchweg alle Leistungsempfänger vom Case-Management.

Verehrte Anwesende,

auch wenn die soeben von mir gesprochenen Worte mehr oder weniger sehr kritisch waren, bleibt uns gemeinsam immer noch die Möglichkeit, vieles beim nächsten Mal noch besser zu machen. Was bleibt, ist die große Herausforderung, sich dem steigenden Anteil älterer und hochaltriger Menschen in unserer Gesellschaft zu stellen.

So gesehen werden mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz die Weichen in die richtige Richtung gestellt. Dass es dabei vor allem um Verbesserungen für Pflegebedürftige geht, versteht sich, so glaube ich, von selbst.

Die Reform, die der Bundestag vergangene Woche am 14. März 2008 beschlossen hat, wird zum 1. Juli 2008 in Kraft treten. Sie bringt erstmals seit ihrer Einführung 1995 Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige. Die Pflegekassen zahlen mehr Geld für die Versorgung zu Hause. Die Leistungen für professionelle Pflege und das Pflegegeld für Angehörige werden stufenweise bis 2012 erhöht. Auch Leistungen für schwer pflegebedürftige Heimbewohner steigen. Darüber hinaus werden die Pflegekassen verpflichtet, die Pflegeberatung weiter auszubauen. Analyse des Hilfebedarfes, Aufstellung eines Versorgungsplanes und Kontrolle von dessen Umsetzung - diese positiven Erfahrungen unseres Modellprojektes können zukünftig alle pflegebedürftigen Menschen in Anspruch nehmen. Weiterhin werden alle an der wohnortnahen Betreuung Beteiligten unter anderem zur Bereitstellung und Vernetzung aufeinander abgestimmter pflegerischer und sozialer Versorgungs- und Betreuungsangebote angehalten. Für die Ersatzkassen in Thüringen heißt dies, aufbauend auf den in Erfurt gewonnenen Erkenntnissen insbesondere über vertragliche Strukturen den Aufbau von Netzwerken zu fördern.

Verehrte Anwesende,

am Schluss meiner Rede angekommen, möchte ich die Gelegenheit nicht verstreichen lassen, um unseren Partnern bei der Umsetzung des persönlichen Pflegebudgets in Erfurt auf das Herzlichste zu danken. Allen voran denen, welche mit ihrem Engagement und ihrer Unermüdlichkeit gewirkt haben. Ich danke den Case-Managerinnen, Frau Eggers, Frau Meier und Frau Römer-Kirchner. Ich danke ebenso Herrn Prof. Dr. Klie für seine wissenschaftliche Begleitung. Und ich danke Ihnen, Herr Oberbürgermeister Bausewein, dass Sie uns die Möglichkeit gaben, in Thüringens Landeshauptstadt tätig werden zu können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.



Anfragen richten Sie bitte an:

Kerstin Keding
Tel.: 03 61 / 4 42 52 - 27
eMail: Kerstin.Keding@vdak-aev.de