Integrierte Gesundheitsversorgung

Gestaltungsspielräume schaffen und nutzen

Mit dem Start der Anschubfinanzierung für die Integrierte Gesundheitsversorgung (IGV) im Jahr 2004 ist es zu einem Boom von Vertragsabschlüssen gekommen. Wie erfolgreich gestaltete sich die Umsetzung? Was lehrt die Erfahrung? Und welchen Stellenwert hat die IGV heute, drei Jahre nach dem Auslaufen der Anschubfinanzierung?

Im Zuge der IGV hatte es oftmals den Anschein, dass der Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Krankenkassen ausschlaggebend war. Das eigentliche Ziel der fach- und sektorenübergreifenden Versorgungskonzepte, nämlich die stärkere Vernetzung von niedergelassenen Ärzten verschiedener Fachrichtungen mit Krankenhäusern, Rehabilitationseinrichtungen und weiteren Leistungserbringern zum Wohle einer besseren und gleichzeitig wirtschaftlicheren Versorgung, war eher zweitrangig. Die KKH-Allianz hatte von Anfang an den Anspruch, eine Vorreiterrolle als innovativer Dienstleister im Verhältnis zu ihren Versicherten einzunehmen. Sie hat sich deshalb eher zurückhaltend gegenüber zahlreichen unausgegorenen Vertragsangeboten positioniert. Aus Sicht der KKH-Allianz ist nicht die Zahl der IGV-Verträge entscheidend, sondern deren inhaltliche Ausrichtung an Versorgungsdefiziten wie etwa langen Wartezeiten, Doppeluntersuchungen, mangelnder leitliniengerechter Diagnostik und Therapie oder auch Informationslücken. Bis heute setzt die Krankenkasse auf integrierte Versorgungsprojekte.

Jedem Vertragsabschluss gehen sorgfältige Analysen zur Versorgungssituation voraus. Gemeinsam definierte Behandlungsabläufe und Dokumentationsinstrumente ermöglichen eine enge Zusammenarbeit erfahrener Spezialisten auf der Basis medizinischer Leitlinien und hoher Qualitätsstandards. Ein regelmäßiges internes Monitoring zeigt, ob Versorgungsabläufe optimiert und nachhaltige Verbesserungen von Qualität und Wirtschaftlichkeit erreicht werden. So lassen sich Auswirkungen von Fehlanreizen wie beispielsweise Mengenausweitungen oder „Rosinenpickerei“ identifizieren. Die wissenschaftlich fundierte Entwicklung und kontinuierliche Anpassung brachten den Behandlungsprogrammen der KKH-Allianz sogar internationale Anerkennung ein: Ein Programm zur Behandlung von chronischem Kopfschmerz und Migräne wurde mehrfach als „Leuchtturmprojekt“ ausgezeichnet und ist als Fallbeispiel für eine optimierte integrierte Versorgung fester Bestandteil im Lehrplan der Harvard Business School in Boston, USA.

Versicherte gezielt einbinden

Die Akzeptanz der Versicherten ist unzweifelhaft einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren. Die klassischen Instrumente zur Akquise von Teilnehmern – wie beispielsweise die Information über Mitgliederzeitschriften, Internet und Flyer – oder auch die Erwartung, dass die vertraglich gebundenen Leistungserbringer auf die eigenen Patienten zugehen, führen allein nicht zu zufriedenstellenden Teilnehmerzahlen. Aus den Erfahrungen von sieben Jahren IGV kann man feststellen, dass erst die gezielte und anlassbezogene Ansprache des Versicherten zu akzeptablen Teilnahmeraten führt. Im Rahmen des Versorgungsmodells „Aktiver Rücken“ der KKH-Allianz beispielsweise werden Versicherte aktiv angesprochen, wenn eine bestehende Arbeitsunfähigkeit auf eine Chronifizierung der Erkrankung hindeutet.

Nicht nur aufgrund des Auslaufens der Anschubfinanzierung im Jahr 2008 ist die Begeisterung vieler Krankenkassen für die IGV in den letzten Jahren abgeklungen – ein Grund ist auch, dass die erwarteten Wirtschaftlichkeitspotenziale vielerorts nicht gehoben werden konnten. Für die KKH-Allianz traf dies nicht in dem Maße zu: Die erfolgreichen Angebote wurden ausgebaut und die Zahl der Verträge wuchs.

Allerdings stellen viele neue gesetzliche Regelungen eine besondere Herausforderung dar und konterkarieren die vom Sachverständigenrat (SVR) zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen im Jahr 2007 formulierte Erwartung, dass die Integrierte Gesundheitsversorgung nun endlich unausgeschöpfte Rationalisierungsreserven erschließen möge. Der SVR hatte aber gleichzeitig erkannt, dass sich positive Auswirkungen nicht ohne Investitionen realisieren lassen, die zudem erst nach mehreren Jahren eintreten könnten.

Politik muss Voraussetzungen schaffen

Die Einführung des Gesundheitsfonds führte jedoch dazu, dass viele Kassen gerade das Risiko von Investitionen in Versorgungsprogramme, die sich absehbar erst nach mehreren Jahren amortisieren, nicht mehr übernehmen können beziehungsweise wollen. Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz deutet zudem darauf hin, dass in Zukunft aufsichtsrechtliche Fragen auch mit allen vom Selektivvertrag betroffenen Landesbehörden vor Vertragsschluss abschließend diskutiert werden müssen. Allein diese beabsichtigte Neuerung wird aufgrund der zusätzlichen Bürokratiekosten zu einem weiteren Attraktivitätsverlust der IGV führen.

Und doch: Aus Sicht der KKH-Allianz ist die IGV trotz der erhöhten Anforderungen nach wie vor bedeutend. Schließlich stellen Selektivverträge eine der wenigen Möglichkeiten dar, in der ein deutlicher Gestaltungsspielraum im Hinblick auf eine bessere Versorgung besteht. Es ist jedoch notwendig, auf die Politik einzuwirken, damit die strukturellen Voraussetzungen für die selektivvertragliche Versorgung verbessert und wettbewerbliche Freiheiten gesichert werden. Deshalb engagiert sich die KKH-Allianz in der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung im Gesundheitswesen e.V. (DGIV), die sich für die Durchsetzung der IGV als gesundheitspolitisches Prinzip in allen Bereichen des Gesundheitswesens stark macht. Sie wird auch künftig gemeinsam mit kompetenten Leistungserbringern die selektivvertraglichen Freiheiten nutzen und innovative Versorgungsmodelle entwickeln, deren qualitativen und wirtschaftlichen Erfolge messbar sind.

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