AMNOG

Arzneimittelausgaben fest im Blick

Zum 1. Januar 2011 ist das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) in Kraft getreten – in erster Linie, um die stetig steigenden Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einzudämmen. Inwieweit wurde das Ziel erreicht? Wo sind Erfolge zu verzeichnen, wo muss nachgebessert werden? Eine Jahresbilanz.

Das AMNOG war bereits die dritte Gesetzesnovelle binnen eines Jahres – nach der 15. AMG-Novelle Ende 2009 und dem GKV-Änderungsgesetz im August 2010 – mit dem Ziel, die Arzneimittelversorgung kostenmäßig in den Griff zu bekommen. Neben einer ganzen Reihe ergänzender Detailregelungen gebar das AMNOG zwei komplett neue Verfahren: Zum einen die schnelle Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) mit anschließenden Preisvereinbarungen durch den GKV-Spitzenverband, zum anderen einen neuen Zwangsabschlag für zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnungsfähige Impfstoffe auf Basis europäischer Durchschnittspreise.

Einige andere Neuregelungen wurden teilweise geräuschlos umgesetzt – zum Beispiel die Festlegung des Apothekenabschlags auf 2,05 Euro sowie der Zwangsabschlag für den pharmazeutischen Großhandel – oder können bezüglich ihrer Auswirkungen noch nicht abschließend eingeschätzt werden – etwa die erleichterte Austauschbarkeit von Arzneimitteln im Rahmen der Aut-idem-Regelung und die Verlagerung der Klärung kartellrechtlicher Fragestellungen von der Sozial- auf die Zivilgerichtsbarkeit. Daher wird nachfolgend auf den Umsetzungsstand und die Erfahrungen mit den beiden neuen, oben genannten Verfahren eingegangen.

In den letzten Jahren verfestigte sich immer mehr die Erkenntnis, dass die hauptsächlichen Kostentreiber bei den Arzneimittelausgaben die neu in den Markt kommenden patentgeschützten Präparate sind. Diese können in Deutschland zum Wunschpreis des jeweiligen Herstellers vertrieben und sofort zulasten der gesetzlichen Krankenkasse verordnet werden. Der Gesetzgeber reagierte, indem er unter den in praktisch allen anderen Staaten der Europäischen Union (EU) genutzten verschiedenen Preisregulationsmechanismen nach einer für den deutschen Markt geeigneten Blaupause suchte. Die Entscheidung fiel zugunsten einer schnellen Nutzenbewertung, wie sie in ähnlicher Form in Schottland praktiziert wird: Es wird geprüft, ob ein Arzneimittel, das neu auf den Markt kommt, gegenüber bereits etablierten Standards einen Zusatznutzen für die zu behandelnden Patienten bewirkt.

Die schnelle Nutzenbewertung

Dazu bedurfte es in Deutschland einer erheblichen Anpassung des Verfahrens, da mit der Umsetzung die gemeinsame Selbstverwaltung in Form des G-BA beauftragt werden sollte und nicht der Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber selber. In diesem Fall greifen die Transparenzrichtlinien der EU-Kommission in vollem Umfang, wodurch wiederum umfangreiche Beteiligungsrechte der betroffenen Firmen ausgelöst werden. Erfreulicherweise waren sowohl die der Bewertung zugrunde liegende Rechtsverordnung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) als auch die notwendigen Anschlussänderungen und Ergänzungen in der Geschäfts- und Verfahrensordnung des G-BA rechtzeitig in trockenen Tüchern.

Die von den Firmen im Rahmen der Übergangsregelungen genutzten Beratungsangebote wurden ebenfalls unverzüglich bedient. Nicht zuletzt hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) pünktlich seine erste schnelle Nutzenbewertung beim G-BA eingereicht, der diese umgehend zur Fortführung des Verfahrens veröffentlicht hat. Zum Stand August 2011 befanden sich etwa 20 Dossiers im Bewertungsprozess.

Verzicht auf Einreichung eines Dossiers

Auffällig waren die Bemühungen von Herstellern, sich aus der Dossierpflicht zu befreien. Dies gelang jedoch nur in wenigen Ausnahmefällen, zum Beispiel bei einem erwarteten Umsatzvolumen in der ambulanten Versorgung unter einer Million Euro pro Jahr. Ein Hersteller verzichtete ganz auf die Einreichung eines Dossiers und stimmte im Gegenzug der sofortigen Einbeziehung in eine bereits bestehende Festbetragsgruppe zu. Drei andere Hersteller haben nach Information über die vom G-BA festgelegte zweckmäßige Vergleichstherapie ihre bereits in Verkehr gebrachten Arzneimittel wieder zurückgerufen. Zurzeit ist nicht davon auszugehen, dass aus der Vorgehensweise der Firmen eine qualitativ messbare Versorgungsverschlechterung für die Versicherten der GKV resultiert.

Unklar sind noch die Rahmenbedingungen, unter denen die anschließenden Preisverhandlungen des GKV-Spitzenverbandes mit den Herstellern von Arzneimitteln stattfinden werden. Bis Redaktionsschluss war hier keine freiwillige Verständigung mit den Herstellerverbänden möglich. Die bereits für die Klärung neu gebildete Schiedsstelle kündigte an, bis zum Start der ersten Preisverhandlungen – voraussichtlich Januar 2012 – die notwendigen Festlegungen treffen zu wollen.

Der Umgang mit Arzneimitteln aus dem Bestandsmarkt, die bereits vor dem 1. Januar 2011 auf den Markt gebracht wurden, ist noch offen. Hier muss der G-BA Kriterien zur transparenten Aufbereitung entwickeln. Unter Beachtung der begrenzten Kapazitäten sind als Auswahlkriterium sowohl die Marktbedeutung – zum Beispiel Umsatzvolumen – als auch wettbewerbliche Aspekte denkbar, die sich aus der Konkurrenzsituation der „geprüften“ neuen Arzneimittel zu bereits im Markt befindlichen Produkten der gleichen Wirkstoffklasse ergeben können.

Neu eingeführt wurden daneben gesetzliche Vorgaben zur Ermittlung eines europäischen Durchschnittspreises für Impfstoffe. Der nach einem im Gesetz beschriebenen Rechenmodus zu ermittelnde Vergleichspreis dient der Ausweisung einer eventuellen Differenz zu dem Listenpreis, den der Hersteller in Deutschland angegeben hat. Als Folge wird diese Differenz als Zwangsrabatt für solche Impfstoffe vom Rechnungsbetrag abgezogen, die im Rahmen der Schutzimpfungsrichtlinie des G-BA für GKV-Versicherte eingesetzt wurden.

Während der Gesetzgeber hierfür jährliche Kosteneinsparungen in Höhe von rund 150 Millionen Euro eingeplant hat, floss in diesem Bereich bis Oktober 2011 noch kein Geld. Dies hängt damit zusammen, dass sich bezüglich der Rahmenbedingungen der GKV-Spitzenverband und die Pharmaverbände zunächst nicht verständigen konnten. Dabei ging es neben der Frage der Ermittlung des korrekten Vergleichspreises auch um die gesetzlich vorgegebene Abgrenzung zwischen Pflicht- und Satzungsleistungen. Zwar hat inzwischen ein Teil der Impfstoffhersteller, wie gesetzlich gefordert, entsprechende Angaben zu dem von ihm selbst ermittelten europäischen Vergleichspreis gemacht. Dies erfolgte jedoch nach Prüfung durch den GKV-Spitzenverband in vielen Fällen weder vollständig noch korrekt. Während das Gesetz beispielsweise auf den tatsächlichen Abgabepreis im jeweiligen EU-Mitgliedsland rekurriert, wird von einigen Herstellern nur der dort offiziell geführte Listenpreis angegeben – der deutlich höher liegt, als der mit den jeweiligen sozialen Versicherungsträgern verhandelte Preis. Hier laufen derzeit noch die Folgerecherchen, aus denen sich gegebenenfalls noch die weitere Notwendigkeit einer Zwangskorrektur nach § 129 SGB V ergibt, sofern der jeweilige Hersteller nicht freiwillig aktiv wird.

Bereits jetzt zeigt sich aber, dass dieses Verfahren zumindest bei einzelnen Impfstoffen und Herstellern erhebliche preisliche Auswirkungen nach sich zieht. So sind in der wirtschaftlich bedeutendsten Gruppe der saisonalen Grippeimpfstoffe (wertmäßig rund 50 Prozent des gesamten Impfstoffmarktes) – deren Preise in den vergangenen Jahren trotz der vergleichsweise hohen Anbieterzahl kontinuierlich und deutlich gestiegen sind – herstellerbezogen geradezu dramatische Preisreduktionen die Folge. Die ehemals günstigsten generischen Anbieter, die jedoch ihre Impfstoffe ausschließlich in Deutschland anbieten und somit keinen Abschlag auf einen europäischen Durchschnittspreis ausweisen, wurden zu Anbietern von Hochpreisprodukten. Große Impfstoffhersteller dagegen stürzten aufgrund ihres nahezu europaweiten Vertriebs auf Preisbrecherniveau ab.

Erhebliche Auswirkungen auf den Preis

In Erwartung dieser Situation hatten einige Generika-Anbieter bereits Mitte dieses Jahres großzügige Rabattangebote gemacht, die mit sieben bis acht Euro je Impfdosis in einigen Regionen schon deutlich unter den Ausschreibungsergebnissen des Vorjahres lagen (zuvor etwa zehn bis elf Euro). Demgegenüber liegt ein Originalherstellerprodukt nach Abzug des Differenzbetrags zu seinem selbstermittelten europäischen Durchschnittspreis bei unter sechs Euro je Impfdosis. Weitere Aktivitäten zur Forcierung von Ausschreibungsverfahren drängen sich hier geradezu auf. Dieser Effekt wird noch durch eine weitere AMNOG-Neuerung unterstützt: Krankenkassen, die für Impfstoffe Rabattverträge schließen, haben das Recht, für das eigene Klientel ausschließlich das Rabattvertragspartnerprodukt zur Anwendung kommen zu lassen. Eine erste Einschätzung über tatsächlich realisierbare Einsparpotenziale aufgrund dieser neuen Verfahren dürfte frühestens im Laufe des nächsten Jahres möglich sein.

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