Pflegereform

Bessere Leistungen für Demenzkranke – eine Frage der Finanzierung

Die Bundesregierung hat am 16. November 2011 die lang angekündigten Eckpunkte zur Pflegereform im Kabinett verabschiedet. Mit Spannung wird jetzt die konkrete Ausgestaltung dieser Eckpunkte erwartet. Unter anderem sollen die Leistungen für Demenzkranke verbessert werden. Allerdings dürfte es schwierig werden, die im letzten Jahr geweckten hohen Erwartungen zu erfüllen.

Die vom Bundeskabinett verabschiedeten Eckpunkte zur Pflegereform sehen eine Erhöhung des Beitragssatzes der Pflegeversicherung zum 1. Januar 2013 um 0,1 Beitragssatzpunkte vor. Die damit verbundenen zusätzlichen Einnahmen von etwa 1,1 Milliarden Euro sollen vor allem der Verbesserung der Leistungen für Demenzkranke dienen. Darüber hinaus soll der Abschluss privater Zusatzversicherungen staatlich gefördert werden. Letzteres soll auf freiwilliger Basis geschehen. 

Die Koalitionäre konnten sich letztendlich nicht auf eine ergänzende individualisierte und verpflichtende Kapitaldeckung verständigen. Der jetzt gefundene Kompromiss ist Symbolpolitik, da eine für alle Bevölkerungsgruppen nachhaltige Finanzierung zukünftiger Pflegeleistungen damit nicht unterstützt wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass der freiwillige Abschluss von privaten Pflegezusatzversicherungen nur von zahlungskräftigen Personengruppen – wenn überhaupt – in Anspruch genommen wird. Zudem kann sich nicht jeder eine private Zusatzversicherung leisten. Entscheidend ist aber, dass dieses individuelle Sparen nicht ausreichen wird, um die künftigen Belastungen bezahlen zu können. 

Aber auch die mit der Beitragssatzerhöhung verbundenen Leistungsverbesserungen bleiben weit hinter dem zurück, was Experten für notwendig erachten. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass Leistungen zur Verbesserung der Pflege paritätisch von Versicherten und Arbeitgebern finanziert werden. Nur das zur Verfügung stehende Volumen wird nicht ausreichen, um den zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können.

Anlauf für ein Umsetzungskonzept

Eine dieser Herausforderungen ist die notwendige Anpassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Bisher vollzog sich die Einstufung des Patienten in die Pflegestufen an der Feststellung von körperlichen Einschränkungen. Ein angepasster Pflegebedürftigkeitsbegriff würde die Alltagskompetenz und die Möglichkeit zur Teilhabe am sozialen Leben stärker berücksichtigen. Ebenso würden Patienten mit kognitiven oder psychischen Verhaltensauffälligkeiten stärker erfasst. Je nach Umsetzung könnten Mehrkosten von bis zu 3,6 Milliarden Euro entstehen. Anscheinend zu viel für die Koalition, denn die Umsetzung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs wird jetzt erstmal auf die lange Bank geschoben. Die Regierung beabsichtigt, den seinerzeit eingerichteten Beirat zur Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffes nochmals mit einem Umsetzungskonzept zu beauftragen. 

Eine weitere Herausforderung, die zu wenig in der aktuellen Debatte berücksichtigt wird, ist die Wertbeständigkeit der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung. So müssen die Leistungen stetig dynamisiert werden, indem sie der Entwicklung der Bruttolöhne folgen. Geschieht dies nicht, werden die Pflegeleistungen schleichend entwertet. Bisher findet sich in den Eckpunkten zur Pflegereform dazu nichts.

Zu wenig Geld für Leistungen für demenziell Erkrankte

Die vorgesehenen 1,1 Milliarden, die durch die Beitragssatzerhöhung der Pflegeversicherung zu Leistungsverbesserungen für demenziell Erkrankte aufgebracht werden sollen, werden letztendlich nicht ausreichend sein. Hinzu kommt, dass die Mehreinnahmen erst ab 2013 zur Verfügung stehen. Dass die durch die Beitragssatzerhöhung zur Verfügung gestellten zusätzlichen Einnahmen bei Weitem nicht die notwendigen Leistungsverbesserungen in der Pflege abdecken, veranlasste den Bundesgesundheitsminister zum Nachdenken. 

So wurden verschiedene Überlegungen bekannt, zusätzlich Geld der Pflegeversicherung zur Verfügung zu stellen. Zum einen wurde darüber nachgedacht, die medizinische Behandlungspflege von den Pflegekassen auf die Krankenkassen zu verlagern. Damit würde aber eine klassische Verschiebebahnhofpolitik wieder eingeleitet. Eine Verschiebung der medizinischen Behandlungspflege in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) würde zu finanziellen Mehrbelastungen der GKV von mindestens 1,6 Milliarden Euro jährlich führen. Da die Zahl der Pflegefälle in den nächsten Jahren stetig steigen wird, dürften sich die finanziellen Belastungen für die GKV weiter spürbar erhöhen. Die Verschiebung würde zudem ausschließlich die Versicherten finanziell treffen, weil sie die höheren Krankenkassenausgaben durch Zusatzbeiträge und damit allein finanzieren müssten. 

Nachdem diese Überlegungen zunächst wohl auch auf höchsten politischen Druck zurückgestellt worden waren, wurde ein weiterer Vorschlag bekannt. Demnach sollen die Kosten, die die Krankenkassen für die Verwaltung der Pflegekassen diesen in Rechnung stellen, gestrichen werden. Das wären etwa 700 Millionen Euro mehr. Dies würde dazu führen, dass der GKV Erstattungen für Pflegeleistungen entzogen würden, die letztendlich wieder der Versicherte zu tragen hätte. Diese Überlegungen sind bisher zwar seitens des Bundesgesundheitsministeriums dementiert worden, aber man darf gespannt sein, ob nicht doch noch Wege gefunden werden, zusätzlich Geld zulasten der GKV für die Pflegeversicherung zu rekrutieren.

Einigkeit in der Zielsetzung

Es bleibt spannend, was angesichts der vorgelegten Eckpunkte konkret in einem Gesetzesvorschlag zur Reform der Pflegeversicherung enthalten sein wird. Einigkeit zwischen allen Beteiligten besteht sicherlich grundsätzlich in der Zielsetzung dieser Reform. Denn alle dürften sich darin einig sein, dass Pflegebedürftige pflegebedarfsgerechte Leistungen, die ihnen ein Leben in Würde ermöglichen, brauchen. Und insbesondere soll auf die Bedürfnisse der Demenzkranken abgestellt werden. Auch der Grundsatz ambulant vor stationär sollte weiter gestärkt werden. Und die Finanzierung der Pflege soll insbesondere in Anbetracht des demografischen Wandels auf eine nachhaltigere Grundlage gestellt werden. Nicht zuletzt sollen auch die pflegenden Angehörigen und Familien mehr Unterstützung erfahren. 

Nur wie dies alles mit den Eckpunkten umgesetzt werden soll, ist bisher nicht vorstellbar. Vielmehr ist zu erwarten, dass mit der bevorstehenden Reform bei Weitem nicht die bestehenden Herausforderungen in der Pflegeversicherung beseitigt werden können und dass diese Reform einen ersten Schritt für weitere Reformen darstellt.

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