
Die Bundesregierung will die Regelungen zur Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die gesetzlichen Krankenkassen ausdehnen. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Versorgung der Versicherten und das selbstverwaltete Versicherungssystem.
Im Rahmen der Überarbeitung des Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-Novelle) ist vorgesehen, die Regelungen zur Anwendbarkeit des Kartellrechts auf die gesetzlichen Krankenkassen auszudehnen. Dadurch würde das Absprachenverbot und die Missbrauchsaufsicht auf das Verhältnis der Krankenkassen untereinander und zu den Versicherten anwendbar. Ebenso würden die Regelungen der Zusammenschlusskontrolle auf Vereinigungen der gesetzlichen Krankenkassen ausgedehnt. Anstatt der Sozialgerichte würden die Zivilgerichte generell für zuständig erklärt.
Die Anwendung des Kartellrechtes auf die Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern ist bereits mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz neu geregelt worden. Danach werden die gesetzlich vorgesehenen gemeinsam und einheitlich zu schließenden Verträge sowie Beschlüsse, Empfehlungen und Richtlinien der Krankenkassen und deren Verbände nicht vom Kartellrecht erfasst.
Die darüber hinausgehenden Beziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern unterliegen sowohl dem Kartell- als auch dem Vergaberecht. Die jetzt vorgesehene umfassende Ausdehnung des Kartellrechtes ist allerdings problematisch, da die Besonderheiten nicht berücksichtigt werden. Dazu gehört das Kooperationsgebot, das im Widerspruch zum Kooperationsverbot des Wettbewerbsrechtes steht.
Besonderheiten nicht berücksichtigt
So werden die gesetzlichen Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und ihre Verbände im Interesse der Wirtschaftlichkeit und der Gleichmäßigkeit der Versorgung neben dem gemeinsamen und einheitlichen Handeln in einer Vielzahl von Normen zu Kooperationen ermächtigt und ermutigt, ohne dass ausdrücklich alle gemeinsam handeln müssen. Beispiele sind der Bereich der Prävention und Selbsthilfeförderung oder Modellvorhaben. Außerdem gilt dies für gemeinsame Projekte auf Bundesebene, die der Verbesserung und Sicherheit der Patienten dienen, wie zum Beispiel das Mammographiescreening, das Endoprothesenregister und die Förderung von Versorgungsstudien (Vakuumversiegelungstherapie, Brachytherapie).
Die gesetzlichen Krankenkassen und ihre Verbände können – auch mit anderen Sozialversicherungen – ihre Aufgaben in Arbeitsgemeinschaften durchführen. Die Abstimmung der Kassen untereinander ist auch notwendig im Rahmen der abgestimmten Haftungskaskade der gesetzlichen Krankenkassen, die gesetzgeberisch gewollt und notwendig ist, um Schließungen und Insolvenz von Krankenkassen präventiv zu vermeiden.
All diese im Sozialgesetzbuch vorgesehenen Kooperationen und Arbeitsgemeinschaften könnten zukünftig einem Generalverdacht unzulässiger Absprachen unterstellt werden. Und hier würde mit dem Maßstab eines zivilrechtlichen Wettbewerb- und Marktverständnisses das Verhalten der Kooperationen bewertet, ohne dass dabei der grundgesetzlich verankerte Versorgungsauftrag der GKV Berücksichtigung fände.
Hinzu kommt die mit dem Versorgungsstrukturgesetz geschaffene Möglichkeit, auf Landesebene Bevollmächtigte zu benennen. Im Sinne einer möglichst einheitlichen und vom Kooperationsgebot getragenen medizinischen Versorgung auf hohem Niveau ist der von der Kassenart benannte Bevollmächtigte dazu da, dies für die Krankenkassen ohne Landesverband vor Ort umzusetzen. Die Anwendung des Kartellrechts hätte bei dieser vom Kooperationsgebot getragenen Zusammenarbeit der Ersatzkassen zur Folge, dass sie im regionalen Markt anders als bei nur regional tätigen Mitbewerbern mit ihrem geringeren Marktanteil jeweils ihr Verhalten rechtfertigen müssten. Dies wäre nicht nur aufwendig, sondern auch ein Wettbewerbsnachteil.
Sozialrechtspezifische Regelung erforderlich
Im Sinne eines einheitlichen Versorgungsniveaus, einer dem Patienteninteresse dienenden Versorgung und um im Einzelfall nicht immer belegen zu müssen, ob das gemeinsame Handeln kartellrechtlich unbedenklich ist, sollte auf die vorgesehene Regelung zur Ausdehnung des Kartellrechts verzichtet werden. Den Besonderheiten der GKV kann nur durch eine sozialrechtspezifische Wettbewerbsregelung Rechnung getragen werden, die den Versorgungsauftrag der Krankenkassen berücksichtigt.
Neben dem Absprachenverbot und der Missbrauchsaufsicht sollen auch die entsprechenden Regelungen der Zusammenschlusskontrolle auf die Vereinigung von gesetzlichen Krankenkassen ausgerichtet werden. Dann käme neben der sozialrechtlichen Aufsicht durch das Bundesversicherungsamt und den Landesaufsichten mit dem Bundeskartellamt eine weitere Aufsichtsbehörde hinzu. Dadurch entstünden zusätzliche bürokratische Abstimmungsprozesse, bei denen unterschiedliche Bewertungskriterien harmonisiert werden müssten. So muss die sozialrechtliche Aufsicht bei einer Vereinigung die Erhaltung der Leistungsfähigkeit und deren Wirtschaftlichkeit im Blick haben, die kartellrechtliche Vereinigungskontrolle geht von der Bewahrung von Anbietervielfalt und der Verhinderung von Marktmacht aus.
Der Bundesrat hat im ersten Durchgang die vorgesehene entsprechende Anwendung des Kartellrechts auf die gesetzlichen Krankenkassen abgelehnt. Bleibt es bei der klaren Ablehnung, trägt dies dazu bei, dass der Rechtsstatus der Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht gefährdet wird. Auch Konsequenzen, die aufgrund eines veränderten Unternehmensbegriffs der gesetzlichen Krankenkassen die europäische Rechtsprechung beeinflussen könnten, werden verhindert und die Gestaltungshoheit in der Gesundheitspolitik bleibt beim jeweiligen europäischen Staat.