Wirksamkeit und Risiken

Patientennutzen von Medizinprodukten eindeutig belegen

Grafik: Abbildung eines Gerätes, das ein stilisiertes Bein durchleuchtet

Giftiger Metallabrieb bei künstlichen Hüftgelenken, mit Industriesilikon gefüllte Brustimplantate, schädliche Wingspan- Stents: Solche Meldungen zeigen, dass die gesetzlichen Vorgaben bei der Zulassung und Überwachung von Medizinprodukten hoher Risikoklassen nicht ausreichen, um Patienten wirksam zu schützen.  

Sicherlich dürfen einzelne Fehlentwicklungen nicht die Gesamtheit des medizinischtechnischen Fortschritts in Misskredit bringen. Denn Medizinprodukte sind notwendig und deren kontinuierliche Innovation ist wünschenswert. Aber Patienten wünschen sich eben auch, dass diese Produkte einen nachgewiesenen Nutzen haben und der potenzielle Schaden so gering wie möglich ist. Daher ist es wichtig, aus den Fehlern zu lernen und künftig ein besseres System auf die Beine zu stellen.

Generell sind hohe Anforderungen an Medizinprodukte vor Einführung in die Regelversorgung notwendig. So sind zum Nachweis des patientenrelevanten Nutzens hochwertige Studien zu fordern und wir brauchen Produktregister, um Risiken bei Medizinprodukten zu identifizieren und die betroffenen Patienten schneller zu informieren.

Schneller studienbasiertes Wissen generieren

Für die Anwendung von Medizinprodukten mit hohem Risikopotenzial muss in hochwertigen klinischen Studien der Nutzen nachgewiesen werden. Der alleinige Nachweis über die Funktionalität und technische Sicherheit genügt nicht. Leider ist es heute meistens immer noch so, dass die Nutzenbewertung erst sehr spät erfolgt, zumeist erst, wenn ein Medizinprodukt in den ambulanten Sektor gelangt oder ein Schadenspotenzial im stationären Sektor auffällt. Sicherlich soll Patienten der frühe Zugang zu Innovationen erhalten bleiben. Allerdings muss gerade bei Innovationen noch viel schneller studienbasiertes Wissen generiert werden. Ansätze wie „coverage with evidence development“, also die Erstattung von neuen Produkten im Rahmen von klinischen Studien oder hochwertigen Registern, sind ein möglicher Weg.

Register eignen sich insbesondere zur Langzeitverfolgung von Produkten mit hohem Gefahrenpotenzial. Dazu gehören beispielsweise Herzschrittmacher, Defibrillatoren, Stents und Gelenkprothesen. Register können dazu beitragen, Erkenntnisse über die Qualität der Produkte und der Behandlung zu generieren. Langfristig kann so die Wahl des für einen Patienten optimalen Medizinproduktes gefördert werden. Ihnen bleibt eine erneute Operation, beispielsweise zum Austausch eines fehlerhaften Produktes, dann wahrscheinlich erspart. Ein weiterer Vorteil von Registern ist die Möglichkeit zur Identifizierung von Patienten, die von schadhaften Medizinprodukten betroffen sind.


Aktuelle Beispiele für schadhafte Medizinprodukte

Metall-Hüftimplantate

Der Ersatz von Hüft- und Kniegelenken gehört zu den häufigsten
Operationen in Deutschland. Einige Patienten haben in der
Vergangenheit auch Metall-auf-Metall-Hüftimplantate erhalten.
Jetzt haben Wissenschaftler im renommierten Medizinjournal
„The Lancet“ das Verbot dieser Metall-Implantate gefordert. Denn
bestimmte Implantate, bei denen Metall auf Metall gleitet, zögen
schneller als andere Varianten neue Hüftoperationen nach sich.
Zudem entsteht bei diesen Prothesen giftiger Metallabrieb.

Brustimplantate

Während in Deutschland und Europa die benannte Stelle (im
Fall der PIP-Prothesen der TÜV Rheinland) sich vorher zur Prüfung
anmeldet, erfolgen durch die US-Gesundheitsbehörde FDA unangemeldete
Stichprobenprüfungen. Diese Inspektionen sind streng.
In den USA wurden nur zwei mit Silikongel gefüllte Brustimplantate
zugelassen. Die Firmen mussten zusätzlich zu den Zulassungsstudien
weitere Studien zur Langzeitwirkung und zur Sicherheit
durchführen. Die PIP-Prothesen wurden in den USA nie zugelassen.

Stents bei Verengung von Gehirngefäßen

Verengungen der Blutgefäße im Gehirn können Schlaganfälle verursachen.
Neben einer medikamentösen Therapie wird seit einigen
Jahren auch versucht, durch Einsetzen einer Stütze (Stent) die Gefäße
zur Vermeidung von Schlaganfällen dauerhaft offen zu halten.
Nachdem das Verfahren mit selbstexpandierenden („Wingspan“-)
Stents bereits tausendfach angewendet worden war, musste
nun eine randomisierte kontrollierte Studie abgebrochen werden,
weil die Schlaganfallhäufigkeit und Sterblichkeit in der Gruppe
der Patienten mit Stent etwa zweieinhalb Mal höher war als in der
Gruppe mit medikamentöser Therapie.


Unerlässlich für das Gelingen eines Registers ist eine enge Kooperation zwischen Anwendern, Produktanbietern und Kostenträgern. Ebenfalls von besonderer Bedeutung ist die wissenschaftliche Aufbereitung der Erkenntnisse aus einem Register und die Kommunikation der Ergebnisse. Nur wenn die Erkenntnisse an die Anwender und Produkthersteller zurückgespiegelt werden, können diese darauf reagieren und es tritt ein Verbesserungsprozess ein. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) beteiligt sich auf freiwilliger Basis am Endoprothesenregister (EPRD). Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass sich mit einem Endoprothesenregister Misserfolge bei einem Eingriff leichter aufklären lassen und sich die Anzahl der Wechseloperationen deutlich senken lässt.

Randomisierte Studien erforderlich

Mit der 2010 vorgenommenen Angleichung der Leistungsbewertung und klinischen Prüfung von Medizinprodukten an das Arzneimittelrecht haben sich die Zulassungsbedingungen für Produkte höherer Risikoklassen verschärft. Aber mit der Zulassungsentscheidung ist weiterhin kein Nutzennachweis verbunden. Auch wenn kontrollierte Studien bei Medizinprodukten teilweise schwieriger durchzuführen sind als Arzneimittelstudien, so besteht doch ein hoher Bedarf an validen Ergebnissen zum Nutzen von Medizinprodukten.

Letztlich soll der Nutzen von Medizinprodukten eindeutig belegt werden und dafür sind – wie bei Arzneimitteln – aussagekräftige kontrollierte Studien nötig. Methodische Hürden, beispielsweise zur Verblindung, zur sinnvollen Vergleichstherapie, zum ethisch gerechtfertigten Placeboeinsatz und zum patientenrelevanten Nutzen, sind nicht einfach zu überwinden – aber es ist möglich. Randomisierte Studien sollten in der Regel die Methode für die Nutzen- und Risikobewertung vor Einführung von Medizinprodukten in die Krankenversorgung sein.

Der PIP-Skandal und die Häufung von Produktrückrufen sind Anlass genug, den Status von Medizinprodukten im Gesundheitssystem zu überdenken. Auch wenn zu Medizinprodukten viele Daten vorliegen, so gibt es zur Wirksamkeit und zu Risiken häufig noch eklatante Lücken. Alle Bemühungen müssen darauf gerichtet sein, dass diese Lücken schnell geschlossen werden.

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