
Um Defizite im medizinischen Alltag oder Gründe für auftretende Komplikationen zu ermitteln, ist Versorgungsforschung wichtig. So zeigt eine aktuelle Studie der Leibniz Universität Hannover, die in Kooperation mit der DAK-Gesundheit durchgeführt wird, Mängel bei der Versorgung von Rheumapatienten.
Medizinische Grundlagenforschung, klinische Forschung und Versorgungsforschung haben die Verbesserung der medizinischen Versorgung zum Ziel. Während die Grundlagenforschung meist im Labor stattfindet, geht es bei der klinischen Forschung um die erste Anwendung neuer Medikamente oder Therapieverfahren bei Patienten. Gegenstand der Versorgungsforschung ist dagegen die Routineversorgung im medizinischen Alltag.
Wichtige Rolle der Versorgungsforschung
In klinischen Studien soll die Wirksamkeit einer Intervention, beispielsweise eines neuen Wirkstoffs, demonstriert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden meist streng selektierte Patienten eingeschlossen, bei denen ein maximaler Nutzen und möglichst wenige unerwünschte Wirkungen zu erwarten sind. Aus diesen Gründen werden multimorbide, hochbetagte Patienten sowie Kinder und Frauen im gebärfähigen Alter nur selten in klinischen Studien behandelt. Wenn das Medikament oder das Therapieverfahren anschließend in der Routineversorgung zur Verfügung steht, wird es aber auch bei diesen Patientengruppen eingesetzt.
Hier setzt die Versorgungsforschung an. Beispielsweise wurde 1963 erstmals ein schweres Krankheitsbild mit Hirn- und Leberschäden bei Kindern beschrieben, das sogenannte Reye- Syndrom. Um 1980 wurde dann in mehreren Studien ein Zusammenhang mit der Einnahme von Acetylsalicylsäure festgestellt. Seit Acetylsalicylsäure bei Kindern unter zwölf Jahren nur noch ausnahmsweise eingesetzt wird, tritt das Reye-Syndrom kaum noch auf.
Auch vor dem Hintergrund, dass die Patientenzahlen in klinischen Studien zu gering sind, um seltene unerwünschte Wirkungen überhaupt zu entdecken, kann ein systematisches Monitoring, insbesondere bei neuen Wirkstoffen, derartige Zusammenhänge möglicherweise früher aufdecken und so zur Sicherheit der Arzneimitteltherapie beitragen.
Defizite bei der leitliniengerechten Behandlung von rheumatoider Arthritis
Die Ergebnisse klinischer Studien werden für die Praxis in Therapieleitlinien zusammengefasst. Versorgungsforschung evaluiert, inwieweit die Empfehlungen einer Leitlinie tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden.
In einem aktuellen Kooperationsprojekt der DAK-Gesundheit mit der Leibniz Universität Hannover wird die Versorgungssituation von Patienten mit rheumatoider Arthritis untersucht. Mit rund 800.000 Betroffenen ist die rheumatoide Arthritis die häufigste entzündliche Erkrankung der Gelenke in Deutschland. Bei der medikamentösen Behandlung von rheumatoider Arthritis gilt das langwirksame Antirheumatikum Methotrexat sowohl national als auch international als erste Wahl. In einem ersten Schritt wurden jetzt die Ergebnisse der Analyse von Versorgungsaspekten bei der Therapie der rheumatoiden Arthritis mit Methotrexat in der Zeitschrift für Rheumatologie veröffentlicht.
Die Studie der Leibniz Universität Hannover unter Leitung von Prof. Dr. rer. pol. J.- Matthias Graf von der Schulenburg in Zusammenarbeit mit dem Rheumatologen Prof. Dr. med. Henning Zeidler offenbart nun, dass die Art der Verabreichung häufig nicht leitlinienkonform ist. So sollte die Therapie mit Methotrexat vorzugsweise in Form von Tabletten begonnen werden, da den Patienten damit die Spritzen erspart bleiben. Nur wenn die Tablettengabe nicht möglich ist oder keine ausreichende Wirksamkeit zeigt, sollte auf Spritzen umgestellt werden. Die Studie, die auf repräsentativen, anonymisierten Daten der DAK-Gesundheit basiert, zeigt aber, dass die Therapie mit Spritzen sehr viel häufiger zum Einsatz kommt. Beispielsweise wurden 78,5 Prozent der Neuerkrankten initial und 52,9 Prozent sogar ausschließlich mit Spritzen behandelt.
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Analyse der anonymisierten Verordnungsdaten von insgesamt 9.579 Patienten über vier Jahre ist, dass bei der Therapie von rheumatoider Arthritis mit Methotrexat, das ein Antagonist der Folsäure ist, viel zu selten begleitend dieses Vitamin verschrieben wird. In der aktuellen interdisziplinären Leitlinie zum Management der frühen rheumatoiden Arthritis heißt es hierzu: „Folsäure (1 mg/Tag) und Folinsäure (2,5 mg/Woche) verringern die Häufigkeit von Leberwerterhöhungen unter Methotrexat und senken damit die Rate an Therapieabbrüchen.“ Trotzdem erfolgte nur bei 65 Prozent der Patienten eine Verordnung auf Kassenrezept. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass Patienten sich das rezeptfreie Vitamin selbst gekauft haben, sodass der Umfang des Versorgungsdefizits nicht sicher abgeschätzt werden kann.
Ausbau der Versorgungsforschung
Die DAK-Gesundheit unterstützt in Kooperation mit externen Forschungsinstituten und Universitäten eine Reihe von Versorgungsforschungsprojekten, um auf diesem Weg zeitnah und patientenzentriert wichtige Informationen zur Versorgungsrealität zu erhalten. Routinedaten, die den Krankenkassen aus der Leistungsabrechnung vorliegen, bilden eine wertvolle und aussagekräftige Grundlage für die notwendigen Analysen, wobei selbstverständlich alle Regelungen des Datenschutzes strikt eingehalten werden.
Nachdem der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinen Gutachten immer wieder die Intensivierung der Versorgungsforschung in Deutschland angemahnt hat, ist diese noch recht junge Forschungsrichtung in den letzten Jahren kontinuierlich ausgebaut worden. Die Versorgungsforschung ist eines der sechs Aktionsfelder im aktuellen Rahmenprogramm Gesundheitsforschung der Bundesregierung. Mit der Neuausgestaltung der Regelungen zur Datentransparenz (Sozialgesetzbuch V, § 303 a-e) sollen GKV-Routinedaten ab 2013 für die Versorgungsforschung besser zugänglich gemacht werden.