Ärztehonorare

Zerreißprobe für den Bewertungsausschuss

Grafik: links ein Arzt und rechts eine Frau die die GKV symbolisiert und in der Mitte ein Flipchart

Die alljährlichen Verhandlungen über die Vergütung der niedergelassenen deutschen Ärzte wurden nach zähem Ringen auf Bundesebene zum Abschluss gebracht – obwohl die Eingangsforderungen unterschiedlicher nicht hätten sein können. Was wurde im Einzelnen ausgehandelt, was sind die Folgen für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV)?

Selten zuvor sind die Honorarverhandlungen im Bewertungsausschuss so eskaliert wie in diesem Jahr: elfprozentige Mehrforderung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) beim Orientierungspunktwert, siebenprozentige Absenkungsforderung der Kassenseite, Erhöhung des Orientierungspunktwerts um 0,9 Prozent mit anschließendem Auszug der Ärzteseite. Danach die wochenlange Suche nach einem Kompromiss und schließlich die Einigung über ein Paket im Bereich von 1,1 bis 1,3 Milliarden Euro.

Dass es auf Bundesebene zu derart schwierigen Verhandlungen kam, war auch für die unmittelbar an den Verhandlungen Beteiligten überraschend. Denn das Anfang 2012 in Kraft getretene GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG) sieht für die Bundesebene im Vergleich zu den Vorjahren wesentlich weniger Möglichkeiten vor, Vorgaben für die regionalen Verhandlungen zu treffen. Entscheidende Stellschrauben der Vergütung der letzten Jahre werden nun landesspezifisch ermittelt.

Dies betrifft insbesondere die Morbiditätsentwicklung, die anhand der Veränderung der Diagnosenschwere gegenüber dem Vorjahr und anhand demografischer Parameter gemessen wird. Die konkrete Berechnung erfolgt allerdings wegen des erheblichen Aufwandes auf Bundesebene mithilfe des sogenannten Patientenklassifikationssystems. Auf Basis dieser Berechnungen wird dann auf Landesebene die Veränderung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) festgelegt.

Frühzeitig vor Beginn der Verhandlungen hatte die KBV ihre Erwartungen an das Honorarjahr 2013 formuliert: Um 3,5 Milliarden Euro (elf Prozent) sollten die Honorare steigen. Begründet wurde dies insbesondere mit einer entsprechenden Morbiditätssteigerung. Die Berechnung der morbiditätsbezogenen Veränderungsraten mithilfe des Klassifikationssystems zeigte jedoch anders als in den Vorjahren Veränderungsraten von durchschnittlich knapp über einem Prozent mit erheblichen Unterschieden zwischen einzelnen Regionen. Im Nachhinein erscheinen diese Raten als der eigentliche Auftakt für die Diskussion um den Orientierungspunktwert, die dann im Bewertungsausschuss einsetzte.

Die Anpassung des Orientierungspunktwerts kann eine als unbefriedigend empfundene Mengenentwicklung finanziell kompensieren und ist die zentrale noch verbliebene Kompetenz des Bewertungsausschusses. Dementsprechend hartnäckig wurde hier um die Positionen gerungen: Während von der Ärzteseite weiterhin 3,5 Milliarden Euro allein für eine Steigerung des Orientierungspunktwertes aufgrund von Kostensteigerungen im Zeitraum 2008 bis 2013 gefordert wurden, beantragte die Kassenseite im Bewertungsausschuss eine Absenkung des Punktwertes. Begründet wurde die Absenkungsforderung mit den erheblichen Vergütungssteigerungen der letzten Jahre, die den Ärzten – aufgrund von gedeckten Fixkosten und sinkenden variablen Kosten – Kostenvorteile gebracht habe, die höher seien als die allgemeinen Kostensteigerungen. Belegt wurde dies durch ein Gutachten der Prognos AG, das für die letzten Jahre Kostenvorteile der Ärzte in Höhe von 2,2 Milliarden Euro (etwa sieben Prozent) errechnete.

Eine Beschlussfassung des Bewertungsausschusses zum Orientierungspunktwert war in dieser verfahrenen Situation nur noch unter Beteiligung des unparteiischen Vorsitzenden des Erweiterten Bewertungsausschusses, Prof. Dr. Jürgen Wasem, möglich. Dieser verwarf letztlich die Ansätze beider Seiten und legte sich zunächst auf eine Betrachtung der Kostenentwicklung nur eines Jahres fest. Er schlug eine Anpassung des Orientierungspunktwertes um 0,9 Prozent auf 3,5363 Cent vor. Nachdem dieser Vorschlag die erforderliche Mehrheit erhalten hatte, kam es zum Auszug der Ärzteseite aus dem Bewertungsausschuss und einer Klage der KBV gegen den Beschluss. Zwei Einigungsversuche der Kassenseite scheiterten in der Folge ebenso wie die ultimativ von der Ärzteseite geforderte erneute Befassung mit dem Orientierungspunktwert mit dem Ziel, diesen um 1,8 Prozent anzuheben und Psychotherapieleistungen künftig ohne Mengenbegrenzungsregelungen zu finanzieren.

Am 9. Oktober 2012 konnte schließlich nach zähem Ringen ein Eckpunktepapier zwischen dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und der KBV unterzeichnet werden. Es basiert auf einem Vorschlag des unparteiischen Vorsitzenden und ist die Grundlage der Vergütungsvereinbarungen für das Jahr 2013. Das prognostizierte Gesamtvolumen dieses Kompromisses liegt bei 1,13 bis 1,27 Milliarden Euro und beinhaltet im Einzelnen die folgenden Punkte:

  • Erhöhung des Orientierungspunktwerts um 0,9 Prozent (270 bis 290 Millionen Euro) 
  • extrabudgetäre Vergütung der Richtlinienpsychotherapie (130 Millionen Euro) 
  • Förderung der haus- und fachärztlichen Grundversorgung (250 Millionen Euro) 
  • Mengenanstieg durch Veränderungsraten (180 bis 250 Millionen Euro) 
  • Zuschläge zum Orientierungspunktwert (150 bis 200 Millionen Euro) 
  • weiterer Mengenanstieg im extrabudgetären Bereich (150 Millionen Euro)

Mit der Übernahme des Mengenrisikos im Bereich Psychotherapie durch die Krankenkassenseite zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab, den die Ärzteschaft seit Jahren gefordert hatte. Die Förderung der haus- und fachärztlichen Grundversorgung wurde mit einer Reform des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) verknüpft, die schon länger in der Diskussion stand. Für 250 Millionen Euro sollen bis zum 1. Juli 2013 neue EBM-Leistungen im Bereich der Geriatrie und Palliativmedizin geschaffen werden, um die Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig sollen eine kostenneutrale Angleichung des Orientierungspunktwertes mit dem kalkulatorischen Punktwert des EBM (5,11 Cent) und weitere noch näher zu beschreibende Umstrukturierungsmaßnahmen erfolgen.

Tragfähiger Kompromiss?

Trotz der grundsätzlichen Einigung, die bis zum 22. Oktober in einvernehmlichen Beschlüssen umgesetzt wurde, kam es in der Zwischenzeit zu Ärzteprotesten mit kurzzeitigen Praxisschließungen. Außerdem hat die KBV eine Befragung der Ärzte zur Zukunft des Sicherstellungsauftrages begonnen. Die Klage der KBV gegen den Beschluss zum Orientierungspunktwert wurde allerdings zurückgenommen.

Es scheint, dass die gesetzlichen Neuregelungen anders als erwartet bisher nicht zu einer stärkeren Regionalisierung der Honorarverhandlungen 2013 geführt haben. Grund dürfte der frühzeitige Protest der Ärzteschaft gewesen sein, die die regionalen Honorarverhandlungen wohl nicht abwarten wollte und deshalb auf ein Paket auf Bundesebene drängte. Ob mit dem Kompromiss im Bewertungsausschuss tatsächlich eine dauerhafte Befriedung eintritt, kann aber noch nicht abschließend beurteilt werden, denn die Verhandlungen auf Landesebene stehen nun gerade erst am Anfang.

In den Ländern wird sich bald zeigen, ob sich Kassen- und Ärzteseite an die auf Bundesebene beschlossenen Vorgaben halten und sich innerhalb des gemeinsam zugrunde gelegten Finanzvolumens bewegen. Denn aufgrund der mit dem GKV-VStG eingeführten Regionalisierung sind die auf Bundesebene getroffenen Beschlüsse für die Landesebene nicht uneingeschränkt verbindlich. Erste Einlassungen der KVen lassen vermuten, dass auch hier die Fähigkeit der Beteiligten, sich innerhalb eines gemeinsam gesetzten Rahmens zu bewegen, erneut auf eine harte Probe gestellt wird.

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