Jahresrückblick 2012

Große Versprechen und ein teurer Kuhhandel

Grafik: Jahresrückblick 2012: Patientenrechte, Pflege, Praxisgebühr, Organspende, Präventionsstrategie

Patientenrechte, Pflege, Praxisgebühr, Organspendeskandal: Das waren 2012 die wichtigen gesundheitspolitischen Themen. Dabei begann das Jahr, wie es endete. Mit vollmundigen Ankündigungen der Gesundheitspolitiker, die sich bei näherer Betrachtung schnell als heiße Luft entpuppten. 

"Die Rechte der Patienten werden gestärkt", versprach Gesundheitsminister Daniel Bahr in den ersten Januartagen des vergangenen Jahres, als er seinen lange erwarteten Entwurf für ein Patientenrechtegesetz vorlegte. Doch die Fachwelt war sich schnell einig, dass mit dem Gesetz letztlich nur das in Paragrafen gegossen wird, was dank der patientenfreundlichen Rechtsprechung der obersten Gerichte längst juristischer Standard ist.

Beweiserleichterungen für die Patienten, die darüber hinausgehen, lehnte das Ministerium ab, was einzig und allein die Ärzteverbände begrüßten. So hatten beispielsweise die Krankenkassen vorgeschlagen, die Beweislast bei groben und leichten Fehlern zugunsten der Patienten neu zu verteilen. Doch Bahr warnte stets vor einer drohenden „Defensivmedizin“, bei der Ärzte aus Sorge vor Prozessen gar nicht mehr operierten. Zwar versuchten die Gesundheitspolitiker der Unions-Bundestagsfraktion noch, Verbesserungen wie etwa einen Fonds für eine schnelle und unbürokratische Hilfe in Härtefällen durchzusetzen, doch sie scheiterten am Widerstand der FDP.

Große Versprechen gab es auch bei einem anderen Thema: der Pflege. „Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit“, das hatten Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt. Zwar sieht die 2012 beschlossene Pflegereform tatsächlich einige Leistungsverbesserungen für Demenzkranke vor. Die grundsätzliche Überarbeitung des Pflegebegriffs wurde jedoch erneut wegen der vermuteten Kosten von rund drei Milliarden Euro auf die lange Bank geschoben.

Auch die angekündigte Ergänzung der Pflegeversicherung durch eine „verpflichtende, individualisierte und generationengerechte“ Kapitaldeckung wurde am Ende eher ein Reförmchen. Künftig gibt es lediglich einen staatlichen Zuschuss von fünf Euro pro Monat für eine freiwillige private Zusatzversicherung.

Koppelgeschäft ohne sachlichen Zusammenhang

Erfolgreicher war das FDP-geführte Gesundheitsministerium bei einem Projekt, das so gar nicht im Koalitionsvertrag steht. Von einer Abschaffung der Praxisgebühr ist dort nicht die Rede, nur von einer „Überführung in ein unbürokratisches Erhebungsverfahren“. Dennoch machte die FDP die ersatzlose Streichung zu ihrem Thema, zumal dank der guten Konjunkturlage die Überschüsse bei Kassen und Gesundheitsfonds stetig stiegen. Das Argument Bahrs, die Praxisgebühr habe keinerlei Steuerungswirkung, stimmte zwar. Dennoch sperrten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Gesundheitspolitiker der Union zunächst gegen eine Abschaffung. Es sei mit Blick auf die langfristige Finanzentwicklung geradezu fahrlässig, eine in der Bevölkerung akzeptierte Selbstbeteiligung wieder zu streichen, hielten die Kritiker Bahr entgegen.

Am Ende gab es ein Koppelgeschäft ohne jeden sachlichen Zusammenhang. Die FDP stimmte dem Betreuungsgeld der Union zu und bekam im Gegenzug die Streichung der Praxisgebühr. Der Preis war allerdings hoch. Bahr musste gleichzeitig akzeptieren, dass der Steuerzuschuss zum Gesundheitsfonds um weitere 2,5 Milliarden Euro gekürzt wird. Damit besteht die Gefahr, dass die Krankenkassen ab 2014 flächendeckend Zusatzbeiträge erheben müssen. Denn abgesehen von den fehlenden Einnahmen aus der Praxisgebühr in Höhe von zwei Milliarden Euro müssen die Kassen hohe Mehrausgaben verkraften: Apotheker, Krankenhäuser und Ärzte bekommen deutlich mehr Geld - die Bundestagswahl hat schon 2012 ihre Schatten voraus geworfen. Prognostiziert ist ein Plus von rund zehn Milliarden Euro, das wäre die höchste Steigerungsrate seit Jahren.

Unglücklich verlief auch die Debatte über Organspenden. Ziel war eigentlich eine Erhöhung der Spendenbereitschaft. Doch kurz nach der Verabschiedung der parteiübergreifend vereinbarten Entscheidungslösung wurden im Sommer mehrere Betrugsfälle in Transplantationszentren bekannt. Patienten wurden kränker gemacht, um einen besseren Platz auf der Warteliste für ein neues Organ zu kommen.

Zögerliche Haltung im Organspendeskandal

Nun rächte sich, dass die Frage der Transparenz bei diesem Thema nie wirklich eine Rolle gespielt hatte. Auch wegen der zögerlichen Haltung der Politik bei der Entscheidung, welche Konsequenzen gezogen werden müssen, sank die Spendenbereitschaft der Bevölkerung in der Folgezeit auf einen Tiefpunkt. Es dürfte nun noch Jahre dauern, bis das verloren gegangene Vertrauen wieder zurück gewonnen werden kann, zumal auch 2013 wegen der noch laufenden Untersuchungen in den Transplantationszentren mit der Aufdeckung weiterer Ungereimtheiten zu rechnen ist.

Für das Jahr der Bundestagswahl bleibt noch ein Thema, das eigentlich an den Beginn der Wahlperiode gehört hätte. Doch die Prävention wird von der Gesundheitspolitik traditionell stiefmütterlich behandelt. Das dürfte sich auch durch die schwarz-gelbe Koalition nicht ändern, zumal in einem Wahljahr die Sacharbeit weitgehend zum Erliegen kommt. Die kurz vor Weihnachten von Union und FDP vorgestellten Eckpunkte für eine Präventionsstrategie versprechen zwar neue Ansätze für die Gesundheitsförderung. Doch genau diese fehlen weitgehend. Schließlich müsste es eigentlich darum gehen, die Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen in dieser Frage klar zu regeln und eine verbindliche Finanzierung zu schaffen.

Dennoch könnte es auch 2013 noch einmal spannend werden. Denn zum Jahresanfang gewann mit der Diskussion über die Korruption bei Ärzten eine Debatte an Fahrt, die vor allem die FDP eigentlich vermeiden wollte. Krankenkassen und Opposition verlangen, endlich Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom vergangenen Sommer zu ziehen und eine Gesetzeslücke zu schließen. Sie fordern, dass auch bei niedergelassenen Ärzten Korruption strafbar sein muss. Bisher bremst der Gesundheitsminister, schließlich sind die Ärzte eine wichtige Wählerklientel. Doch selbst der Koalitionspartner macht inzwischen Druck.

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