Reportage

Parkinsonversorgung: Direkter Einfluss auf die Therapie

Videobasierte Parkinsonversorgung

Morbus Parkinson zählt in Deutschland zu den am weitesten verbreiteten neurologischen Erkrankungen. Aufgrund der Komplexität des Erkrankungsbildes ist eine Behandlung entsprechend herausfordernd. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) hat hierfür mit fünf Kliniken eine Vereinbarung zur integrierten videobasierten Parkinsonversorgung abgeschlossen, die mithilfe von Telemonitoring den individuellen Krankheitsverlauf und damit die jeweils optimale Therapieeinstellung beim Patienten zu Hause in den Mittelpunkt stellt.

Noch vor zehn Jahren hat Harald Zech regelmäßig Handball gespielt. Heute ist er froh, wenn er fest greifen kann. Es fing scheinbar harmlos an, mit leichtem Zittern in den Fingern und Gelenken. Bis er 2008 die rechte Hand nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte. Die Diagnose: Morbus Parkinson. Eine Krankheit, die fortan seinen Alltag bestimmt. Die seine Zukunftspläne über den Haufen wirft. Eine Krankheit, mit der Zech leben muss, denn heilbar ist sie bislang nicht, lediglich Symptome lassen sich lindern. Illusionen macht sich der 73-Jährige keine, er ist Realist. „Ich kann es nicht ändern“, sagt er. „Aber ich kann versuchen, das Beste daraus zu machen.“

Deswegen schrieb sich Zech für die sogenannte integrierte videobasierte Parkinsonversorgung ein. Dabei handelt es sich um ein telemedizinisches Projekt, das eine innovative Behandlung für Parkinsonpatienten ermöglicht, die bei der BARMER GEK, DAK-Gesundheit, HEK oder hkk versichert sind. Zuvor suchte Zech einen niedergelassenen Neurologen auf, um sich behandeln zu lassen. Doch der stieß irgendwann an seine Grenzen. „Es war schwierig, dem Arzt zu vermitteln, wo meine Probleme liegen“, berichtet Zech. Wenn man sich nur einmal im Quartal für fünf Minuten in der Sprechstunde sieht, vielleicht einen außergewöhnlich guten Tag erwischt, oder man als Patient womöglich Beschwerden äußert, die kaum objektivierbar sind, dann kann eine spezifisch ausgerichtete Therapie schwierig sein. Also empfahl ihm der Neurologe das neuartige Telemedizin-Angebot und verwies ihn an die Klinik für Neurologie der Charité. Die Charité ist eine der fünf Kliniken, mit denen der vdek einen Versorgungsvertrag zur integrierten videobasierten Parkinsonversorgung abgeschlossen hat. Weitere Vertragspartner sind das Universitätsklinikum Düsseldorf, die Schön Klinik München Schwabing, die Christopherus- Kliniken in Dülmen und das Herz- Jesu-Krankenhaus in Münster.

Zech sitzt im Behandlungszimmer der Poliklinik für Neurologie, er hat einen Termin bei- Prof. Dr. Fabian Klostermann, um die letzten Untersuchungsergebnisse zu besprechen. Der Mediziner ist Oberarzt der Hochschulambulanz an der Charité, Campus Benjamin Franklin, und Ansprechpartner für das Telemedizin-Projekt. Auf seinem Schreibtisch liegen Unterlagen in Bezug auf Zechs Therapie, sein Monitor zeigt Filmsequenzen, in denen der Patient seine Hände bewegt, sich vom Stuhl erhebt und ein paar Schritte hin und zurück geht. Im Hintergrund ist eine Kommode zu sehen, darauf stehen gerahmte Fotos und Blumen, an der Wand hängen Bilder. Die Aufnahme ist schon ein paar Tage her, Klostermann hat sie bereits gesichtet und analysiert. Zech sieht sie zum ersten Mal. Denn er ist es, der gefilmt wird. Bei sich zu Hause. Betrachter des Videos sind die Ärzte. In der Charité.

Dieses sogenannte Telemonitoring ist Kern der integrierten videobasierten Parkinsonversorgung. 30 Tage lang filmte Zech sich mindestens drei Mal am Tag für je zwei Minuten. Morgens, mittags, abends. Dafür wurde eingangs bei ihm daheim im Wohnungsflur ein Videosystem mit Kamera und Drucker installiert. Sobald er das Programm startete, ertönten standardisierte Aufforderungen, unterschiedliche Bewegungen auszuführen, wie etwa das Heben der Arme, der Beine, das Drehen um die eigene Achse, mal schnell, mal langsam. Anschließend konnte Zech seine Beweglichkeit und aktuelle Verfassung kommentieren, zum Beispiel hinsichtlich seiner Schmerzen oder Stimmung. Am Ende schaltete sich das Programm von selbst ab, die Aufzeichnung wurde direkt per UMTS an die Charité gesendet.

Das Ärzteteam der Charité und der niedergelassene Neurologe des Patienten schauten sich zeitnah Aufnahme für Aufnahme an. „Es geht darum, unmittelbar auf die Therapie einzuwirken“, erklärt Klostermann. Anhand der Videos ist es möglich, die Wirkung der Medikamente in wiederkehrenden Situationen zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu beobachten, zu analysieren und entsprechende Therapieanpassungen vorzunehmen. „Bei der Parkinsonerkrankung sind wir neben den im Vordergrund stehenden Bewegungsstörungen mit einer Vielzahl von Symptomen konfrontiert, für deren Erfassung wir auf genaue Beschreibungen des Patienten angewiesen sind.“ Dies zusammen mit der tageszeitlich schwankenden Ausprägung der Symptome stelle sich aber häufig komplex dar, auch weil Sprache, Wahrnehmung und Symptomgewichtung seitens des Patienten einerseits und des Arztes andererseits oft sehr unterschiedlich seien.

Hier bietet das Telemonitoring weitreichende Unterstützung. Die behandelnden Ärzte können sich in engen Abständen ein Bild vom alltäglichen Krankheitszustand machen, sind nicht allein abhängig von den Zustandsbeschreibungen des Patienten und Momentaufnahmen während sporadischer Visiten. Sie sehen die Beweglichkeit des Patienten im tageszeitlichen Verlauf und sind in der Lage, die Schilderungen des Patienten auf das Sichtbare zu beziehen. Dies alles wird zentral gespeichert, dokumentiert und archiviert. Auf Grundlage dessen entwickeln niedergelassene Neurologen zusammen mit dem Charité-Team noch während der Maßnahme sowie kurz danach die bestmögliche medikamentöse Behandlung. „Es ist wichtig“, so Klostermann, „für Parkinsonpatienten eine optimale medikamentöse Einstellung mit Blick auf den ganzen Tag bereitzustellen.“ Daher auch die Videoaufnahmen zu unterschiedlichen Zeiten, in einigen Fällen sogar nachts. Man wolle nicht nur beobachten, wann und wie es dem Patienten am schlechtesten, sondern auch wie es ihm im Durchschnitt gehe.

Daraus ergibt sich eine nachhaltige, den individuellen Bedürfnissen angepasste Behandlung. Der Austausch zwischen Patient, Klinik und niedergelassenem Arzt ist dabei wichtiger Bestandteil der Vereinbarung. So biete dieser den niedergelassenen Ärzten eine Chance, die Behandlung von Parkinsonpatienten effektiver zu betreiben, sagt Klostermann.

Am Ende stehe dann auch die Vermeidung von Krankenhausaufenthalten. „Es gibt einen Anteil an Parkinsonpatienten, die bei Nutzung des Telemonitorings nicht unbedingt im Krankenhaus behandelt werden müssten“, so Klostermann. Er plädiert daher für eine Ausweitung des telemedizinischen Angebots bei Parkinson. „Das Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft, der Bedarf ist vorhanden, und die Vorteile liegen auf der Hand.“

Dass dieses telemedizinische Projekt die Versorgung verbessert, davon ist auch Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des vdek, überzeugt: „Tagesablauf, Alltagsanforderungen und Gewohnheiten der Parkinsonpatienten können so optimal bei der Diagnose und Therapieeinstellung berücksichtigt werden. Das trägt dazu bei, die Lebensqualität zu verbessern.“

Zech nickt zustimmend. Er musste wegen Parkinson noch kein einziges Mal länger als drei Stunden ins Krankenhaus. Er liebt sein Zuhause, kann sich eine längere Abwesenheit zudem kaum erlauben, da er seine Ehefrau selbst pflegt. Umso dankbarer zeigt er sich über die Möglichkeit, bei optimaler Therapie im eigenen sozialen Umfeld verbleiben zu können. Seinem geregelten Alltag weiter nachgehen zu können. Zudem habe er das Gefühl, dass er von seinem Arzt und auch von Familie und Freunden besser verstanden werde, dass er sich und seine Beschwerden klarer ausdrücken könne. „Und am wichtigsten: Mir geht es gut“, sagt Zech. Abgesehen davon, dass ihm das Laufen schwerer falle als noch zu Beginn der Erkrankung, betrachte er sich als den Umständen entsprechend gesund. Mal sei sein Tremor hellwach, mal schlafe er. Tremor ist die Bezeichnung für das Zittern, das für die Erkrankung typisch ist. Insgesamt über die letzten Jahre betrachtet seien die Symptome nur unerheblich vorangeschritten, so Zech. Er bewertet das als Zeichen für eine gute Behandlung.

Zech lässt sich nicht unterkriegen. Er weiß, dass Krankheiten ungerecht sind, aber auch, dass man sie akzeptieren muss, möchte man trotzdem sein Leben genießen. Klostermann spricht bei Parkinson von einer schicksalhaften Erkrankung, deren Symptome, nicht aber deren Grund man behandeln könne. Sie tritt auf und bleibt. Zech denkt darüber nach und sagt dann, mit leichter Resignation in der Stimme, aber doch hoffnungsfroh: „Manchmal denke ich, was wäre wenn. Nur, das führt ja zu nichts. Man muss aktiv bleiben. Und da ist Hilfe der größte Trost.“

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