Versorgungsangebot

Kosten-Nutzen-Bilanz der Telemedizin verbessern

Grafik zur Telemedizin: Person sitzt im Sessel und regelt mit der rechten Hand ein Gerät, Bild hängt an der Wand, um die Person herum fliegen Satelliten, hinter dem Sessel steht eine Zimmerpflanze

Trotz verbesserter Rahmenbedingungen, aktueller Telemonitoring- Angebote der Krankenkassen sowie sich stürmisch entwickelnder „Gesundheits-Apps“ steht die Telemedizin als regelhaftes Versorgungskonzept noch in den Startlöchern. Zu selten gelingt es, telemedizinische Versorgungsangebote aus dem Projektstatus heraus in die Fläche zu bringen.

Im engeren Sinne werden unter Telemedizin alle Diagnostiken und Therapien verstanden, bei denen die Akteure durch Telekommunikation zeitliche und räumliche Distanzen überbrücken. Telemedizin wird in verschiedene Anwendungsbereiche unterteilt:

  • Telekooperation: kooperative Durchführung von Diagnostik und Therapie unter elektronischem Befunddatentransfer, zum Beispiel das onkologische Konsil.
  • Telemonitoring: Überwachung bestimmter Vitalparameter im häuslichen Umfeld. Beispiele sind das Telemonitoring von Patienten mit insulinpflichtigem Diabetes mellitus oder mit Herzinsuffizienz in fortgeschrittenem Stadium.
  • Teletherapie: Durchführung von Therapien, zunehmend im Bereich der Psychotherapie, unter räumlicher Trennung. Zum Beispiel mittels Videokonsultation von Betroffenen und Behandelnden.

Ein Blick in die Geschichte

Die Entwicklung der Telemedizin wird häufig mit dem Aufkommen des Internets assoziiert. Dadurch erscheint sie als höchst moderne Idee medizinischer Leistungserbringung. Tatsächlich ist der Gedanke, medizinische Diagnostik und Therapie über die Distanz hinweg zu erbringen, aber sehr viel älter. Schon in vorindustrieller Zeit gibt es Belege für die Durchführung von „Fernbehandlung“. So wurde bereits im Mittelalter anhand von per Boten überbrachten Urinproben diagnostiziert.

In industrieller Zeit wurde die Telegrafie schon früh auch für medizinische Zwecke genutzt. Bekannt ist die Übertragung eines Tele- EKGs durch Einthoven („Le Télécardiogramme“, publiziert im Jahre 1906). Der Anstoß für diese Erprobungen steht nicht nur technologisch im Zusammenhang mit der Industrialisierung.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass sich im Zuge der Urbanisierung die Versorgungsstrukturen zwischen Stadt und Land höchst unterschiedlich entwickelten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass im 20. Jahrhundert die Telemedizin in den Flächenstaaten, die am Industrialisierungsprozess teilhatten, am intensivsten genutzt wurde. Der Fokus dabei war und ist immer noch die Aufrechterhaltung eines Mindeststandards an akutmedizinischer (Notfall-)Versorgung auch in entlegenen Regionen. Durch das Internet und die Mobilfunktechnologie konnte dieser Fokus erweitert werden, und eine markante und bedeutende Wende in der Debatte trat ein – eine Debatte, die keineswegs beendet ist.

Die Industrialisierung hat durch die Anhebung des Lebensstandards und den medizinisch-technischen Fortschritt die gesellschaftlichen Herausforderungen an das Gesundheitswesen neu definiert. Heute wird der Großteil unserer Ressourcen auf den Umgang mit lebenslangen, chronischen Erkrankungen verwendet. Dabei geht es weniger um die eher ethisch motivierte Versorgungssituation in „Randlagen“, sondern zunehmend um eine kontinuierliche Verbesserung von Qualität und Effizienz.

Ein Beleg für diese Tendenz sind die zahlreichen Projekte zur Erprobung des Telemonitorings. Sie wurden erst möglich durch die umfassende Verfügbarkeit der Kommunikationsnetze und die Miniaturisierung der Geräte. Beides bietet der Telemedizin völlig neue Einsatzmöglichkeiten. So werden seit Beginn der 1990er Jahre in der Bundesrepublik zunehmend Projekterfahrungen gesammelt. Durch die gegenwärtig starke Verbreitung von Smartphones können viele Anwendungen im professionellen Umfeld von den bisher ungeahnten Chancen der Mobilität profitieren. Auch im privaten Umfeld kommen verstärkt aus der Medizin entlehnte Monitoringverfahren zur Anwendung, die teilweise schon zum Selbstzweck geworden sind.

Im Gegensatz zu anderen Ländern konnten sich in Deutschland noch keine telemedizinischen Anwendungen als Regelversorgungskonzepte durchsetzen. Um die Chancen der Telemedizin für Krankenkassen nicht zu verspielen, bieten sich in der gegenwärtigen Phase eine innovativere Aufgabenteilung und neue Kooperationsformen an.

So könnte die entscheidende Kosten-Nutzen- Bilanz des Telemonitorings zum Beispiel durch intelligentes Ressourcensharing der Gesundheitsdienstleister und skalierbare Unterstützung beim Aufbau von Managementstrukturen in der klinischen Telemedizin enorm profitieren.

 

Einige aktuelle Entwicklungen sprechen dafür, dass sich eine telemedizinfreundliche(re) Versorgungskultur allmählich durchsetzt. Allen Interessengegensätzen im Gesundheitswesen zum Trotz besteht die grundsätzliche Überzeugung, dass elektronisch gestützte Kooperation im Gesundheitswesen Vorteile mit sich bringt:

Im Jahr 2012 wurden zahlreiche neue Telemonitoring-Verträge abgeschlossen, nachdem 2011 einige Verträge ausgelaufen waren, etwa für Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenkrankheit oder koronarer Herzkrankheit.

Laut Beschluss der 85. Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) vom 27. und 28. Juni 2012 sehen die „Gesundheitsministerinnen und Gesundheitsminister, Senatorinnen und Senatoren der Länder … – insbesondere im ländlichen Raum – einen großen Bedarf, nutzerorientierte Anwendungen der Telematik, wie elektronische Patientenakten, den elektronischen Arztbrief und die elektronischen Heilberufs- und Berufsausweise einschließlich vor allem auch der Telemedizin, parallel zum Aufbau der Telematikinfrastruktur, einzuführen.“ Sie beauftragen die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Telematik im Gesundheitswesen (BLAG), bis zur 86. GMK einen umfassenden Bericht zur „Einführung nutzerorientierter Telematikanwendungen in Deutschland” mit konkreten Handlungsempfehlungen zu erstellen.

Der steigende Umfang der Projektförderung durch die Bundesländer sowie die allgemeine Stärkung der Strukturen (zum Beispiel durch das elektronische Gesundheitsberuferegister) zeigen den Stellenwert der Telemedizin.

Seit dem vergangenen Jahr ist der Ausbau der Telemedizin im GKV-Versorgungsstrukturgesetz verankert.

Wie der Deutsche Ärztetag 2010 trotz Ablehnung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) zeigte, sehen auch Ärzte in der Telemedizin eine Anwendung, die zukünftig an Bedeutung gewinnen wird.

Diese aktuellen Beispiele belegen das Interesse von Politik, Krankenkassen und Ärzteschaft an der Weiterentwicklung telemedizinischer Angebote in Deutschland. Dennoch ist festzustellen, dass statt einer deutschlandweiten Verbreitung der Telemedizin immer noch eine unüberschaubare Projektlandschaft vorherrscht.

Die Modellregion Ostwestfalen-Lippe

Im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW) werden gegenwärtig zahlreiche Projekte durch Wettbewerbe und Aufrufe gefördert bzw. sind Mitglied der Landesinitiative eGesundheit.nrw. Mit Förderung des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRW entwickelt die ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH derzeit telemedizinische Strukturen in der Modellregion Ostwestfalen-Lippe (OWL). Krankenhäuser sowie niedergelassene Ärzte können sich an die ZTG GmbH wenden und erhalten kostenlose Beratung zu telemedizinischen Vorhaben und Konzepten.

Der Aufbau telemedizinischer Infrastrukturen, die Umsetzung der Prozesse sowie der Auf- und Ausbau des Netzwerkes sind zeit- und kostenintensiv. Es zeigt sich, dass selbst gut akzeptierte telemedizinisch gestützte Versorgungsprogramme, aber auch einfache Anwendungen, wie etwa Telekonsile, sich nur bei einem gewissen Fallaufkommen tragen. Entsprechende Volumina können nur erreicht werden, wenn netzübergreifend Synergien genutzt werden. Durch Ressourcensharing kann die kritische Schwelle des Return of Investment (ROI) schneller erreicht werden.

Im Rahmen der Modellregion Telemedizin OWL wird derzeit an einer Lösung für ein solches Ressourcensharing gearbeitet. Die Zielstellung des Telemedizinverbundes OWL besteht darin, eine kostengünstige, hoch verfügbare, standardisierte und gut übertragbare Lösung für die einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte in der Telemedizin zu entwickeln. Diese Lösung muss auch in anderen medizinischen Anwendungsbereichen nutzbar sein, um Aussicht auf Verbreitung zu haben.

Nach intensiver Voranalyse, unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Landesinitiative eGesundheit.nrw, besteht das grundlegende technologische Konzept der Verbundpartner darin, die Basisinfrastruktur für den intersektoralen Austausch von Patientendaten in der Modellregion Telemedizin OWL durch das Konzept der elektronischen Fallakte (EFA) umzusetzen. Auf Basis dieser Plattform können die Partner in kooperativen Strukturen neue telemedizinische Services entwickeln. Sie können dabei telemedizinische Kernprozesse wie das Telemonitoring von Vitaldaten dem telemedizinischen Zentrum übertragen, aber dennoch als eigenständige telemedizinische Leistungserbringer gegenüber Patienten und Krankenkassen auftreten. Die Nutzung zentraler Strukturen (Technik, Personal ...) ist dabei je nach Anwendung frei skalierbar. Durch die Mehrfachnutzung lassen sich wirtschaftlich tragfähigere Angebote klinischer Telemedizin erreichen. Das dient dem beiderseitigen Nutzen von Telemedizin- Anbietern und Krankenkassen.

Als Fazit der bisherigen Arbeit des Kompetenzzentrums in OWL lässt sich festhalten, dass die Initiative der Leistungserbringer für den Ausbau der Telemedizin absolut unverzichtbar ist. Denn noch längst nicht sind alle sinnvollen Anwendungen bekannt oder gar erprobt. Damit die Konzentration auf die medizinischen Kernkompetenzen möglich ist, kann es außerdem besonders in der Frühphase von Telemedizinprojekten empfehlenswert sein, koordinierende Funktionen wie das Projektmanagement oder die Öffentlichkeitsarbeit auszulagern.

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