
Rauchen, Übergewicht, wenig Sport - eine gesundheitsunbewusste Lebensweise ist eine der wesentlichen Ursachen von Zivilisationskrankheiten. Neben den Folgen für die Betroffenen selbst sind auch die Kosten für die Gesellschaft immens. Um hier präventiv erfolgreich zu agieren, gilt es vor allem, die Menschen in ihren Lebenswelten abzuholen.
Bis 2015 werden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2,3 Milliarden Menschen auf der Welt übergewichtig sein und 700 Millionen krankhaft fettsüchtig. In den USA hat Übergewicht längst epidemische Ausmaße angenommen. Dort hat sich seit den 1970er Jahren die Zahl verdoppelt. Über 70 Prozent der Amerikaner sind übergewichtig, mehr als 30 Prozent fettsüchtig. Und Europa holt auf: Nach Angaben der Deutschen Adipositas Gesellschaft hat inzwischen mehr als jeder zweite EU-Bürger Übergewicht oder Adipositas. Innerhalb Europas haben Deutschland und Großbritannien die höchsten Anteile an Übergewichtigen und Fettleibigen.
In Deutschland sind 67 Prozent der Männer und 53 Prozent der Frauen übergewichtig. Krankhaft fettsüchtig ist fast jede/jeder Vierte, Tendenz steigend vor allem bei Männern und Jugendlichen. Nach Daten des Bundesgesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts ist seit 1998 der Anteil der Übergewichtigen unter den 25- bis 34-Jährigen bei den Männern von zehn auf über 15 Prozent und bei den Frauen von neun auf 14 Prozent gestiegen. Übergewicht ist dabei vor allem ein Problem der unteren sozialen Schichten.
Die Folgen für die Betroffenen sind erheblich. Nahezu alle modernen Zivilisationskrankheiten werden mit Übergewicht in Verbindung gebracht: Diabetes mellitus, Altersdiabetes schon im jugendlichen Alter, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Schlaganfall, Arthrose, aber auch Depressionen als Folge sozialer Isolation sowie Demenzerkrankungen und Alzheimer. Bei Kindern ist das Risiko für Entwicklungsstörungen erhöht.
Anstieg der Ausgaben
Die Folgekosten für die Gesellschaft sind gigantisch. Nach einer Studie der Technischen Universität München lagen bereits 2003 die jährlichen Kosten der Adipositasbehandlung bei 85,7 Millionen Euro und für die Therapie der Folgeerkrankungen bei 11,3 Milliarden Euro. Die indirekten Kosten durch Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Verrentung wurden auf 1,4 bis 1,6 Milliarden Euro geschätzt. Zum Vergleich: Die direkten und indirekten Kosten des Rauchens für Gesundheitswesen und Volkswirtschaft liegen laut Deutschem Krebsforschungszentrum bei 8,6 Milliarden Euro im Jahr. Orientiert man sich an den Trendrechnungen der WHO, ist bis 2020 ein Anstieg der indirekten und direkten Ausgaben für die Folgen von Übergewicht und Fettsucht auf fast 26 Milliarden Euro im Jahr zu erwarten.
Es gibt also auch klare ökonomische Gründe, sich des Themas anzunehmen. Dies geschieht bereits seit einigen Jahren. Erinnert sei an die Kampagne der grünen Verbraucherministerin Renate Künast gegen dicke Kinder. Sie hat vielleicht sogar gewirkt. So überraschte im vergangenen Jahr die Deutsche Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin mit der Feststellung, die krankhafte Form der Adipositas sei zumindest bei den Kindern im Vorschulalter auf dem Rückzug. Bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen ist eine solche Entwicklung allerdings nicht zu beobachten.
Weitaus erfolgreicher scheint die Strategie gegen das Rauchen gewesen zu sein. Nachdem mehrfache Erhöhungen der Tabaksteuer im vergangenen Jahrzehnt kaum Auswirkungen gehabt haben, meldete 2012 die DAK überraschend deutliche Effekte der zwischen 2007 und 2008 in allen Bundesländern erlassenen Nichtraucherschutzgesetze: Um acht bzw. 13 Prozent ging in der Folgezeit laut DAK die Zahl der Klinikbehandlungen wegen eines Herzinfarkts oder einer Angina Pectoris zurück. Wie valide diese Studie ist, kann dahin gestellt bleiben. Fest steht, dass vergleichbare staatliche Verbote im Hinblick auf die Nahrungsaufnahme oder Gebote bezüglich Sport und körperlicher Bewegung vielleicht sehr hilfreich wären, aber in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht infrage kommen. Vielmehr muss es darauf ankommen, die Menschen in ihren Lebenswelten, also zu Hause, in der Schule und am Arbeitsplatz zu erreichen.
Vorstöße für ein Präventionsgesetz
Seit 2005 sind zwei Versuche gescheitert, über ein Präventionsgesetz dieses Ziel zu erreichen. Die Idee damals war, einem Nationalen Präventionsrat die Aufgabe zu übertragen, bundesweite Präventionsziele zu formulieren und Aufklärungskampagnen zu starten. Finanziert werden sollte das Ganze vor allem durch die Krankenkassen. Nun gibt es einen neuen, deutlich bescheideneren Anlauf der schwarz-gelben Bundesregierung. Er setzt nicht auf die Schaffung neuer Strukturen. Vielmehr sollen Ärzte und Betriebsärzte in Zukunft eine stärkere Rolle spielen und im Zusammenspiel mit den Krankenkassen Risikofaktoren bei den Versicherten durch Gesundheits-Check-ups aufspüren, die bisher erst ab Vollendung des 35. Lebensjahres von den Kassen gezahlt werden. Generell sollen die Krankenkassen mehr Geld für Prävention ausgeben. Dies erscheint sinnvoll.
Doch ist der bescheidene Ansatz, sich vor allem auf die bisherigen Akteure im Gesundheitssystem zu stützen, auch die größte Schwäche des Gesetzentwurfs. Denn weder Krankenkassen noch Mediziner haben ein natürliches Interesse daran, Krankheiten vorzubeugen. Ärzte verdienen an kranken, nicht an gesunden Patienten. Die Krankenkassen sind unter dem neuen Regiment von Gesundheitsfonds und Einheitsbeitrag noch mehr als früher gezwungen, ihr Geld zusammenzuhalten, um Zusatzbeiträge zu vermeiden. Auf Investitionen in die Vermeidung künftiger Krankheitskosten müssen sie daher eigentlich verzichten, da sie kurzfristig die Ausgaben erhöhen. Beide dürften daher trotz sicher vorhandenen guten Willens die Umsetzung des Gesetzes wegen der gegenläufigen ökonomischen Interessenlage kaum proaktiv unterstützen. Zu befürchten ist auch, dass die von Übergewicht besonders betroffenen sozial schwachen und bildungsfernen Schichten gar nicht von den neuen Angeboten erreicht werden. Es gibt daher gute Gründe, in der nächsten Legislaturperiode einen neuen Anlauf für ein umfassenderes Gesetz zu unternehmen.