Es ist der nunmehr dritte Anlauf der Politik, die Prävention in Deutschland mittels eines eigenen Gesetzes zu stärken. Da Prävention zweifelsohne eine wichtige Säule in der gesundheitlichen Grundversorgung darstellt, werden die Bemühungen der Bundesregierung zur Stärkung der Prävention auch grundsätzlich begrüßt. Leider bleibt aber auch dieser am 20. März 2013 im Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf hinter den selbst formulierten Ansprüchen der Bundesregierung zurück.
Selbsterklärtes Ziel des von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurfes ist es, mit einer zielgerichteten Ausgestaltung der Leistungen der Krankenkassen zur primären Prävention und Früherkennung die Bevölkerung bei Entwicklung und Ausbau von gesundheitsfördernden Verhaltensweisen zu unterstützen. In diesem Sinne ist die vorgesehene stärkere Orientierung und Ausrichtung der Präventionsleistungen an einheitlichen Gesundheitszielen zu begrüßen. Hier aber die in den letzten Jahren entwickelten Ziele des Kooperationsverbundes gesundheitsziele.de kurzerhand für verbindlich zu erklären, ist dann doch zu kurz gegriffen. Sie müssten noch präventionsspezifischer ausgerichtet werden. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) verfügt bereits über solche Präventionsziele. Diese basieren auf wissenschaftlichen Grundlagen, sind messbar und werden kontinuierlich überprüft und weiterentwickelt. Und sie sind zudem demokratisch legitimiert.
Trotz des allgemein anerkannten Verständnisses von Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe nimmt die Koalition mit ihrem Gesetzentwurf allein die gesetzliche Krankenversicherung in die Pflicht. Wenn aber Prävention eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, dann müssen auch alle für Prävention Verantwortlichen verpflichtend mit eingebunden werden. Zudem fehlt ein umfassender und strukturierter Ansatz für eine nutzenorientierte Prävention. Daran ändert auch die Einrichtung einer Ständigen Präventionskonferenz beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) grundsätzlich nichts.
Auch bleibt fraglich, inwieweit sich durch eine einfache Erhöhung der GKV-Mittel die Prävention und Gesundheitsförderung in Deutschland nachhaltig stärken und weiterentwickeln lässt. Die Verdoppelung der Höhe des Ausgabenrichtwertes nach § 20 Abs. 2 SGB V auf sechs Euro ist eine unverhältnismäßig hohe Steigerung, die kurzfristig qualitätsgesichert nicht zu leisten ist. Eine Erhöhung des Richtwertes für die GKV erscheint im Übrigen nur dann vertretbar, wenn auch die anderen relevanten Akteure in der Prävention dazu verpflichtet werden, ihren Beitrag zu leisten. Das ist aber nicht der Fall.
Im Gegenteil: Die Krankenkassen sollen aus ihren Mitteln für die Prävention zusätzlich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) subventionieren. Schon 2014 soll die dem BMG nachgeordnete Fachbehörde etwa 35 Millionen Euro aus den Beitragsmitteln der GKV erhalten. Dies ist nicht sachgerecht und zudem verfassungsrechtlich höchst bedenklich. Die Finanzierung bevölkerungsbezogener Informationsmaterialien und Aufklärungskampagnen hat aus Steuermitteln zu erfolgen.
Die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) ist eine wichtige Präventionssäule. Allerdings führt die vorgesehene Quotierung – danach sind zwei Euro je Versicherten für BGF-Maßnahmen zu verausgaben – nicht zu einer Stärkung dieser Säule, da die Gestaltungsmöglichkeiten der GKV eingeengt werden. Zudem soll eine neue, zusätzliche Beratungsstruktur zur BGF auf regionaler Ebene aufgebaut werden. Dies ist kostenträchtig und der Nutzen bleibt unklar. Denn die Krankenkassen beraten bereits heute Betriebe eingehend und stimmen mit ihnen betriebsbezogene Maßnahmen ab. Problematisch ist, dass sich diese neuen Regionalstellen aus nicht verausgabten BGF-Mitteln der Krankenkassen finanzieren sollen. Mit „Restmitteln“ können aber weder arbeitsfähige Strukturen noch tragfähige Projekte durchfinanziert werden. Denn erstens ist es unbekannt, welche Mittel jeweils zur Verfügung stehen. Und zweitens werden die Krankenkassen versuchen, ihr Geld möglichst vollständig in eigene Projekte fließen zu lassen, damit sie nicht gesichtslos in einer Gemeinschaftsförderung untergehen.
Nach dem Willen der Koalition sollen Ärzte künftig im Rahmen der Früherkennungsmaßnahmen Präventionsempfehlungen auf Basis einer ärztlichen Bescheinigung aussprechen können. Bereits heute unterliegen die Ärzte einer Verpflichtung zur allgemeinen Gesundheitsberatung. Grundsätzlich kann ein Arzt also auch schon heute Verhaltensempfehlungen aussprechen. Das gilt auch für die Prävention. Ärztliche Bescheinigungen aber führen über kurz oder lang zu unnötigen Mehrausgaben. Um späteren Diskussionen vorzubeugen, sollte unmissverständlich klargestellt werden, dass das Ausstellen der ärztlichen Bescheinigung für eine Präventionsempfehlung für die Versicherten wie für die GKV mit der präventionsorientierten Beratung abgegolten sein muss.
Mit diesem Gesetzentwurf macht es sich die Koalition zu leicht. Mehr Geld in die Hand nehmen zu lassen ‒ und das ausschließlich durch den Beitragszahler ‒ und neue Beratungsstrukturen zu etablieren, reichen nicht aus, um die Prävention nachhaltig zu fördern. Ohnehin bleibt aufgrund der geänderten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat abzuwarten, ob das Gesetzgebungsverfahren ohne Vermittlungsausschuss stattfindet. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der auslaufenden Legislaturperiode das Präventionsgesetz den Weg ins Bundesgesetzblatt nicht schafft.