Pflegereform

Mehr Licht als Schatten

Illustration: Alter Mann am Stock mit Pflegerin und dem Schild "Pflegebedürftigkeitsbegriff". Rechts daneben eine alte Frau im Rollstuhl mit einem Schild "Bessere Leistungen".

Was der Großen Koalition 2005 – 2009 nicht geglückt ist und unter dem letzten Gesundheitsminister Daniel Bahr in einer Mini-Reform endete, nimmt unter dem neuen Gesundheitsminister Hermann Gröhe nun Gestalt an. Die zweistufige Pflegereform bringt wichtige Leistungsverbesserungen und führt den überfälligen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ein. Offene Fragen gibt es beim geplanten Pflegevorsorgefonds.

Mit dem vorgelegten Referentenentwurf eines 5. SGB XI-Änderungsgesetzes wird der erste Schritt einer Pflegereform angegangen, der in großen Teilen in die richtige Richtung weist. Kurzfristige Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und deren Angehörige, flexiblere Möglichkeiten der Leistungsinanspruchnahme, Dynamisierung von Leistungen und – last but not least – in der zweiten Stufe dann der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff. Das sind allesamt wichtige und zukunftsweisende Themen. Dies gilt es zu würdigen, auch wenn im Detail Nachbesserungsbedarf besteht, vor allem im Hinblick auf den geplanten Pflegevorsorgefonds.

Erste Stufe: Bessere Leistungen im Fokus

Jede Pflegereform – und so auch diese – ist ein Balanceakt zwischen dem nachvollziehbaren Interesse nach Leistungsverbesserungen auf der einen und der berechtigten Sorge um ausufernde Pflegebeiträge auf der anderen Seite. Dieser Balanceakt scheint im Großen und Ganzen gelungen. Denn mit dem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) vorgelegten Referentenentwurf für die „Stufe Eins der Pflegereform“ – dem sogenannten Fünften G-setz zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch – wird zum einen auf kurzfristige Leistungsverbesserungen und flexiblere Ausgestaltung der Leistungen für die Pflegebedürftigen fokussiert. Zum anderen wird der Beitrag zum 1. Januar 2015 um 0,3 Beitragssatzpunkte angehoben. Eine Anhebung des Beitragssatzes in dieser Größenordnung ist vertretbar und kann nicht ernsthaft dafür herhalten, Ängste zu schüren, dass damit der „Wettbewerbsstandort Deutschland“ in Gefahr gerate.

In Reformstufe Eins ergeben sich spürbare Verbesserungen für die Versicherten insbesondere bei der Tages- und Nachtpflege, den Betreuungsleistungen und der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege. Zudem wird eine neue sogenannte „Entlastungsleistung“ eingeführt, die insbesondere die Pflegebedürftigen im Haushalt entlasten oder helfen soll, den Alltag besser zu meistern.

Zukünftig erhalten auch pflegebedürftige Menschen mit somatischen Einschränkungen einen Anspruch auf diese Betreuungs-/Entlastungsleistungen. Diese Ausweitung der Anspruchsberechtigten ist längst überfällig und sachgerecht. Hinzu kommt die flexiblere Gestaltung von Kurzzeit- und Verhinderungspflege, denn sie trägt zu mehr Bedarfsgerechtigkeit bei und vollzieht das gesetzlich nach, was in Teilen schon heute gängige Praxis bei den Pflegekassen darstellt. Hier wäre es sinnvoll, noch einen Schritt weiterzugehen und die Leistungen der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege zu einer Leistung zusammenzufassen, um damit die Flexibilität und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen weiter zu fördern und Bürokratie abzubauen. Zudem sollte das Pflegegeld während der Inanspruchnahme der Verhinderungs- und Kurzzeitpflege in voller Höhe und nicht – wie bisher – nur zur Hälfte weitergezahlt werden. Dies würde die ambulante Pflege deutlich stärken und zu mehr Akzeptanz und Transparenz dieser Leistungen führen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Aspekt im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch aufgenommen wird.

Auch die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung unterliegen einem realen Kaufkraftverlust. Daher wäre eine regelhafte Anpassung (Dynamisierung) der Leistungsbeträge notwendig, um dem inflationsbedingten Preisverfall der Pflegeleistungen entgegenzuwirken. Bisher ist diese Anpassung nur sehr halbherzig vonstatten gegangen und unterlag keinem festgelegten Mechanismus. Vor diesem Hintergrund ist die jetzt geplante Dynamisierung der Leistungen um in der Regel vier Prozent natürlich zu begrüßen. Allerdings hat der Gesetzgeber damit nur die Preisentwicklung der letzten drei Jahre berücksichtigt, was man im Sinne der politischen Durchsetzbarkeit, dem Balanceakt zwischen Leistungen und Finanzierbarkeit, noch akzeptieren kann. Rätselhaft bleibt aber, warum man sich auch in Zukunft lediglich mit einem „Prüfauftrag“ der Regierung begnügt und nicht eine verbindliche Regelung im Gesetz verankert, welche die Leistungen der Pflege dauerhaft vor einer Entwertung schützt. Hier ist eine Regelung zu fordern, welche die Anpassung der Leistungsbeträge an eine wirtschaftliche Kenngröße, wie zum Beispiel die allgemeine Preissteigerung, koppelt.

Qualitätsprüfungen in Pflegeheimen

Qualität in der Pflege ist und bleibt ein wichtiger Aspekt, um die Situation der Pflegebedürftigen künftig und dauerhaft zu verbessern. Es ist daher erfreulich, dass der Gesetzentwurf auch Regelungen enthält, die darauf abzielen, die Aussagekraft der Ergebnisse der Qualitätsprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in den ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen zu stärken. So sollen künftig die betroffenen Pflege-bedürftigen in die Qualitätsprüfung einbezogen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine mangelhafte Pflege vorliegen. Auch wenn diese Praxis heute schon vom MDK gelebt wird, so dient diese Regelung dennoch der Klarstellung.

Auch Qualitätsprüfungen müssen so unbürokratisch wie möglich ablaufen. Daher ist es schade, dass der Vorschlag des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), die Intervalle der Qualitätsprüfungen zielgenau weiterzuentwickeln, bisher nicht aufgegriffen wurde. Bei sehr gut geprüften Einrichtungen sollte der Gesetzgeber das Prüfintervall von einem auf zwei Jahre erweitern.

Pflegevorsorgefonds:  Zukunftsfeste Finanzreserve?

Zukünftig sollen 0,1 Beitragssatzpunkte zum Aufbau eines Pflegevorsorgefonds als Sondervermögen verwendet werden. Ziel ist, den demografiebedingten Anstieg der Pflegebedürftigen abzufedern und den Beitragssatz stabil zu halten. Dafür soll 20 Jahre lang ein Sondervermögen angespart werden, das ab 2035 wieder der sozialen Pflegeversicherung zugeführt wird.

Diese Form der demografiebedingten „Pflegevorsorge“ ist in jedem Fall die bessere Lösung als der rein kapitalgedeckte private „Pflege-Bahr“. Doch die Regelung lässt (zu) viele Fragen offen. Ordnungspolitisch ist unklar, ob und wie das Fondsvermögen, das aus Beitragsgeldern der Versicherten besteht, vor dem Zugriff der Politik abgeschirmt werden kann. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Reduktion des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Krankenversicherung darf bezweifelt werden, ob ein Schutz der Rücklagen vor einer Zweckentfremdung der Mittel überhaupt möglich ist. Hinzu kommt: Namhafte Gesundheitsökonomen haben berechnet, dass der Effekt einer solchen Rücklage vernachlässigbar ist. Er würde lediglich zu einer zeitlich befristeten Reduktion des Beitragssatzes um 0,1 Beitragssatzpunkte führen. Eine zukunftsfeste Finanzierung sieht anders aus, auch wenn zugegebenermaßen bessere Lösungen derzeit nicht auf dem Tisch liegen.

Zweite Stufe: Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff

In einem zweiten Reformschritt soll der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt werden. Auf Basis der Empfehlungen des „Expertenbeirats zur konkreten Ausgestaltung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ aus dem Sommer 2013 will die Bundesregierung nun in dieser Legislaturperiode endlich Fakten schaffen. Angekündigt ist ein entsprechendes Gesetz zum 1. Januar 2016. Die Umsetzung in der Praxis mit entsprechenden Vorlaufzeiten – etwa wegen der notwendigen Umstellung des gesamten Begutachtungssystems – würde dann ab dem Jahr 2017 greifen. Die Fachwelt ist sich einig, dass dies eine längst überfällige Maßnahme darstellt, vor allem wenn man bedenkt, dass in den letzten acht Jahren in dieser Hinsicht politisch herzlich wenig passiert ist.

Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff würde dann endlich ein Begutachtungsinstrument eingeführt, das nicht nur auf somatische Einschränkungen abzielt, sondern auch die psychischen und kognitiven Ursachen einer Pflegebedürftigkeit adäquat berücksichtigt. Es ist gut und richtig, dass nun zunächst im Rahmen von zwei Modellprojekten sowohl die Praktikabilität des neuen Instruments getestet wird, als auch empirisch der Frage nach dem tatsächlichen Unterstützungsbedarf von pflegebedürftigen Menschen nachgegangen wird.

Für die wichtige zweite Stufe der Pflegereform stehen rund 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Dieser Betrag dürfte allerdings kaum ausreichen, denn schon im Expertenbeirat aus dem Jahr 2013 wurde von einem Finanzbedarf zwischen zwei und 6,8 Milliarden Euro ausgegangen. Da wundert es auch nicht, wenn die Forderung immer lauter wird, die für den Pflegevorsorgefonds eingeplanten 1,2 Milliarden Euro lieber in die Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs umzulenken.

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