Selbsthilfe

Alltagsnahe Unterstützung

Diagramm: Entwicklung des Selbsthilfe-Fördervolumens der GKV. HTML-Version im Longdesc-Link.

Seit Anfang der 70er Jahre hat sich die gesundheitsbezogene Selbsthilfe in Deutschland von vereinzelten ehrenamtlich getragenen Initiativen hin zu einer festen Größe im Gesundheitssystem entwickelt. Mit ihren alltagsnahen Strukturen ist sie eine wichtige Verbindung zwischen gegenseitiger Hilfe und Erfahrungsaustausch von Betroffenen auf der einen und professioneller Unterstützung auf der anderen Seite.

Selbsthilfeorganisationen sind heute nicht mehr aus der Gesundheitsversorgung wegzudenken. Darüber hinaus haben sie sich verdientermaßen auch politisch etabliert und Einzug in die gesundheitspolitischen Gremien auf Bundes- und Länderebene gehalten. Als kompetente Kooperationspartner werden sie bei Fragen der Krankheitsbewältigung und der Weiterentwicklung der ambulanten, stationären und rehabilitativen Versorgung geschätzt.

Eine frühe Anerkennung der gesundheitlichen Selbsthilfe bei der Bewältigung chronischer Erkrankungen, von Behinderungen und psychosozialer Probleme erfolgte durch den Gesetzgeber 1992, als er die Selbsthilfeförderung im SGB V verankerte: zunächst als Ermessensleistung und seit 2008 im § 20c SGB V als unbedingte Förderverpflichtung mit Vorgabe eines von jeder Krankenkasse jährlich zu entrichtenden Förderbetrages. Für das aktuelle Förderjahr 2014 beläuft sich dieser Wert auf 0,62 Euro pro Versicherten.

Bei knapp 70 Millionen Versicherten stellen die gesetzlichen Krankenkassen in diesem Jahr insgesamt 43,3 Millionen Euro an Selbsthilfemitteln zur Verfügung. Die Selbsthilfe kann somit jährlich auf die Krankenkassen als verlässlichen Förderer vertrauen. Weder andere Sozialversicherungsträger noch die öffentliche Hand fördern in diesem Umfang die Selbsthilfe.

Diese Form der Unterstützung mit dem für die Umsetzung der Förderung etablierten Förderverfahren ist weltweit einmalig. Sie stellt die flächendeckende finanzielle Unterstützung der rund 40.000 örtlichen Selbsthilfegruppen, rund 800 Landes-, 310 Bundesverbände sowie 300 Selbsthilfekontakt- und -unterstützungsstellen sicher. Die gesetzlichen Krankenkassen erfüllen mit dieser Förderung ihren Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe in vollem Umfang.

Einmalig bei der Selbsthilfeförderung ist auch, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und ihre Verbände prospektiv Leistungsausgaben tätigen, bevor eine Leistung erbracht ist. Das trifft insbesondere bei der Pauschalförderung zu. Häufig leisten die Krankenkassen auch ihre Fördermittel, obwohl ein Projekt bereits beendet oder noch gar nicht begonnen wurde. Die GKV gibt der Selbsthilfe somit einen großen Vertrauensvorschuss, indem sie Fördermittel ohne Gegenleistung erbringt. Das konkrete Verfahren, die Fördervoraussetzungen und -kriterien für die Beantragung von Fördermitteln sind im „Leitfaden zur Selbsthilfeförderung“ definiert.

Während die finanzielle Unterstützung der Selbsthilfe in den letzten 15 Jahren durch die übrigen Sozialversicherungsträger stagniert und die öffentliche Hand ihre Mittel kontinuierlich zurückfährt, steigt die Förderung durch die GKV stetig an. Von 7,5 Millionen Euro im Jahr 1999 versechsfachten sich die Mittel auf inzwischen 43,3 Millionen Euro. Die Krankenkassen und ihre Verbände stellen mit ihrem finanziellen Beitrag Planungssicherheit für die vielfältigen Aktivitäten der Selbsthilfe her. Die Einnahmen der Selbsthilfe beschränken sich jedoch nicht nur auf die Mittel der Sozialversicherung und der öffentlichen Hand. Ein erheblicher Finanzierungsanteil erfolgt durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Erbschaften, Stiftungen, Sponsoring, eigene Zweckbetriebe und Bußgeldzuwendungen.

Aktivitäten und Leistungsumfang der Selbsthilfe

Das Zusammenfinden in Gruppen, der Austausch und die gegenseitige Hilfe in der Gruppe sind charakteristisch für die Selbsthilfe. Einhergehend mit der zunehmenden Professionalisierung von Selbsthilfeorganisationen erweiterten sich deren Aktivitätsspektrum und Leistungsumfang. So kamen die Bereitstellung von Informationsmaterialien und Unterstützungsangebote für Betroffene und Interessierte hinzu. Es gibt mittlerweile vielfältige Beratungsangebote zu psychosozialen, medizinischen und sozialrechtlichen Fragen, zu Fragen der Rehabilitation und Mobilität, zu Hilfsmitteln und zur Finanzierung.

Selbsthilfeorganisationen beteiligen sich an verschiedenen Gremien auf der Bundes-, Landes- und regionalen Ebene sowie der Vergabe von Fördermitteln der Krankenkassen. Des Weiteren kooperieren sie mit gesundheitlichen, sozialen und psychosozialen Versorgungseinrichtungen, beteiligen sich an Arbeitskreisen und Netzwerken, organisieren Fachtagungen, Fortbildungen und Kongresse. Sie tragen dadurch erheblich zum Wissenserwerb von Mitgliedern, Betroffenen und Multiplikatoren bei und stoßen Lern- und Vernetzungsprozesse unter anderem mit Ärzten und medizinischen Fachexperten an.

Ein neueres, sehr wichtiges Feld sind Online-Aktivitäten. Der nahezu flächendeckende Zugang der Bevölkerung zum Internet hat auch Auswirkungen auf die Selbsthilfe und die von ihr bereitgestellten Online-Dienste. Neben dem Abruf von Informationen über Erkrankungen und mögliche Hilfen wird das Internet als Kommunikationsmedium in Form von Foren, Chats und Newsgroups von vielen Betroffenen und ihren Angehörigen genutzt. Es werden auch Internetforen zum Austausch mit anderen Betroffenen gegründet. Der virtuelle Austausch ist für die Betroffenen und Nutzer örtlich und zeitlich flexibel und stellt meist auch einen niedrigschwelligen Zugang zu Gleichbetroffenen dar.

Diese Formen des Zugangs zur Selbsthilfe und des Austauschs verändern die Strukturen der gewachsenen verbandlich organisierten Selbsthilfe und ihrer Arbeitsweise. Momentan findet auf vielen Ebenen die intensive Auseinandersetzung mit den Chancen und Organisationsformen, aber auch mit den Gefahren der virtuellen Selbsthilfe statt. Sicher ist, dass virtuelle Plattformen für viele  chronisch Kranke und Behinderte ein wichtiger ergänzender Zugang zur Selbsthilfe sind. Auf der anderen Seite sind ihre Qualitäten für die Stärkung der Selbsthilfepotenziale sowie für die Weiterentwicklung des gesundheitlichen Versorgungsgeschehens noch nicht abschließend belegt.

Die Selbsthilfe auf Bundesebene

Die verbandlich organisierte Selbsthilfe auf Bundesebene deckt ein breites Spektrum an Erkrankungen, Behinderungen und psychischen Problemen ab. Sie ist überwiegend diagnoseorientiert aufgestellt und verfügt je nach Verbreitungsgrad der Krankheit oder Behinderung über mehr oder weniger viele Mitglieder – von 20 bis 250.000 – und unterschiedliche Organisationsformen. So gibt es rechtlich selbstständige Gruppen und Verbände, freie, unabhängige Gruppen, und große Verbände mit Landes-, Orts- oder Bezirksverbänden und -gruppen. Von den 300 Antragstellern, die in diesem Jahr bei der „GKV-Gemeinschaftsförderung Selbsthilfe auf Bundesebene“ Fördermittel beantragen, verfügen zwei Drittel über Untergliederungen in Form von örtlichen Selbsthilfegruppen und Landesverbänden, ein Drittel weist keine nachgeordneten Selbsthilfestrukturen auf. Bei diesen handelt es sich um Selbsthilfezusammenschlüsse zu seltenen Erkrankungen, für die sich aufgrund der geringen Betroffenenzahlen und der überregionalen Verteilung keine regionalen oder landesweiten Organisationsstrukturen bilden lassen. Um auf die Problemlagen und Versorgungsdefizite im Bereich der seltenen Erkrankungen aufmerksam zu machen, schließen sich die- se Selbsthilfezusammenschlüsse in der Regel  der Dachorganisation „ACHSE e. V. – Allianz  Chronischer Seltener Erkrankungen“ an.

Wohin fließen die Mittel der Krankenkassen auf Bundesebene?

Im Jahr 2013 stellten die Krankenkassen und ihre Verbände von den insgesamt an die Selbsthilfe ausgeschütteten Mitteln in Höhe von 42,8 Millionen Euro 9,23 Millionen Euro für die Förderung der rund 300 Selbsthilfebundesorganisationen bereit. Dies entspricht einem Anteil von 21,6 Prozent. Differenziert nach der krankheitsbezogenen Ausrichtung dieser Fördermittelempfänger entfielen die größten Anteile an Fördermitteln auf die folgenden Bereiche: Die Förderung aller 94 Selbsthilfeorganisationen aus dem Bereich der seltenen Erkrankungen belief sich mit 2,3 Millionen Euro auf 25 Prozent. Auf die indikationsübergreifend agierenden Vereine wie beispielsweise das Kindernetzwerk, die ACHSE, die Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG SELBSTHILFE), die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen, die Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS) und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) entfiel ein Förderanteil von 11,8 Prozent an den Bundesmitteln. Auf den Bereich der Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen entfielen 10,9 Prozent, auf die Krankheiten des Nervensystems 9,6 Prozent, auf den Bereich der angeborenen Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien 9,1 Prozent, auf psychische und Verhaltensstörungen 7,7 Prozent, auf Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten 6,5 Prozent, auf bösartige Neubildungen 6,0 Prozent.

Mit der jährlichen Veröffentlichung der  von den Krankenkassen und ihren Verbänden geförderten Selbsthilfeorganisationen auf Bundesebene stellt der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) Transparenz über die Förderung und den Verbleib dieser GKV-Mittel her. Die vollständige Liste kann auf der Homepage des vdek abgerufen werden. Dort sind auch die Informationen zum Förderverfahren und zur Antragstellung zu finden.

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