Medizinischer Dienst der Krankenversicherung

Im Spannungsfeld der Akteure

Politische Kräfte stellen die Unabhängigkeit im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) infrage. Sie unterstellen den Krankenkassen, durch die Entsendung von hauptamtlichen Vertretern in die Gremien Einflussnahme auf die Entscheidungen auszuüben, und sie fordern Strukturveränderungen, mehr Transparenz und einen Wettbewerb der Prüfdienste. Vorschläge zur Errichtung eines von den Krankenkassen unabhängigen Instituts, Gründung einer Stiftung sowie Einbeziehung mehrerer Gutachterinstitutionen stehen im Raum. Festzustellen ist jedoch, dass die Begutachtungs- und Beratungsfunktion des MDK auf weitgehender Unabhängigkeit basieren.

Der Gesetzgeber hat die Kranken- und Pflegekassen beauftragt, innerhalb der Solidargemeinschaft ausreichende medizinische und pflegerische Leistungen zu gewähren, so sie zweckmäßig und wirtschaftlich sind. Diese benötigen zur Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben im Grundsatz und im Einzelfall die medizinische und pflegerische Kompetenz eines Gutachterdienstes. Entsprechend wurde in jedem Bundesland eine von den Kranken- und Pflegekassen getragene Arbeitsgemeinschaft MDK errichtet. Der MDK unterliegt damit der Aufsicht der Länder.

Die Kranken- und Pflegekassen sind verpflichtet, in gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer, Häufigkeit oder Verlauf der Erkrankung erforderlich ist, den MDK zu beauftragen, eine medizinische oder pflegefachliche Begutachtung durchzuführen. Die medizinische oder pflegerische Empfehlung des MDK ist Grundlage für die Leistungsentscheidung der Kranken- und Pflegekasse. Darüber hinaus übernimmt der MDK eine Schutzfunktion, indem er Maßnahmen vermeiden soll, die aus medizinischer und pflegerischer Sicht unausgereift, unnötig gefährlich oder unwirtschaftlich sind. Außerdem trägt er dazu bei, die gesundheitliche Versorgung insgesamt qualitativ weiterzuentwickeln. Die Begutachtungs-, aber auch Beratungsfunktion des MDK basieren auf weitgehender Unabhängigkeit.

Doch trotz klarer gesetzlicher Regelungen für eine unabhängige medizinische und pflegerische Begutachtung bewegt sich der MDK in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite stehen die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen als Solidargemeinschaft der Versicherten und Arbeitgeber mit klarem gesetzlichem Auftrag. Auf der anderen Seite stehen die Patienten und Pflegebedürftigen sowie Leistungserbringer, die mit ihrer individuellen Wahrnehmung den MDK als Instanz sehen, die Leistungsanträge empfehlen, aber auch ablehnen kann. Dieses Spannungsfeld spiegelt sich auch in der kritischen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit wider. Dementgegen stehen klare gesetzliche Regelungen, die eine sowohl unabhängige als auch bundesweit einheitliche Begutachtung für alle Versicherten sicherstellen.

Bundesweit einheitliche Kriterien als Grundlage

Die Begutachtung durch den einzelnen MDK-Gutachter erfolgt auf der Grundlage bundesweit einheitlicher und transparenter Kriterien. Dazu gehören Richtlinien und Anleitungen wie beispielsweise die Arbeitsanleitung zur Überprüfung von Arbeitsunfähigkeit und die Pflegebegutachtungsrichtlinien zur Überprüfung von Pflegebedürftigkeit. Die Richtlinienkompetenz ist zentral auf Bundesebene beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung angesiedelt. Bestimmte Richtlinien bedürfen der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) als oberste Aufsicht. Diese Richtlinien sollen eine professionelle, unabhängige und qualitativ hochwertige Begutachtung und eine bundesweit einheitliche Anwendung sicherstellen. Die Richtlinien zur Begutachtung werden nicht in den Gremien des MDK verabschiedet. Richtlinienerstellung und Anwendung werden demnach durch zwei voneinander unabhängige Institutionen vollzogen.

Die Durchführung der Begutachtung im Einzelfall, also der Begutachtung von Patienten und Pflegebedürftigen, obliegt Ärzten, Pflegefachkräften und Angehörigen anderer Heilberufe. Die Fachaufgaben der Gutachter beziehen sich demnach bewusst auf den Einzelfall und orientieren sich an den bundesweit einheitlichen Richtlinien und Arbeitsanleitungen. Bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben ist der Gutachter per Gesetz nur seinem ärztlichen bzw. pflegerischen Gewissen und Wissen unterworfen und in seiner fachlichen Beurteilung niemandem gegenüber weisungsgebunden. Darüber hinaus ist die Einheitskasse „Soziale Pflegeversicherung“ keinem Wettbewerb ausgesetzt. Deshalb können die Pflegekassen aus ökonomischer Sicht kein Interesse daran haben, die Pflegebegutachtung zu beeinflussen. Aus diesem Grund wäre es abwegig zu behaupten, dass die Pflegekassen auf den MDK dahingehend einwirken, Pflegebedürftigen keine oder eine niedrigere Pflegestufe zuzuordnen. Gleiches gilt für alle anderen Leistungen der Pflegeversicherung.

Ein weiteres Indiz für die tatsächliche Unabhängigkeit in der Einzelfallbegutachtung sind geringe Ablehnungsquoten. Beispiel Überprüfung von Arbeitsunfähigkeit: Im Jahr 2011 existierten 35,5 Millionen Arbeitsunfähigkeitsfälle, von denen lediglich 4,37 Prozent durch den MDK begutachtet wurden. Der MDK stellte aus medizinischer Sicht in 16,1 Prozent der Fälle „nicht weiter arbeitsunfähig“ fest; demnach in 0,701 Prozent aller Arbeitsunfähigkeitsfälle. Diese geringe Ablehnungsquote ist seit Jahren nahezu konstant. Gleiches gilt für Reha-Leistungen und Hilfsmittel.

Klare Trennung der Aufgaben

Die Zuständigkeiten und Aufgaben des Verwaltungsrates und der Geschäftsführung als zentrale Entscheidungsebenen des MDK sind gesetzlich festgelegt. Die Aufgaben des Verwaltungsrates beziehen sich beispielsweise auf die Satzung, Feststellung des Haushaltsplans, Überprüfung der Betriebs- und Rechnungsführung sowie Wahl und Entlastung des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer ist für das operative Geschäft zuständig und vertritt den MDK gerichtlich und außergerichtlich. Die gesetzlich festgelegten Aufgaben dieser Organe beziehen sich demnach bewusst auf die Gesamtleistung des MDK und nicht auf den Einzelfall. Sie beinhalten keine fachliche Weisungsbefugnis für die einzelne Gutachtertätigkeit und greifen damit auch nicht in die Unabhängigkeit der gutachterlichen Tätigkeit der Ärzte und Pflegekräfte ein. Auch die Finanzierung des MDK durch eine Umlage bezieht sich auf die Gesamtleistung des MDK. Die Umlage orientiert sich anhand der Anzahl der Mitglieder der einzelnen Kranken-/Pflegekasse nach amtlicher Statistik. Eine am Einzelfall orientierte Nutzerfinanzierung hat der Gesetzgeber aus gutem Grunde ausgeschlossen. Wäre doch hier die Unabhängigkeit zwischen Auftragnehmer und -geber kaum zu gewährleisten. Die Wahl der Vertreter der Kranken- und Pflegekassen in den Verwaltungsrat des MDK steht den Trägern frei. Die Selbstverwaltungsorgane der Kranken- und Pflegekassen wählen gesetzeskonform diejenigen Personen als Mitglieder in den Verwaltungsrat, die sie für geeignet halten, die gesetzlich vorgesehenen Aufgaben des Verwaltungsrates fachkundig umzusetzen. Diese Personen können zum Beispiel Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane der Träger, aber auch Mitarbeiter der Kranken- und Pflegekassen sowie ihrer Verbände sein. Die Mitglieder des MDK-Veraltungsrates üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus.

Erweiterung der Entscheidungsgremien

Zukünftig sollen Vertreter der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen sowie der Pflegeberufe in die Entscheidungsgremien einbezogen werden und dort ein Stimmrecht erhalten. Auf der Bundesebene sind die Vertreter bereits bei der sie betreffenden Richtlinie an der Er- und Überarbeitung beteiligt. Sie haben dort Gelegenheit, ihre spezifischen Erfahrungen und Sichtweisen einzubringen. Bei der im Referentenentwurf des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Beteiligung im Verwaltungsrat des MDK ist zu klären, wie weitgehend dies erfolgen soll. So-lange der MDK von den Kranken- und Pflegekassen alleine finanziert wird, muss auch die Hoheitsfunktion der Träger in allen finanzrelevanten Entscheidungen erhalten bleiben. Ein Stimmrecht bei der Verabschiedung des Haushalts scheidet damit aus. Beteiligungsrechte analog denen der Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) könnten als Grundlage für die Umsetzung des Koalitionsvertrages dienen. Die Ausübung der Beteiligungsrechte in den Verwaltungsräten der MDK muss mit den jeweiligen Strukturen und Aufgaben kompatibel sein. Dann können alle Betroffenen vor Ort insbesondere ihre spezielle Perspektive und Erfahrung in eigener Sache einbringen, die Transparenz der Verfahren verbessern, die Kommunikation und den Service der MDK empfängergerecht mit weiterentwickeln und dazu beitragen, die Akzeptanz der Arbeit des MDK zu verbessern. Die Arbeit der MDK ist durch große Kompetenz gekennzeichnet. Dies honorieren auch die Koalitionspartner und wollen den MDK autorisieren, seitens des G-BA gemachte Vorgaben zur Qualitätssicherung in den Krankenhäusern unangemeldet zu überprüfen. Sie honorieren dies aber auch damit, dass der MDK mit den Vorarbeiten zur Umsetzung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs betraut ist, der ohne die Expertise und Strukturen des MDK nicht fristgerecht umgesetzt werden kann. Eine Diskussion und Veränderung der Grundstrukturen der MDK würde den Umsetzungsprozess des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs massiv gefährden. Schritte wie diese wären unnötig. Eben auch vor dem Hintergrund, dass selbst das BMG die Gewährleistung der Unabhängigkeit des MDK bestätigt hat, zuletzt in einem Schreiben Ende Januar 2014 gegenüber Report Mainz: „Aus Sicht des BMG ist die Unabhängigkeit des MDK grundsätzlich gewährleistet. Nach § 275 Absatz 5 SGB V sind die Ärzte des MDK bei der Wahrnehmung ihrer medizinischen Aufgaben nur ihrem ärztlichen Gewissen unterworfen. Die Vorgaben für die Begutachtung des MDK werden nicht vom Verwaltungsrat des MDK erstellt, sondern sind in bundeseinheitlichen Richtlinien festgelegt. Darüber hinaus stellt die Finanzierung des MDK durch eine auf die Zahl der Mitglieder der Krankenkassen bezogene Umlage sicher, dass einzelne Krankenkassen keinen Einfluss auf die Begutachtung des MDK nehmen. Die MDK unterliegen der Aufsicht der zuständigen Landesbehörde.“

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