Bundesrat

Die Macht der Länder

Grafik: Sprecher hinter einem Podium mit der Aufschrift Bundesrat. Davor Schilder "Kompromiss", "Konsens", "Veto". Im Hintergrund Abgeordnete bei Abstimmung.

Ob Pflegereform oder Krankenhausfinanzierung: Über den Bundesrat prägen die Länder die deutsche Gesundheitspolitik maßgeblich mit. Abstimmungs-Vetos in der Länderkammer gegen Gesetzesvorhaben sind dort ein letztes, selten gebrauchtes Mittel der Landesregierungen. Meist spielen sie ihre Macht geräuschloser in Ausschüssen oder informelleren Runden wie Bund-Länder-Arbeitsgruppen aus.

Es ist eine gut geölte, leise arbeitende Politikmaschine, die sich hinter der klassizistischen Fassade des ehemaligen „preußischen Herrenhauses“ in der Leipziger Straße verbirgt. Wenn hier im Bundesrat „die Länder bei der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes und in Angelegenheiten der Europäischen Union“ mitwirken, wie im Grundgesetz festgeschrieben, regiert das politische Understatement. Wenn Ministerpräsidenten und Landesminister etwa alle vier Wochen an einem Freitag um 9.30 Uhr zur Plenarsitzung in Berlin zusammenkommen, geht es ganz anders zu als im Bundestag: Es gibt keine Debatten, kaum Zwischenrufe – selbst Beifall wird nicht gespendet. Dies ist nicht etwa in der Geschäftsordnung festgeschrieben, sondern gehört zur „bewährten Staatspraxis“.

Die zuweilen sterile Atmosphäre im Bundesrat hat auch mit Sitzordnung wie parlamentarischem Prozedere zu tun: Die Vertreter der Länder sitzen nicht etwa in Fraktionen zusammen, aus denen heraus sich geballter Unmut oder Zustimmung entladen könnte. Statt nach politischen Lagern sind die Länder nach dem Alphabet sortiert.

Was in einer Sitzung wann entschieden wird, ist für Laien schwer durchschaubar. Selbst die Ministerpräsidenten wissen nicht auf Anhieb, wann sie bei Abstimmungen die Hand heben müssen. Für das jeweilige Land gibt es eine Stimmliste, wo festgehalten wird, auf welches Abstimmungsverhalten zu welchem Punkt sich die Vertreter des jeweiligen Landes geeinigt haben. Oft werden pro Sitzung Hunderte Abstimmungen abgehalten, sieben Sekunden dauert eine im Schnitt.

Die formalisierte Schnelligkeit dieses Verfassungsorgans ist zum einen der zeitlichen Belastung der Bundesratsmitglieder geschuldet, die im „Hauptberuf“ Mitglieder der Landesregierung sind. Zum anderen sind bestimmte Fristen im Gesetzgebungsverfahren einzuhalten. Schließlich wird das Gros der fachlichen Detailarbeit in Ausschüssen oder auch Abstimmungsgesprächen zwischen den Ländern geleistet: Man positioniert sich gemeinsam zu Themen, stimmt sich ab, sucht vor der Plenarsitzung Verbündete. Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sah hierin eine „institutionelle Intelligenz“ des Bundesrats am Werk.

Zudem: Hinter dem scheinbar bürokratischen Abarbeiten von Akten steht die geballte Macht der Bundesländer, oft geht es dabei um viel Geld. Die Berliner Politikwissenschaftlerin Sabine Kropp bezifferte den Anteil aller Gesetze, die die Verwaltungskompetenzen oder Finanzverfassung der Bundesländer berühren – und bei denen die Länder damit absolutes Veto-Recht haben – auf mehr als 60 Prozent. Statt im offenen Schlagabtausch werden Konflikte – auch zum Gesundheitswesen – gleichsam in Gesprächen im Hinterzimmer ausgetragen und in den Bundesratsabstimmungen nur noch formal besiegelt. „Auch gesundheitspolitische Gesetzesvorhaben müssen vielfach durch den Bundesrat“, betont Martin Albrecht, Leiter des Bereichs Gesundheitspolitik am Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) in Berlin. „Es ist laufendes Geschäft, dass die Länder da noch einmal Hand anlegen.“ Nicht immer greifen die Rädchen im Bund-Länder-Gefüge dabei geräuschlos ineinander – zuweilen knirscht es auch gewaltig.

So hatte etwa der Bundesrat Rezeptfreiheit für die „Pille danach“ gefordert. Dem jedoch widersetzte sich der konservative Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe zunächst, schwenkte später allerdings um. Im Gegenzug blockierte die Länderkammer eine Verordnung, nach der im EU-Ausland erstellte ärztliche Verschreibungen von Arzneien und Medizinprodukten künftig auch in deutschen Apotheken akzeptiert werden müssen. Erst Ende Mai gab der Bundesrat seine Blockade einer Umsetzung einer EU-Verordnung auf. Gröhe hatte sich vorerst durchgesetzt.

Wie häufig in der Geschichte der Republik hat auch derzeit die regierende Koalition im Bundesrat keine Mehrheit. Schwarz-Rot verfügt auch nach den jüngsten Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Bundesrat über 27 von 69 Stimmen. Die Grünen haben – falls sie das rot-rote Brandenburg mit ins Boot holen können – aber allenfalls eine Verhinderungsmehrheit. Enthält sich ein Bundesland, weil sich die dort regierenden Parteien nicht einig sind, wirkt das wie „Nein“-Stimmen. Mit ihrer aktuellen Veto-Macht im Bundesrat kann die Opposition blockieren, aber nicht gestalten. Kompromiss- und Konsenssuche, so beschreibt es Kropp, seien angesagt. Bei ungleichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat, wie sie häufig vorkämen, „sind Gesetzgebungsprozesse von informellen Verhandlungen, Tauschgeschäften und ‚side-payments‘ gekennzeichnet“.

Als größten aktuellen Konflikt der Legislaturperiode, der vor einer Billigung durch den Bundesrat informell geklärt werden soll, sieht Albrecht die künftige Krankenhausfinanzierung. Fast die Hälfte der Kliniken schreibt derzeit rote Zahlen. Bei ihren Koalitionsverhandlungen einigten sich CDU und SPD eigentlich auf einen sogenannten Strukturfonds, um nicht benötigte Krankenhaus-Kapazitäten in überversorgten Regionen umzuwandeln – etwa in geriatrische oder Palliativ-Stationen, bei denen Mangel herrscht. Die Parteispitzen nahmen dieses Konzept aber schließlich doch nicht in den Koalitionsvertrag auf. Nun kam eine solche Lösung in einer Bund-Länder-Kommission wieder auf den Tisch. Im Kern des Streits steht laut Albrecht „die Planungshoheit der Länder für die Krankenhausversorgung, die diese auf keinen Fall abgeben wollen“. Gleichzeitig, so ein Vorwurf an die Bundesländer, zögen sie sich aber seit Jahren immer mehr aus der Verantwortung zurück, in die Kliniken auch wirklich zu investieren. Zunehmend sprängen die Kassen ein, die darüber klagen, mit Beitragsgeldern die Länderhaushalte zu entlasten. Eine Hängepartie bahne sich an, denn der Bund werde gegen die geballte Macht der Länder keinen Alleingang wagen, sagt Albrecht. Die Länder sind sich ihrer gesundheitspolitischen Stärke im Bundesrat durchaus bewusst – und ließen ihre Muskeln auch spielen, so Albrecht.

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