Selektivverträge

Impulse im Versorgungswettbewerb

Gesetzliche Krankenkassen haben über Selektivverträge die Möglichkeit, mit einzelnen Leistungserbringern Versorgungsverträge zu schließen. Durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz sollen diese Verträge nun umfassend reformiert werden. Die damit verbundene geplante erhöhte Gestaltungsfreiheit ist zu begrüßen.

Eine verbesserte endoprothetische Versorgung durch enge Verzahnung von niedergelassenen Ärzten und Therapeuten, Krankenhaus und Rehabilitationseinrichtung. Die Organisation von ambulanten Operationen zur Vermeidung von belastenden stationären Aufenthalten bei gleichzeitiger Qualitätsverbesserung. Die koordinierte Versorgung akuter psychischer Erkrankungen durch ambulante Angebote im gewohnten Lebensumfeld – ohne stationäre Aufnahme mit der Gefahr von „Drehtür-Effekten“ durch die Konfrontation mit dem Alltag nach der Entlassung. Oder die abgestimmte Behandlung von Versicherten innerhalb von interdisziplinären Ärztenetzwerken mit vertiefter Zusammenarbeit bei Diagnose und Therapie sowie individuellen Behandlungsplänen.

Dies sind ausgewählte Beispiele für die Versorgungsinhalte von Selektivverträgen, welche die Krankenkassen aktuell ihren Versicherten anbieten können. Unter einem Selektivvertrag in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versteht man dabei die fakultative Möglichkeit für Krankenkassen, mit einzelnen Leistungserbringern Versorgungsverträge zu schließen. Allein die Ersatzkassen hatten bundesweit im Jahr 2013 über 800 selektive Vertragsangebote für ihre Versicherten.

Historisch bedingt war für einen langen Zeitraum überwiegend der Abschluss von Kollektivverträgen, d. h. ein Vertragsschluss zwischen Gemeinschaften der Leistungserbringer und Gemeinschaften der Krankenkassen, der für alle Mitglieder der jeweiligen Gemeinschaften bindend ist, gesetzlich festgeschrieben. Dem liegt der Leitgedanke der korporativen Organisation der GKV zugrunde. Im Zuge der wettbewerblichen Neuausrichtung der GKV erfolgte eine Öffnung dieser korporativen Strukturen für Einzelverträge. Neben dem Wettbewerb um Mitglieder zwischen den Krankenkassen sollte auch der Wettbewerb unter den Leistungserbringern gefördert werden. Ausgangspunkt war auch die Wahrnehmung von Koordinationsproblemen, Qualitätsmängeln und Kostensteigerungen. Selektive Verträge sollen daher die Effizienz und Qualität der Behandlung von Patienten steigern und die Umsetzung von Innovationen erleichtern.

Die Einführung der Selektivverträge wurde sowohl aufseiten der Krankenkassen als auch aufseiten der Leistungserbringer überwiegend positiv und mit großen Erwartungen begleitet. Dies reichte bis zu vereinzelten Vorstellungen eines grundsätzlichen Systemwechsels von der kollektivvertraglichen Versorgung hin zur gänzlichen Gestaltung der Versorgung durch Selektivverträge. Man ging von einem hohen Potenzial zur Kostensenkung, dem Durchsetzen populationsbezogener Verträge gegenüber indikationsspezifischen Versorgungsformen sowie einem teilweisen Ersatz der Regelversorgung aus.

Betrachtet man die heutige Bedeutung der Selektivverträge, so blieb die Entwicklung deutlich hinter diesen Erwartungen zurück. Im Jahr 2013 beliefen sich die Gesamtausgaben für die Verträge auf ungefähr 1,68 Milliarden Euro. Die Ausgaben allein für die ambulante ärztliche Versorgung betrugen im Vergleich hierzu 31,4 Milliarden Euro. Selektivverträge sind dem Umfang nach heute also eine punktuelle Erweiterung zur Regelversorgung und bieten die Möglichkeit zur bedarfsgerechten Ergänzung in Abhängigkeit zur regionalen und indikationsbezogenen Versorgungsstruktur.

Die Gründe für die Nichterfüllung der großen Erwartungen sind vielfältig. Zunächst ist die Etablierung selektiver Versorgungsformen aufgrund der hohen Transaktionskosten vergleichsweise kostenintensiv. Zudem werden durch die Auswahl von einzelnen Leistungserbringern andere Leistungserbringer ausgeschlossen. Dies führt zum einen zu einer verhaltenen Akzeptanz auf Leistungserbringerseite, und zum anderen wird die freie Arztwahl zeitweise für die Versicherten eingeschränkt. Der Versicherte muss somit bereit sein, sich durch die Krankenkasse an spezielle einzelne Leistungserbringer verweisen zu lassen. Aus Sicht des Versicherten bewährte Leistungserbringer können nicht mehr an der Versorgung teilnehmen. Dies kann sowohl von der Teilnahme an einem Versorgungskonzept abhalten als auch die Information über ein Angebot der Krankenkasse verhindern.

Am schwerwiegendsten für die Entwicklung der Verträge ist die stetige Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, wie z. B. der Wegfall der Anschubfinanzierung und die Einführung der Vorlagepflicht. Zudem wurde das Versorgungsgeschehen insgesamt durch veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen, wie die Intensivierung des Preiswettbewerbs oder die Ausgestaltung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs, stets beeinflusst. Gleichzeitig unterlag auch die kollektivvertragliche Regelversorgung einem stetigen Veränderungsprozess mit dem Ziel, bestehende Defizite zu beseitigen.

Hinsichtlich der bestehenden Umsetzungshindernisse versprach die große Koalition aus CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag Erleichterungen für Selektivverträge. Aus diesem Grund hat das Kabinett im Dezember 2014 erneut weitgehende Änderungen im Rahmen des Kabinettsentwurfs zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz beschlossen. Nun sollen die Verträge nach §§ 73a, 73c und 140a ff. SGB V umfassend reformiert werden. Die ex ante-Vorlagepflicht für Selektivverträge entfällt und wird durch eine Sonderregelung zu Aufsichtsbefugnissen der Aufsichtsbehörden bei Selektivverträgen ersetzt. Die bisherigen Regelungen zu den Selektivverträgen nach §§ 73a, 73c und 140a ff. werden deutlich vereinfacht und unter dem Begriff der Besonderen Versorgung in einem neuen § 140a zusammengefasst. Im Zuge dieser Neufassung soll den Krankenkassen mehr Spielraum für die Vertragsgestaltung gegeben werden. Sollte der § 140a Besondere Versorgung in Form des Kabinettsentwurfs beschlossen werden, brächte dies in der Tat ein deutliches Mehr an Gestaltungsfreiheit für Selektivverträge.

Eine weitgehende Vertragsfreiheit ist für die weitere Zukunft der Selektivverträge unerlässlich. Sie können so als Ergänzung zum Kollektivvertrag Impulse im Versorgungswettbewerb der Krankenkassen liefern. Sofern der Qualitätswettbewerb unter den Krankenkassen gefördert werden soll, ist die Versorgungsgestaltung durch selektive Versorgungskonzepte unumgänglich. Ein weiterer Kontext für Selektivverträge ist die Umsetzung von Versorgungsinnovationen. Eine zunehmende Spezialisierung in Verbindung mit auf bestimmte Patientenpotenziale abgestimmten Produktinnovationen bedeutet auch, dass Innovationen über Selektivverträge zielgenau implementiert werden können, ohne dass eine Aufnahme in die kollektivvertragliche Versorgung notwendig ist. Gerade bei unklarer Evidenzlage kann dies zur schnellen Verfügbarkeit von Innovationen führen und zeitgleich die Sicherheit bieten, im Falle eines ausbleibenden Nutzens besseren Produkten weichen zu können.

Krankenkasse als zentraler Akteur

Damit Selektivverträge die gezeigten Potenziale entfalten können, ist das Bekenntnis zur Krankenkasse als zentraler Akteur der Versorgungsgestaltung notwendig. Eine Überregulierung des Versorgungsgeschehens ist an dieser Stelle nur hinderlich und gefährdet eher die Innovationskraft eines Qualitätswettbewerbs.

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