Neue Arzneimittel

Eine Frage des Nutzens und des Preises

Illustration: Verschiedene Tablettenschachteln mit der Aufschrift "Sovaldi" und "Harvoni".

Was darf ein neuer Wirkstoff kosten? In einigen Fällen wie dem Hepatitis C-Medikament Sovaldi sorgt die Hochpreispolitik von Herstellern für Diskussionen. Denn extreme Medikamentenpreise setzen das beitragsfinanzierte Gesundheitssystem unter Druck.

Mehrere Verhandlungsrunden waren gescheitert, ein Schiedsstellenverfahren eingeleitet worden, schließlich kam es doch noch zur Einigung: Seit Februar dieses Jahres liegt der Erstattungsbetrag für eine Packung des Hepatitis C-Medikaments Sovaldi mit dem Wirkstoff Sofosbuvir bei 14.520,84 Euro, für einen zwölfwöchigen Therapiezyklus bei 43.562,52 Euro. Der GKV- Spitzenverband (GKV-SV) und der US-Hersteller Gilead hatten sich nach Monaten zähen Hin und Hers auf diesen Preis verständigt. Auf dem Verhandlungsweg konnte ein deutlicher Abschlag erzielt werden. Denn das Medikament hatte als „700 Euro-Pille“ Schlagzeilen gemacht, ein zwölfwöchiger Therapiezyklus schlug anfänglich laut Medienberichten mit 60.000 Euro zu Buche. Rund ein Jahr lang galt der vom Hersteller festgesetzte Preis. Für Gilead ein einträgliches Geschäft. Der Fall Sovaldi schlug hohe Wellen, beschäftigte Politik und Medien. Zwar hat das öffentliche Interesse inzwischen nachgelassen. Doch die Geschichte um den teuren Wirkstoff Sofosbuvir ist noch nicht zu Ende. Denn Gilead hatte knapp ein Jahr nach Inverkehrbringen von Sovaldi ein weiteres Hepatitis C-Medikament auf den Markt gebracht: Harvoni, ein Kombinationspräparat aus dem HCV-NS5A-Inhibitor Ledipasvir und Sofosbuvir, dem Sovaldi-Wirkstoff. Der Preis für dieses „neue“ Produkt übersteigt sogar noch den von Sovaldi: 20.700 Euro kostet eine Packung laut Medienberichten, 739 Euro eine Pille. Die Preisverhandlungen für Harvoni könnten erneut Monate dauern.  

Fehlentwicklungen in der Arzneimittelversorgung

Am Beispiel des Wirkstoffs Sofosbuvir zeigen sich exemplarisch zwei Probleme in der Arzneimittelversorgung. Zum einen muss die Hochpreispolitik einiger Pharmaunternehmen zunehmend bedenklich stimmen. So verlangte der Pharmahersteller Bristol-Myers Squibb für ein Medikament gegen Hauttumoren mehr als 15.000 Euro pro 40 ml-Packung. Mit 22.000 Euro lässt sich Vertex Pharmaceuticals die Packung eines Medikaments gegen zystische Fibrose bezahlen. Insbesondere für neue Arzneien gegen Krebs und für solche gegen seltene Erkrankungen, sogenannte Orphan Drugs, verlangen Hersteller immer wieder überzogene Preise, die mit Forschungs- und Entwicklungskosten nicht zu erklären sind. Dabei machen sich Pharmahersteller auch Lücken im Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) zunutze. Ziel des im Jahre 2011 in Kraft getretenen Gesetzes war es unter anderem, den hohen Kosten für neue patentgeschützte Arzneimittel entgegenzuwirken. Seither prüft der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bei jedem Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, ob dieser einen Zusatznutzen gegenüber bereits etablierten Medikamenten besitzt. Bei dieser frühen Nutzenbewertung muss der Hersteller des neuen Medikaments ein Dossier erstellen, in dem eine ganze Reihe von Fragen zu beantworten sind: Ist das Medikament tatsächlich besser als vergleichbare bereits verfügbare Mittel? Welcher Zusatznutzen ist für welche Patientengruppe in welchem Ausmaß belegt? Wie hoch sind die Kosten für die gesetzliche  Krankenversicherung? Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) begutachtet dieses Dossier im Auftrag des G-BA. Kann kein Zusatznutzen im Vergleich zur vom G-BA bestimmten zweckmäßigen Vergleichstherapie belegt werden, wird das neue Arzneimittel gegebenenfalls vom G-BA einer bestehenden Festbetragsgruppe zugeordnet. Gibt es noch keine entsprechende Festbetragsgruppe oder kommt der G-BA zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen belegt ist, handeln der GKV-SV und der Hersteller einen Erstattungsbetrag der Krankenkassen aus. Dieser gilt dann spätestens ab dem 13. Monat nach Markteintritt für gesetzlich und privat Versicherte. Davor – und das ist die bedenkliche Lücke im AMNOG – bestimmt der Hersteller selbst den Preis. Genug Zeit, um beträchtliche Gewinne zu machen.

Es gibt noch ein weiteres Problem: Zwar gibt es weniger Scheininnovationen. Beispielweise sind kleinere Molekülveränderungen an bestehenden Medikamenten, die zum Teil keine therapeutische Verbesserung darstellen, heute seltener anzutreffen. Doch manch ein Pharmaunternehmen weiß sich mit einer anderen Methode zu helfen: Statt Molekülveränderungen vorzunehmen, bringt der Hersteller eines innovativen Wirkstoffs diesen zunächst als Ein-Wirkstoff-Medikament (Monopräparat) auf den Markt; hierfür verlangt er einen sehr hohen Preis. Knapp ein Jahr später – und bevor die gesetzlich festgelegte Frist für das Preisverhandlungsverfahren mit dem GKV-SV ausläuft – erlebt ein Kombipräparat die Markteinführung: ein Medikament bestehend aus dem neuen Wirkstoff plus einem weiteren oder auch mehreren. Für dieses Kombipräparat gilt nun wieder zwölf Monate lang die freie Preisfestsetzung. Die Verhandlungen mit dem GKV-SV können von neuem beginnen.

Innovationen werden dringend benötigt  

Unstrittig ist: Pharmazeutische Innovationen werden dringend gebraucht, das gilt auch für die Hepatitis C. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) leiden weltweit etwa 130 Millionen Menschen an einer chronischen Form der Viruserkrankung, in Deutschland gibt es Schätzungen zufolge 400.000 bis 500.000 Infizierte. Die Chronifizierung der bereits durch winzige Mengen Bluts relativ leicht übertragbaren Hepatitis C kann zu schweren Leberschädigungen führen, bis hin zur Leberzirrhose und zu Leberkrebs. Die bisherige Standardtherapie ist mit zahlreichen Nebenwirkungen verbunden, nur 50 bis 80 Prozent der Patienten sprechen auf die Behandlung an. Die Entwicklung innovativer Medikamente gegen Hepatitis C und andere schwere Krankheiten mit entsprechenden Begleitstudien dauert Jahre, zahlreiche Forschungsanstrengungen bringen nicht die erhofften Erfolge. Somit haben Innovationen ihren Preis. Doch wo ist die Schmerzgrenze für ein beitragsfinanziertes Gesundheitssystem?

Hersteller Gilead verteidigt seine Preispolitik: „Der Preis für Sofosbuvir wurde so angesetzt, dass eine Heilung aufgrund der deutlich verbesserten Heilungsraten von bis zu 99 Prozent mit der Interferonfreien Kombination Harvoni (Sofosbuvir/Ledipasvir) nicht mehr kostet als mit der bisherigen Standardtherapie, ja für viele Patienten sogar ein Drittel günstiger ist“, sagt Johannes Kandlbinder, Leiter der Abteilung Market Access and Reimbursement bei Gilead Deutschland. „Denn etwa 60 Prozent der Patienten können mit Harvoni in nur acht Wochen geheilt werden.“ Ob Sofosbuvir tatsächlich so wirkungsvoll ist, wie das Unternehmen es darstellt, weiß tatsächlich noch niemand. Das IQWiG blieb bei seiner Nutzenbewertung jedenfalls vergleichsweise zurückhaltend. Die Prüfer gelangten zu dem Fazit: „Zwar liefert das vom Hersteller vorgelegte Dossier Hinweise auf einen Zusatznutzen für nicht vorbehandelte Patientinnen und Patienten, deren Virus vom Genotyp 2 ist. Allerdings lässt sich das Ausmaß nicht quantifizieren. Für Patientinnen und Patienten, die mit anderen Virustypen (Genotyp 1 und 3 – 6) oder zugleich mit HIV infiziert sind, fehlen im Dossier geeignete Daten.“

Der G-BA entschied dennoch, Sofosbuvir einen beträchtlichen Zusatznutzen für therapienaive Patienten des Genotyps 2 sowie einen geringen Zusatznutzen für vier weitere Patientengruppen zu attestieren. „Angesichts des mit dem neuen Arzneimittel erzielbaren Behandlungserfolgs, der möglichen Verkürzung der Therapiedauer und der Vermeidung der schweren Nebenwirkungen von Interferon ist es in diesem besonderen Falle aus ethischen Gründen geboten, nicht kontrollierte, einarmige Studien zu Sofosbuvir im Vergleich mit historischen Kontrollen zu den bisherigen interferonhaltigen Behandlungsoptionen als Entscheidungsgrundlage zu berücksichtigen“, sagte Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender und Vorsitzender des Unterausschusses Arzneimittel. Wegen der Defizite bei der Studienlage befristete der G-BA seinen Beschluss allerdings bis zum 15. Juli 2016. Bis dahin werden weitere Daten etwa zum dauerhaften virologischen Ansprechen und zu den Nebenwirkungen des Wirkstoffs erwartet.

Lücken im AMNOG schließen

Es bleibt die Frage nach dem angemessenen Erstattungspreis. Durch das Schließen der Lücke im AMNOG ließe sich dieses Problem aber leicht beheben. So sprechen sich die Krankenkassen dafür aus, dass die mit dem GKV-Spitzenverband verhandelten Erstattungspreise rückwirkend – also mit dem ersten Monat des Inverkehrbringens – gelten und nicht erst ab dem 13. Monat. Außer rückwirkenden Erstattungspreisen sollte das AMNOG dringend um klare Regelungen auch für später auf den Markt gebrachte Kombipräparate erweitert werden. Nur dann sind neue, innovative Medikamente in Deutschland auf Dauer bezahlbar.

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