Patientenorganisationen

Kontrolle und Transparenz bei Kooperationen

Aus Sicht von Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), ist eine verstärkte Kontrolle und Transparenz bei der Zusammenarbeit zwischen Herstellern von Medikamenten und Medizinprodukten auf der einen Seite und Patientenorganisationen auf der anderen Seite erforderlich. Nur so lässt sich die Neutralität, Unabhängigkeit und Kompetenz von Patientenorganisationen wahren.

„Im Mittelpunkt unseres Handelns steht der Patient. Deshalb wollen wir unseren Partnern (d. h. den Ärzten und medizinischen Fachangestellten) in Praxis und Klinik über innovative Präparate hinaus mit Serviceangeboten helfen, die sie bei Ihrer täglichen Arbeit zeitlich entlasten und qualitativ unterstützen“. Erklärtes Ziel dieser im Mai 2015 angekündigten Kampagne, mit der ein großer pharmazeutischer Unternehmer (pU) „neben innovativen Präparaten mit Fortbildungsveranstaltungen, Schulungen und Materialien für Ärzte und Praxisteams den Patienten noch stärker in den Fokus rückt“, ist es „Praxisteam und Patienten fit zu machen“. Die pU sehen es als ihre Aufgabe an, Patienten zu begleiten, „deren Leben durch eine notwendige, längere und gar dauerhafte Einnahme von Arzneimitteln geprägt wird“, und für sie ist „das Sammeln unmittelbarer Erfahrungen der Betroffenen durch nichts zu ersetzen“. Häufig verfolgt die Zusammenarbeit der pU mit Patientenorganisationen jedoch auch ein weiteres verstecktes Ziel: Der immer besser informierte „Kunde“ bzw. Patient soll moderne diagnostische Verfahren oder medikamentöse Therapien nachfragen und damit seinerseits dafür sorgen, dass diese schneller und erfolgreich im Markt verbreitet werden. Hilfsmittel hierfür sind neben den o. g. Serviceangeboten unter andrem auch Internetforen, Broschüren, in denen objektive Informationen häufig mit Marketingaussagen vermischt werden, und Beratung von Patienten, um sie zu den „richtigen Ärzten zu lotsen“.

Diese seit Jahren gut bekannten Strategien der pU folgen ökonomischer Logik, werfen aber auch Fragen auf wie: Glauben wir Ärzte tatsächlich – trotz alltäglicher Erfahrungen mit Marketingaussagen und (Des-)Informationen zu Arzneimitteln –, dass pU geeignet sind, verlässliche, sachgerechte und evidenzbasierte Informationen über ihre Arzneimittel zu liefern? Eine Frage, die sich bereits vor einigen Jahren stellte, als in Brüssel über eine Aufhebung des Verbots für rezeptpflichtige Arzneimittel (Direct-To-Consumer Advertising, DTCA) nachgedacht wurde, und die ich damals wie heute eindeutig mit „nein“ beantworte. Glücklicherweise besteht in Europa weiterhin das Verbot für DTCA.

Viele Patientenselbsthilfegruppen und -organisationen sind inzwischen auf Distanz zu pU gegangen und versuchen, Patienten unabhängig von den primären Interessen der Industrie kritisch zu informieren. Dies bedeutet aber, dass auch Ärzte ihren Patienten verstärkt qualitativ hochwertige, unverzerrte, verständliche und evidenzbasierte Informationen zu Arzneimitteln bzw. Hinweise auf geeignete Informationsquellen zur Verfügung stellen sollten – vor allem angesichts des von Patienten zu Recht immer häufiger geäußerten Wunsches, stärker in Behandlungsentscheidungen einbezogen zu werden (gemeinsame Entscheidungsfindung bzw. „shared decision making“). Derartige Informationen sind jedoch mitunter schwer erhältlich. Für eine rationale Arzneitherapie ist es außerdem erforderlich, dass in klinischen Studien vor Zulassung wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse zu Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln erhoben und nach Zulassung weitere Studien durchgeführt werden, die auch eine Beurteilung ihres Nutzens erlauben. Unter Nutzen in diesem Zusammenhang versteht man das Ergebnis einer bewertenden Abwägung zwischen positiven (Wirksamkeit) und negativen (Risiken, Schäden) Effekten unter Alltagsbedingungen im Hinblick auf das Anwendungsgebiet.

Weiterhin erreicht Ärzte und Patienten jedoch regelmäßig eine Flut von Botschaften zu Arzneimitteln – beispielsweise in Form von Printmedien oder als Online-Angebote –, die unvollständige, unzuverlässige, häufig interessengeleitete bis hin zu manipulativen Informationen beinhalten. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass illegale Aktivitäten durch die Selbstkontrolle der von Verbänden der pharmazeutischen Industrie in Europa verabschiedeten Kodices zur Transparenz bei der Zusammenarbeit der pU mit Fachkreisen nicht ausreichend verhindert werden können. Obwohl vergleichbare Untersuchungen zu den Kodices, die sich auf die Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit den Patientenorganisationen beziehen, nicht vorliegen, muss davon ausgegangen werden, dass auch in diesem Bereich unseriöse bis hin zu illegalen Aktivitäten nicht immer verhindert werden. Da eine zentrale unabhängige Qualitätskontrolle auch heute noch fehlt, wird deshalb zu Recht gefordert, dass die diversen, von pU für (neue) Arzneimittel bereitgestellten Informationen sowie Werbeanzeigen frühzeitig, d. h. vor Veröffentlichung, auf Einhaltung der gültigen Standards geprüft werden. Weitere Vorschläge zur Eindämmung unseriöser Marketingstrategien zielen darauf ab, dass industrieunabhängige Organisationen vermehrt objektive Informationen über Arzneimittel für Verbraucher und Patienten bereitstellen.

Vor diesem Hintergrund ist die aktualisierte Broschüre des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek) „Ungleiche Partner – Patientenselbsthilfe und Wirtschaftsunternehmen im Gesundheitssektor“ ein sehr wichtiger Beitrag, damit in der Zusammenarbeit der Pharmaindustrie mit Organisationen der Selbsthilfe in Zukunft Neutralität und Unabhängigkeit noch beständiger gewahrt bleiben sowie größere Transparenz hinsichtlich der materiellen Förderung der Selbsthilfe durch einzelne pU geschaffen wird. Die Broschüre informiert nicht nur über die vielfältigen Aufgaben und Interessen der Selbsthilfeorganisationen, sondern vermittelt auch wichtige Einblicke in die Zusammenarbeit, Wirkungen und Transparenzbemühungen der Selbsthilfeorganisationen. Anhand konkreter Beispiele wird auf kritikwürdige Allianzen zwischen Selbsthilfegruppen und von pU gesponserten Netzwerken bzw. Vereinigungen hingewiesen, die sich meist auf spezielle, für pU lukrative Krankheitsbilder konzentrieren. Darüber hinaus sollten vonseiten der Patientenorganisationen die Leitsätze zur Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen, die 2012 von den Spitzenorganisationen der Selbsthilfe verabschiedet wurden, noch konsequenter beachtet werden. Dies erfordert sowohl Transparenz hinsichtlich der verschiedenen Formen dieser Zusammenarbeit als auch ein kontinuierliches Monitoring der Einhaltung der Leitsätze und gegebenenfalls eine angemessene Sanktionierung von Verstößen.

Die AkdÄ hat 2008 und 2012 kritisch den von der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA) entwickelten „FSA-Kodex Patientenorganisationen“ kommentiert. Aus Sicht der AkdÄ sind eine verstärkte, aktive Kontrolle der Zusammenarbeit zwischen pU, Herstellern von Medizinprodukten und Patientenorganisationen sowie größere Transparenz hinsichtlich der finanziellen Zuwendungen weiterhin erforderlich. Darüber hinaus halte ich es, wie auch der vdek, für sinnvoll, das direkte Sponsoring der Selbsthilfe durch einzelne pU einzustellen und stattdessen einen Fonds bzw. Pool zu schaffen, in den spendenwillige Unternehmen einzahlen können. Dies wäre auch ein wichtiger Schritt, um die von pU in ihren Kodices stets betonte Neutralität, Unabhängigkeit und Kompetenz der Patientenorganisationen zu wahren und jederzeit ein faires und lauteres Verhalten der beteiligten pU zu gewährleisten.

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