Interview

"Es geht um die Sache, nicht um Prestige"

Portrait MdB Dr. Edgar Franke, Vorsitzender der Gesundheitsausschusses des Bundestages.

Die große Koalition hat sich viel vorgenommen, gerade auch für die Gesundheitspolitik. Große, ambitionierte Reformen stehen auf der Agenda, wie etwa die Klinikreform, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz oder die Pflegereform.

In der Politik sind Ausschüsse wichtige Gremien für Entscheidungsprozesse und Gesetzgebungsverfahren. Vorsitzender des Ausschusses für Gesundheit ist seit 2014 Dr. Edgar Franke (SPD). Im Gespräch mit ersatzkasse magazin. spricht er über Rolle und Einfluss dieses Gremiums, die Möglichkeiten von Veränderungen und politischen Vorhaben und darüber, wie sich Transparenz und Nähe zum Bürger herstellen lassen.

Herr Dr. Franke, Sie kommen aus einer politischen Familie, sind seit gut 40 Jahren politisch aktiv, als Bürgermeister, Bundestagsabgeordneter und aktuell Vorsitzender des Gesundheitsausschusses. Was reizt Sie an der Politik?

Dr. Edgar Franke: Früher wollte ich nie in die Politik, denn mein Vater saß bereits 1954 im hessischen Landtag. Und als Jugendlicher mit schulterlangen Haaren lehnt man ja erst mal alles ab, was die Eltern machen. Aber dann kommt im Leben doch in der Regel alles anders. Ich wurde Bürgermeister und musste und konnte in dieser Zeit einiges verändern und bewegen. Das hat mir so sehr gefallen, dass ich in der Politik geblieben bin. Im Laufe der Zeit habe ich dann erkannt, dass ich meinen Eltern doch ähnlicher bin, als ich zunächst dachte. Bis zu dieser Erkenntnis was es ein langer Weg, aber er hat sich gelohnt.

Wieso Gesundheitspolitik?

Gesundheitspolitik ist Gesellschaftspolitik, dort kann man wirklich etwas bewegen. Gesundheitspolitik interessiert die Menschen, weil jeder von uns betroffen ist. Hier kann man Themen, die auf der Bundesebene diskutiert werden, auf die kommunale Ebene transportieren. Wenn ich zum Beispiel vor Ort eine Veranstaltung zur „Pflege“ veranstalte, ist der Saal voll, weil das Thema alle umtreibt.

Welche Rolle spielt Bürgernähe in der Politik?

Eine sehr große Rolle. Der Kontakt zur lokalen Ebene ist sehr wichtig und er macht mir viel Spaß. Ich komme gerne mit Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Diese Gespräche sind aufschlussreich, weil man unmittelbar erfährt, wo der Schuh drückt. Ich kommuniziere auch viel über Facebook. Anfangs war ich sehr kritisch, was soziale Netzwerke anbelangt, mittlerweile bin ich schon fast ein Facebook-Junkie. Ich bin dort aktiv und schreibe die Einträge und Nachrichten selbst. Meistens äußere ich mich zu politischen Fragen, und zwar nicht nur zur Gesundheitspolitik, sondern zur gesamten Bandbreite der Politik. Ein Schwerpunkt ist auf jeden Fall die Kommunalpolitik. Daneben schreibe ich aber gelegentlich auch über private Sachen, obwohl man mich da nicht allzu ernst nehmen sollte.

Was bezwecken Sie als Politiker mit dieser Art von Kommunikation?

Es ist ein Fehler, alles akademisch erklären zu wollen. Man muss präzise formulieren und Inhalte auf das Wesentliche komprimieren. Genau das ist es, was man in sozialen Netzwerken lernt. Menschen zu begeistern, ist eine ganz andere Disziplin. Man muss beides können, und beides ist ein Lernprozess. Sich als Politiker hinzustellen und zu denken, man erklärt den Leuten jetzt intellektuell die Welt, das funktioniert nicht. Es ist schwierig, die Menschen mitzunehmen und zu begeistern. Wer das als Politiker beherrscht, hat einen großen Vorteil.

Wie reagieren die Bürger vor Ort, spüren Sie eine Art von Politikverdrossenheit?

Früher waren Politiker absolute Respektspersonen, aber das hat sich zum Glück vollkommen gewandelt. Die Menschen sind kritischer geworden und hinterfragen die Entscheidungen der Politik. Das ist sinnvoll und gut. Leider ist der Politiker oder die Politik aber häufig auch Projektionsfläche für alles, was nicht klappt bzw. dann, wenn Anspruchshaltungen nicht umgesetzt werden. Die Medien greifen dieses Spiel natürlich gerne auf. Doch es gibt viele Politiker, und zu denen zähle ich mich auch, die ihre Arbeit mit Enthusiasmus und Gestaltungswillen machen. Es sollte aber niemand Politiker werden, der frisch aus dem Studium kommt und sich in seinem beruflichen Umfeld noch nicht bewähren konnte. Als Politiker braucht man Erfahrung und operativen Mut, denn man muss oft genug auch Dinge durchsetzen, die nicht allen Bürgern gefallen.

Und was braucht man als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses?

Ruhe, Gelassenheit und die Bereitschaft, sich selber zurückzunehmen. Der Ausschussvorsitzende ist eine Art Moderator oder Mediator. Er hat die Aufgabe, für einen Ausgleich der Interessen zu sorgen. Wir haben jetzt eine große Koalition. Und ich habe von Beginn an angeregt, der Opposition im Ausschuss mehr Rechte zu geben. Das haben wir erreicht, indem wir zum Beispiel die Anhörungsverfahren so verändert haben, dass die Opposition nun mehr Redezeit hat als ihr eigentlich zusteht. Früher waren die Anhörungen sehr ritualisiert. Deswegen besteht jetzt meine Rolle darin, mich zu bemühen, auch die Opposition angemessen zu Wort kommen zu lassen, damit diese ihre Ansichten und Gründe vernünftig vortragen kann.

Werden andere Ansichten auch in Gesetzestexten berücksichtigt?

Zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz, das wir in der vergangenen Woche verabschiedet haben, wurden 56 Änderungsanträge eingebracht, die die gesamte Breite des Gesetzes betrafen, angefangen von der Fahrtkostenerstattung für Blut- und Organspender bis hin zu Sicherheitsleistungen von Kommunen bei der Gründung eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ). Jeder Verband, jede Kommune, jeder Sachverständige oder Wissenschaftler hat die Möglichkeit, einen Gesetzentwurf zu kommentieren und Änderungsvorschläge zu machen. Dafür gibt es unter anderem die öffentlichen Anhörungen, in denen ihre Meinung gehört wird. Welche Änderungen davon letztlich in den Gesetzentwurf eingehen, entscheidet die politische Mehrheit.

Was für Einflussmöglichkeiten hat denn der Ausschuss?

Der Ausschuss lebt von seiner Sachbezogenheit. Er erarbeitet das endgültige Gesetz, das dann vom Deutschen Bundestag beschlossen wird. Das geschieht in Form eines sachlichen Meinungsaustausches zwischen den Fraktionen. Das wird oft von der Öffentlichkeit falsch wahrgenommen, da wir nicht öffentlich tagen. Wie ich schon erwähnte, haben wir zum GKV-Versorgungsstärkungsgesetz 56 Änderungsanträge mit mehr als 100 einzelnen Änderungen zum ursprünglichen Regierungsentwurf erarbeitet und beschlossen. Ausschüsse setzen in der Regel das Strucksche Gesetz um, wonach keine Gesetzesvorlage das Parlament so verlässt, wie sie eingebracht wurde.

Setzt der Ausschuss auch eigene Themen?

Der Ausschuss kann natürlich Themen setzen und nimmt diese Möglichkeit auch wahr. Ich erinnere nur an die große Debatte zur Organspende, die vom Ausschuss ausging.

Die große Koalition hat nun richtig Tempo gemacht in Sachen Gesetzesvorhaben. Warum diese Eile?

Ich sehe diese Eile nicht. Wir haben bereits im vergangenen Jahr zwei große Reformvorhaben, nämlich das GKV-Finanzierungs- und Qualitätsweiterentwicklungsgesetz und die Pflegereform I verabschiedet. Wir werden in diesem und im kommenden Jahr in Ruhe und mit der gebotenen Sorgfalt weitere im Koalitionsvertrag festgelegte Reformvorhaben umsetzen.

Was versprechen Sie sich denn von den anstehenden Reformen?

Durch das jetzt beschlossene Versorgungsstärkungsgesetz wollen wir die bedarfsgerechte, medizinisch hochwertige und gut erreichbare Versorgung der Menschen auch in der Zukunft sichern und die Rechte der Patientinnen und Patienten stärken. Auch weiten wir die Leistungsansprüche aus.

Die Klinikreform zeichnet sich insbesondere durch ihren Fokus auf mehr Qualität aus. Gelingt dies auch?

Qualität wird ein sehr viel größeres Gewicht bekommen, das ist auf jeden Fall der richtige Weg. Wobei ich denke, es ist besser, mit positiven Verstärkern zu arbeiten, als auf das Malus-Prinzip zurückzugreifen. Das heißt, dass man gute Qualität belohnt, anstatt Fehler zu bestrafen. Unser Ziel ist es, eine gut erreichbare Krankenhausversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger sicherzustellen. Auch auf dem Land, wo viele kleinere Krankenhäuser wirtschaftlich gefährdet sind, muss diese Versorgung gewährleistet sein. Für kleinere Häuser haben wir deshalb Sicherstellungszuschläge vorgesehen. Außerdem können kleinere Krankenhäuser bei Unterversorgung für die ambulante Versorgung geöffnet und so wirtschaftlich gestärkt werden.

Wie bewerten Sie hier die Rolle der Länder?

Hier hätte ich mir ganz klar gewünscht, dass sich die Länder stärker zu ihrer Verantwortung bekannt hätten. Die Länder wollen mitbestimmen, aber nicht bezahlen, das kann nicht sein. Bedauerlicherweise haben wir in dieser Hinsicht als Bundesgesetzgeber keine Durchgriffsrechte, und deshalb können wir ohne die Bereitschaft der Länder keine Strukturreform durchsetzen.

Im ambulanten Bereich soll das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz Strukturen verändern. Worauf kommt es hier vor allem an?

Den Arzt, der mit seiner Ledertasche Hausbesuche macht, wird es wahrscheinlich bald nicht mehr geben. Viele Ärztinnen und Ärzte sind nicht mehr bereit, 24 Stunden für ihre Patienten zur Verfügung zu stehen. Sie haben eine andere Idee von Lebens- und Arbeits-Balance. Wir müssen deshalb innovative Ideen, die sich bewährt haben, in der Praxis fördern. Daher ist es wichtig, eine zielgenauere Bedarfsplanung zu etablieren, die versucht, Unter- und Überversorgung in den Planungsbereichen auszugleichen. Das heißt auch, dass wir mit der Schnittstellenproblematik ambulant und stationär weiterkommen müssen. Wobei ich mit einer neuen Bedarfsplanung natürlich keine Hausärzte zaubern kann. Genauso können wir auch keine Hausärzte aufs Land zwingen. Aber es kann auch nicht sein, dass die Praxis des Kassenarztes in stark überversorgten Gebieten bis in alle Ewigkeit besteht. Der Bedarf muss im Vordergrund stehen. Wenn die Möglichkeit besteht, in überversorgten Gebieten eine Praxis zu schließen, dann sollten wir das tun.

Was ist mit der Pflege?

Kernpunkt der Pflegereform I war die Steigerung der Leistungsbeiträge um vier Prozent. Wir haben dafür Leistungen in einem Umfang von 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, 14 Milliarden Euro für die häusliche und eine Milliarde für die stationäre Pflege.

Um die Verbesserungen zu finanzieren, haben wir den Beitragssatz zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozent erhöht. Zur Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs in der Pflegereform II erfolgt eine weitere Erhöhung um 0,2 Prozent.

Wir werden u. a. Beitragsgelder für die Förderung von Pflegepersonal in die Hand nehmen. Davon profitieren Patientinnen und Patienten unmittelbar. Die eingesetzten Mittel sind erheblich und belaufen sich auf 2,7 Milliarden Euro bis zum Jahr 2018.

All diese Reformen kosten viel Geld. Wo soll das herkommen?

Wenn wir auf die Pflegereform schauen, haben wir dort eine Erhöhung von insgesamt von 0,5 Beitragssatzpunkten ab 2016. Das ist sicherlich eine relevante Steigerung, aber mit Blick auf unsere älter werdende Gesellschaft ist sie bei steigenden Ausgaben in Ordnung. Die Pflege ist übrigens einer der ganz wenigen Bereiche, wo selbst die Wirtschaft nicht protestiert hat, obwohl man den Faktor Arbeit mit höheren Beiträgen belastet hat.

Aber reicht das, um die Pflege zukunftssicher zu gestalten?

Wir werden alles daran setzen, um die Pflege mit einem zweiten Pflegestärkungsgesetz und der Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs zukunftssicher zu gestalten. Ich bin da sehr zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.

Und wie sieht es bei der Krankenversicherung aus, vor allem wo der allgemeine Beitragssatz bei 14,6 Prozent festgeschrieben ist und die Krankenkassen individuelle einkommensabhängige Zusatzbeiträge erheben können?

Zu den Zusatzbeiträgen habe ich als Abgeordneter eine eigene Meinung. Ich halte sie für problematisch. Ich halte es aber für einen großen Erfolg, dass die Zusatzbeiträge nicht mehr einkommensunabhängig erhoben werden. Ich wünschte allerdings, man hätte die Arbeitgeberbeiträge nicht bei 7,3 Prozent eingefroren. Dennoch muss man sagen, dass es vernünftig ist, den Faktor Arbeit nicht zu stark zu belasten, denn das könnte Arbeitsplätze kosten. Wenn die Ausgaben aber weiter steigen, was wir alle erwarten, dann werden wir auch über den Arbeitgeberanteil und die paritätische Finanzierung sprechen müssen.

Wie löst man das Problem dann in der Zukunft?

Für eine gute flächendeckende medizinische Versorgung benötigen wir genügend finanzielle Mittel in Form von Beiträgen, aber auch ausreichend Steuermittel, um die sogenannten versicherungsfremden Leistungen, wie kostenfreie Familienmitversicherung aus dem Gesundheitsfonds, bezahlen zu können.

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