Konsortium

Versorgung bei familiärem Brust- und Eierstockkrebs

Illustration: Drei DNA-Stränge

Aktuelle Erkenntnisse zu Ursachen und Behandlung des erblich bedingten Mamma- und Ovarialkarzinoms bringen einen massiven Translationsdruck zur Umsetzung und Nutzbarmachung dieser Erkenntnisse in der klinischen Versorgung. Das wird verstärkt durch die mediale Aufmerksamkeit und die großen Erwartungen seitens der Betroffenen wie auch der Ärzteschaft in eine zielgerichtete/risiko-adaptierte und damit potenziell effektivere Prävention des Mamma- und Ovarialkarzinoms. Ein Beispiel ist das Outing von Angelina Jolie, das zu einem deutlichen und anhaltenden Anstieg der Nachfrage nach Risikoberatung und genetischer Testung geführt hat und mittlerweile als Jolie-Effekt in die Fachwelt eingegangen ist.

Epidemiologische Daten legten seit Längerem nahe, dass rund ein Viertel der Brust- und Eierstockkrebserkrankungen auf genetische Risikofaktoren zurückzuführen ist. Über mehrere Jahrzehnte hinweg waren nur die Hochrisikogene BRCA1 und BRCA2 bekannt, die für rund fünf Prozent der Erkrankungsfälle ursächlich sind. Die rasanten technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Hochdurchsatz-Genomanalyse und darauf basierender aktueller Erkenntnisse haben eine zweite Ära der Identifikation von Risikogenen eingeläutet. Durch die derzeit stattfindende Entdeckung einer Fülle weiterer Risikogene wird die noch unerklärte Erblichkeit von rund 20 Prozent vermutlich in kurzer Zeit aufgedeckt sein. Das Deutsche Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs hat daher im Frühjahr diesen Jahres das TruRisk®-Genpanel eingeführt, das die bereits bekannten moderaten Risikogene umfasst. Es ist bereits jetzt bekannt, dass diese Gene eine beträchtliche Streubreite hinsichtlich des mit Mutationen einhergehenden Erkrankungsrisikos aufweisen. Dies gilt es dringlich in darauf basierenden klinischen Präventionskonzepten zu berücksichtigen.  

Daneben kam es bei der Therapie von BRCA1- und BRCA2-Mutationen zu einem Durchbruch. Es konnte erstmals gezeigt werden, dass Kenntnisse über die primärgenetischen Ursachen (Keimbahnmutationen) der Tumorentstehung die Entwicklung zielgerichteter Therapeutika wesentlich vorantreiben können. Damit verschwimmt die Grenze zwischen prädiktiver und therapierelevanter Genanalyse. Bei dem seit Juni 2015 auf dem deutschen Markt eingeführten Medikament Lynparza handelt es sich um einen sogenannten PARP-Inhibitor, der Tumorzellen bei Vorliegen einer BRCA1- oder BRCA2-Mutation basierend auf dem Prinzip der synthetischen Letalität durch die Akkumulation genetischer Schädigungen in den aktiven Zelltod führt.

Diese atemberaubenden Entwicklungen kontrastieren mit einer Vielzahl von Unzulänglichkeiten beziehungsweise Erkenntnisrückständen seitens der klinischen Interpretation und Implementierung. Allem voran bedarf es dringlich einer Verbesserung der genetischen und präventiven Literacy in der breiten Ärzteschaft, aber auch der Gesundheitsfachberufe, um einen verantwortungsvollen und patientenorientierten Umgang mit den Möglichkeiten der prädiktiven und diagnostischen genetischen Untersuchungen sicherzustellen. Dies impliziert auch die Fähigkeit zur kritischen Bewertung kommerzieller Gentests, welche die Gefahr bergen, sich als neue Form von Blockbustern im Diagnosebereich ohne erkennbaren klinischen Nutzen beziehungsweise sogar zum Schaden der Betroffenen zu etablieren. So werden zum Beispiel im Fall eines Mutationsnachweises in den Genen BRCA1 oder BRCA2 außerhalb des Konsortiums weiterhin zu hohe Erkrankungs- beziehungsweise Zweiterkrankungsrisiken kommuniziert, die auf überholten verzerrten Untersuchungen beruhen. Auch fehlen Kenntnisse über den spezifischen Phänotyp genetisch definierter Tumorsubtypen, die für die klinische Entscheidungsfindung bezüglich der präventiven Maßnahmen relevant sein können. Mit der Einführung von Lynparza, das für Tumoren mit Keimbahn- sowie somatischen BRCA1- und BRCA2-Mutationen zugelassen wurde, ist ferner eine kritische Bewertung der Unterschiedlichkeit solcher Mutationen und deren Bedeutung für das potenzielle Therapieansprechen seitens des Klinikers erforderlich und sicherzustellen.  

Federführendes Zentrum

Das Zentrum Familiärer Brust- und Eier- stockkrebs der Uniklinik Köln hat sich als federführendes Zentrum des Konsortiums diesen Herausforderungen gestellt und bereits vor zwei Jahren begonnen, exemplarisch ein Netzwerk in Nordrhein-Westfalen aufzubauen, das vorrangig zertifizierte Brustzentren sowie zertifizierte gynäkologische Krebszentren einschließt. Die Kooperation umfasst die Unterstützung bei der Beratung zur diagnostischen genetischen Untersuchung durch Vor-Ort-Sprechstunden nach dem „flying  doctor“-Prinzip, das Angebot strukturierter Fortbildungsmaßnahmen, eine über die reine Genanalyse hinausgehende Befundung mit klinischer Interpretation sowie die Etablierung einer Hotline für Kooperationspartner.  

Nachdem das Angebot sehr rege aufgenommen und erste positive Erfahrungen mit den Fortbildungsveranstaltungen gewonnen wurden, konnte diese sektorenübergreifende Zusammenarbeit nun in der Vereinbarung gemäß § 140 a SGB V zwischen dem Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) und dem Universitätsklinikum Köln abgebildet werden. Ein Novum ist hierbei die aktive Einbeziehung der Kooperationspartner in die Beratung vor der diagnostischen genetischen Untersuchung. Zur Gewährleistung der erforderlichen Kompetenz wurde eine Qualifikationsmaßnahme eingeführt, die neben einer erfolgreichen Schulungsteilnahme inklusive Lernerfolgskontrolle eine eintägige Hospitation im Zentrum Köln vorsieht und für ein zwei Jahre gültiges Zertifikat qualifiziert. Darüber hinaus wurde die Indikationsstellung für eine eventuelle Lynparzatherapie als neues Einschlusskriterium für eine diagnostische genetische Untersuchung aufgenommen. Hierdurch wird auch sichergestellt, dass die gesamte Kompetenz des Konsortiums basierend auf langjähriger Befundungskompetenz und einer Gendatenbank von über 25.000 getesteten Familien in die Mutationsbewertung und damit die Indikationsstellung für eine Lynparza-Therapie einfließt. Eckdaten zu dieser Kooperation werden im Rahmen begleitender Qualitätsmanagement-Maßnahmen in der zentralen Datenbank des Konsortiums dokumentiert, regelmäßig ausgewertet und mit allen Vertragspartnern transparent diskutiert.  

Derzeit bauen die übrigen Zentren des Konsortiums analoge Strukturen und Netzwerke mit umliegenden zertifizierten Zentren auf. Dieses Konzept erlaubt erstmalig die Einführung moderner genetischer Diagnoseverfahren in die breite klinische Versorgung unter Berücksichtigung von Evidenz und eines effektiven Ressourceneinsatzes zum maximalen Patientennutzen. Es kann ferner als Blaupause für weitere Anwendungsbereiche moderner genetischer Diagnoseverfahren dienen.

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