GKV-Finanzsituation

Ausgaben und Einnahmen driften auseinander

Darstellung über Monatliche Zusatzbeiträge bzw. Zusatzbeitragssätze

Es ist sicher davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren die Beitragseinnahmen nicht in dem Maße steigen werden, dass damit steigende Ausgaben bei gegebenem allgemeinem Beitragssatz von 14,6 Prozent gedeckt werden könnten. Das Auseinanderdriften der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung, das bereits in 2014 zu einer Unterdeckung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geführt hat, wird in den nächsten Jahren anhalten, so die Prognosen des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek).

Zum 1. Januar 2015 wurde der allgemeine, paritätisch finanzierte Beitragssatz (Gesundheitsfondsbeitragssatz) von 15,5 Prozent auf 14,6 Prozent abgesenkt. Die Beitragssatzabsenkung 2015 bewirkte einen Rückgang bei den Fondseinnahmen, der zu einer Deckungslücke von 11,1 Milliarden Euro führte und durch einen GKV-durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 0,9 Prozent kompensiert werden konnte. Seit 2015 bestimmen allein die geschätzten Einnahmen aus dem allgemeinen Beitragssatz das Zuweisungsvolumen aus dem Gesundheitsfonds an die Kassen.

Die Ausgaben und Zuweisungen gehen immer weiter auseinander, selbst wenn man – über den langfristigen Trend hinaus – auch nach 2016 noch eine Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen um rund 2,5 Prozent je Mitglied und der Ausgaben um ca. vier bis fünf Prozent je Versicherten unterstellt. Auch bezüglich der Versicherten- und Mitgliederzahlen geht der vdek weiterhin von einem Zuwachs aus. Wenngleich antizipiert wird, dass sich dieser gegenüber den Jahren 2012 bis 2014 mit besonders hohen Zuwanderungen aus dem europäischen Ausland abschwächt, aber immer noch deutlich über der langfristigen Entwicklung der Jahre vor 2012 liegt. Hinzu kommen zunehmend auch anerkannte Asylbewerber, die als Beschäftigte oder als Hartz IV-Empfänger Mitglieder der GKV werden.

Zusätzlich zu einer langfristig zu beobachtenden Grundentwicklung kommen die finanziellen Effekte insbesondere des Krankenhausstrukturgesetzes (KHSG), mit erheblichen Mehrausgaben ist auch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) und das Präventionsgesetz verbunden. Mit dem Hospiz- und Palliativgesetz, dem Pflegestärkungsgesetz und dem E-Health-Gesetz sind ebenfalls weitere Finanzwirkungen für die GKV verbunden.

Bei diesen Schätzungen der Finanzentwicklung ist es wichtig, die immer vorhandenen großen Unsicherheiten über die faktischen Wirkungen so realistisch wie möglich zu berücksichtigen. Zudem verzögern sich die Umsetzungen von gesetzlichen Maßnahmen oft zeitlich, eine Ganz-Jahres-Wirkung kann nicht angesetzt werden und von daher  können sich die Finanzwirkungen in die Folgejahre verschieben. Erhoffte Einsparungen können nicht beziffert werden; wenn überhaupt, gibt es diese auch erst auf lange Sicht. Unter diesen Prämissen ist ein Szenario zur Entwicklung der Zusatzbeitragssätze in den nächsten Jahren bis 2020 entstanden, das im Sinne eines optimistischen Szenarios die mindestens zu erwartende Entwicklung bei den Zusatzbeitragssätzen aufzeigt. Dies auch deshalb, weil die überdurchschnittlich positive Entwicklung der Beitragsgrundlagen der letzten drei Jahre fortgeschrieben und auch bei den Ausgaben keine über den langen Trend und der unterstellten Gesetzeswirkungen hinaus besonders dynamische Zunahme unterstellt wird.

Das Auseinanderdriften von Einnahmen und Ausgaben in der GKV und die verabschiedeten Gesetze mit ihren zum Teil erheblichen finanziellen Entwicklungen bestimmen die Entwicklung des Zusatzbeitrages. Bei dieser Betrachtungsweise ist zu erwarten, dass der Zusatzbeitragssatz unter den gegebenen Rahmenbedingungen jährlich mindestens um 0,2 Prozentpunkte ansteigen wird und sich 2020 mit 1,9 Prozent gegenüber 2015 mit 0,9 Prozent mehr als verdoppelt hat.

Da der Zusatzbeitrag nur von den Mitgliedern erhoben wird, steigt die finanzielle Belastung der Mitglieder an. Durch die Festschreibung des Arbeitgeberanteils am Beitragssatz gäbe es bei einem Zusatzbeitrag von 1,9 Prozent für die Mitglieder eine Belastungsverteilung zwischen Arbeitgebern zu Mitgliedern der GKV von 44,3 Prozent zu 55,7 Prozent; die Belastungen der Mitglieder durch Zuzahlung nicht mitgerechnet. Die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wird weiter ausgehöhlt.  Die zunehmende Belastung der Mitglieder kann kurzfristig durch Abschmelzung der Liquiditätsreserve im Gesundheitsfonds bis  auf eine Mindestreserve von 35 Prozent der durchschnittlichen Monatsausgabe des Gesundheitsfonds begegnet werden. Die Überschüsse im Fonds könnten genutzt werden, um gesetzlich induzierte Ausgabensteigerungen in der GKV abzufedern. Bei der Finanzierung des Innovationsfonds und des Krankenhausstrukturfonds hat der Gesetzgeber diesen Weg schon gewählt, ebenso wie bei der Streichung der Praxisgebühr. Jetzt gilt es, weitere Kompensationen vorzunehmen und zukünftig Überschüsse im Gesundheitsfonds, die über der Mindestreserve liegen, direkt in die Zuweisung zu stellen. Letzteres ist auch deshalb geboten, da die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank sich negativ auf das Zinsniveau bei den Rücklagen auswirkt. Ein Abfedern von steigenden Zusatzbeiträgen durch Abschmelzen vorhandener freier Mittel aus der Liquiditätsreserve wird aber nur kurzzeitig gelingen. Daher muss grundsätzlich die Finanzstruktur der Beitragszahlung geändert werden. Eine Dynamisierung bzw. Anpassung des Arbeitgeberbeitragssatzes ist zur Vermeidung weiterer einseitiger Belastungen der Mitglieder unerlässlich. Die solidarische Absicherung des Krankheitsrisikos und die schnelle und umfassende Versorgung im Krankheitsfall tragen zur Sicherung und Wiederherstellung der Arbeitskraft bei. Daher sollte es auch ein zentrales Anliegen der Arbeitgeber sein, dass kein zusätzliches Geld ohne Mehrwert für die gesundheitliche Versorgung ins Gesundheitswesen fließt. Wenn Versicherten- und Arbeitgebervertreter in den selbstverwalteten Gremien der GKV sich in diesem Sinne politisch einsetzen, sollte sich diese gemeinsame Verantwortung auch in der finanziellen Gestaltung des Beitragssatzes widerspiegeln. Dann sollte die Wiederherstellung einer weitgehend paritätischen Finanzierung unter dem Grundsatz der autonomen Beitragsgestaltung – für den gesamten Beitragssatz, nicht nur für den Zusatzbeitrag – kein Tabu mehr sein.

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