Solidarausgleich

Weiterentwicklung des Morbi-RSA

Seit der Einführung des Gesundheitsfonds im Januar 2009 orientiert sich das System des Solidarausgleichs zwischen den gesetzlichen Krankenkassen unmittelbar an der Morbidität der Versicherten. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) dient der Realisierung eines angestrebten, zielorientierten Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen. Um die Zielgenauigkeit zu erhöhen, sind weitere Reformschritte geboten.

Während der 1994  eingeführte erste RSA keinen vollständigen Finanzkraftausgleich vornahm, findet nun zwischen den Krankenkassen ein 100-prozentiger Ausgleich der beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) statt. Zudem tritt zu den indirekten Risikomerkmalen Alter, Geschlecht und Bezug einer Erwerbsminderungsrente eine direkte Morbiditätsorientierung durch eine Berücksichtigung von bis zu 80 Krankheiten.

Grundsätzlich stellt der Morbi-RSA ein lernendes System dar, welches das Bundesversicherungsamt (BVA) in Unterstützung durch einen wissenschaftlichen Beirat mithilfe jährlicher Anpassungen bei der Krankheitsauswahl und dem Klassifikationsmodell umsetzt. Eine Notwendigkeit zu Anpassungen des Berechnungsverfahrens wurde insbesondere mit Blick auf den Umgang mit unvollständigen Versichertenepisoden gesehen. Das Problem liegt insbesondere in den hohen Kosten der letzten Lebensjahre eines Versicherten. Die bisherigen Zuweisungen konnten die tatsächlich entstandenen Kosten nur noch zu etwa 30 Prozent decken. Dazu kam ein methodischer Fehler, da bei der Berechnung der Zuschläge für die Verstorbenen nur die Versichertentage, nicht aber die Kosten auf ein Jahr hochgerechnet wurden; mit der Folge, dass die Kosten Verstorbener bei der Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds nur zur Hälfte berücksichtigt wurden.  

Dieser Methodenfehler wurde rückwirkend zum Ausgleichsjahr 2013 korrigiert. Die finanziellen Auswirkungen auf die Finanzen der einzelnen Kassenarten sind erheblich. Gegen die vorgenommene Änderung gibt es daher auch kritische Stimmen. Einzelne Krankenkassen und ihre Verbände beklagen die isolierte Behandlung lediglich einer Baustelle im Morbi- RSA, während man mit Blick auf die anderen Baustellen zunächst passiv bleibt und weitere Gutachten anfordert (Krankengeld, Auslandsversicherte).  

Versucht man die aktuelle Diskussion zu überblicken, besteht insbesondere hinsichtlich der folgenden Punkte weiterer Diskussions-, insgesamt wohl aber auch weiterer Handlungsbedarf:

  • Krankengeld
  • Auslandsversicherte
  • Krankheitsauswahl und Präventionsbemühungen
  • Regionalkomponente

Mit der Einführung des Gesundheitsfonds hat sich die Situation beim Krankengeld erheblich verändert. Die Ansprüche der Krankenkassenmitglieder auf Krankengeld basieren auf deren tatsächlichen Erwerbseinkommen. Im Morbi-RSA werden aber nur Durchschnittsverdienste ausgeglichen. Die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds decken die Ausgaben insbesondere bei den Krankenkassen nicht, bei denen die zugrunde liegenden beitragspflichtigen Löhne und Gehälter über dem bundesweiten Durchschnitt liegen und dies zudem von einer längeren Bezugsdauer des Krankengeldes begleitet wird.

Eine zweite, gegenwärtig diskutierte Baustelle des Morbi-RSA bilden die sogenannten Auslandsversicherten, da ihre Zahl zwischen den einzelnen Krankenkassen stark schwankt und hier insbesondere hohe Überdeckungen auftreten. Die Regeln für die Erstattungen erfolgen in bilateralen Abkommen zwischen den Staaten. GKV-weit beträgt die Deckungsquote für Auslandsversicherte nahezu 200 Prozent. Hinter dieser Überdeckung verbirgt sich aber eine sehr inhomogene Situation auf der Ebene der einzelnen Krankenkassen. Erforderlich ist sicherlich mehr Transparenz, um zielgenauere Zuweisungen zu ermöglichen. Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV- FQWG) aus dem Jahr 2014 wurden bei der Berechnung der Zuweisungen für Krankengeld und Auslandsversicherte Ist-Kosten-Elemente als Übergangslösung eingeführt, um die Zielgenauigkeit dieser Zuweisungen zu erhöhen. Zudem erhielt das BVA die Aufgabe, Gutachten zur Weiterentwicklung des Standardisierungsverfahrens in beiden Bereichen in Auftrag zu geben. Diskutiert wird auch über die vorgenommene Krankheitsauswahl und die damit einhergehenden Präventionsbemühungen der Krankenkassen: Soll das Augenmerk verstärkt auf die in den Einzelfällen besonders teuren Erkrankungen gelegt oder stattdessen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf oder Asthma berücksichtigt werden, die nur aufgrund der Häufigkeit teuer für die Krankenkassen sind und mithilfe von Präventionsansätzen reduziert werden könnten?  

Ungleichgewichte bestehen weiterhin in der regionalen Verteilung der Versicherten und der regionalen Inanspruchnahme von Leistungen. Laut Evaluation des Wissenschaftlichen Beirates zur Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs und neuerer Gutachten kommt es insbesondere zu Unterdeckungen in Kernstädten und Überdeckungen im umliegenden Verdichtungsraum. Die verantwortlichen Faktoren, etwa regionale Kosten- und Versorgungsstrukturen, sind für Krankenkassen nur bedingt steuerbar und sollten unter Wettbewerbsaspekten durch den Morbi-RSA ausgeglichen werden. Die Einbeziehung einer regionalen Komponente auf der Leistungsseite des Morbi-RSA würde die solidarische Finanzierung der GKV mit ihrem bundesweiten vollständigen Finanzkraftausgleich und ihrer Morbiditätsorientierung in keiner Weise infrage stellen und konfligiert damit auch nicht mit dem entsprechenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2005. Um regionale Über- und Unterdeckungen zu vermeiden, könnte man auch über folgende Alternativen nachdenken:

  • Erweiterung der Handlungsspielräume durch Selektivverträge
  • Regionale Beitragsgestaltung

Eine Erweiterung der Handlungsspielräume durch Selektivverträge bildet auch unabhängig von den notwendigen Komponenten des Morbi-RSA eine wettbewerbspolitische Aufgabe. In dem Maße, in dem die Krankenkassen im Rahmen ihres Vertragsgeschäfts Mengen und Preise von Gesundheitsleistungen zu steuern vermögen, verlieren die angebotsseitigen Einflussgrößen ihren exogenen Charakter, sodass dann das erforderliche Gewicht einer regionalen Komponente im Morbi-RSA abnehmen kann. Da sich eine solche ordnungspolitisch wünschenswerte Entwicklung, wie auch die Option der Einführung regionaler Beitragssätze, aber derzeit nicht abzeichnet, bleibt die Forderung nach einer regionalen Komponente im Morbi-RSA ein wichtiges wettbewerbspolitisches Anliegen für die Weiterentwicklung des Morbi-RSA. Mit Blick auf die genannten Problemfelder geht es für die einzelnen Krankenkassen auch um viel Geld. Da die Krankenkassen sehr unterschiedlich von den Reformmaßnahmen betroffen sind, bietet es sich im Sinne einer umfassenden Lösung an, der Korrektur bei der Verstorbenenproblematik nun zügig weitere Reformschritte folgen zu lassen, um das System insgesamt nicht unnötigerweise und auch nicht ungerechterweise zu destabilisieren.

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