Interview

"Das Patientenoutcome ist das Wichtigste"

Dr. med. Christof Veit, Leiter des neuen Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG)

Die Bundesregierung will mehr Qualität in der medizinischen Versorgung. So sieht auch das Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) eine Planung nach Qualität vor. Zugleich hat der Gesetzgeber den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beauftragt, ein Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zu gründen. Seit Januar 2015 ist Dr. Christof Veit Leiter des IQTIG. Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über die Struktur und Aufgaben des Instituts, über Möglichkeiten und Herausforderungen der Qualitätssicherung und über die Rolle von Qualität in der Versorgung insgesamt.

Herr Dr. Veit, 2015 wurde das IQTIG gegründet, wie weit sind Aufbau und Organisation fortgeschritten?  

Dr. Christof Veit Angefangen haben wir erst einmal mit dem Aufbau des Instituts, inzwischen arbeiten wir inhaltlich an den Projekten, was gut ist und Spaß macht. Seit 1. Januar dieses Jahres sind wir verantwortlich für die Verfahren der gesetzlich vorgegebenen externen Qualitätssicherung. Neben den bereits laufenden, umfangreichen Routineverfahren, die wir nun weiterführen, kommen mit den neuen Steuerungsinstrumenten des Krankenhausstrukturgesetzes natürlich richtig große Aufgaben auf uns zu. Aber wir fangen ja nicht bei null an, das Team bringt viel Erfahrung mit, unter anderem aus dem BQS-Institut sowie dem AQUA-Institut, zwei unabhängigen Beratungs- und Forschungsunternehmen im Bereich der Qualitätssicherung, die beide in den letzten Jahren schon einmal für die externe Qualitätssicherung in Deutschland verantwortlich waren. Dazu kommt die Erfahrung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die aus der Selbstverwaltung zu uns gekommen sind, und ich selbst bin ja auch schon etliche Jahre in der externen Qualitätssicherung tätig.  

Wodurch zeichnet sich das IQTIG aus?

Das IQTIG ist eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung, die dem G-BA bei seinen Aufgaben zuarbeitet. Der G-BA ist weiterhin die politisch gestaltende Institution, er kann also verbindlich festschreiben, was unter Qualitätsaspekten passieren soll. Die Politik will jetzt zum Beispiel Qualitätsaspekte in der Krankenhausplanung etablieren, also bereiten wir entsprechende Konzepte vor und schlagen sie dem G-BA zur Beschlussfassung vor. Diese Konzepte müssen sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praktikabel sein. Wir erarbeiten, was wir für eine gute Qualitätssicherung an Instrumenten und Erkenntnissen liefern können und schlagen praktikable Lösungen vor. Ich denke, das IQTIG zeichnet sich dadurch aus, dass es ein wissenschaftliches Institut ist, dem in der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern im Gesundheitswesen Praxisnähe sehr wichtig ist.

Seit wann spielt die vergleichende Qualitätssicherung in Deutschland eine Rolle?  

Begonnen hat es Mitte der 70er Jahre mit der Münchner Perinatalerhebung, bei der man festgestellt hat, dass die Kindersterblichkeit relativ hoch war im Vergleich zu anderen Ländern. Fortan wurden die Geburten regelmäßig dokumentiert und die geburtshilfliche Versorgung fortlaufend verbessert. Dann gab es in Baden-Württemberg eine Qualitätsinitiative für die Chirurgie und ab 1987 haben wir – ich war damals Chirurg in Hamburg – angefangen, die Chirurgie der Hamburger Kliniken untereinander zu vergleichen. Ab 1992 haben wir dann in Hamburg die externe Qualitätssicherung für mehrere klinische Bereiche etabliert. Das Besondere war, dass die Selbstverwaltung beteiligt war, also dass Ärzte, Krankenhausträger und Kostenträger gemeinschaftlich Verantwortung übernahmen.

Wo steht Deutschland mittlerweile im internationalen Vergleich?

Wir sind, so glaube ich, in sehr vielen Bereichen an anderen Staaten vorbeigezogen. Herausragend ist unsere flächendeckende Qualitätssicherung. In den USA beispielsweise finden Sie spannende Einzelprojekte, von denen wir auch einiges lernen können, und natürlich besteht auch in anderen Ländern wie Großbritannien, Niederlande oder Schweden eine Tradition der Qualitätssicherung, die zum Beispiel stärker auf Audit oder Register setzt. Aber wir sind vor allem mit unseren flächendeckenden, differenzierten und risikoadjustierten Vergleichen sehr weit.

Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Es gab eine gute Mischung aus zentraler Vorgabe und dezentraler Realisierung, also die Länder und Landesgeschäftsstellen auf der einen Seite, die vor Ort als Multiplikatoren wirken, und dann die bundeseinheitlichen Vorgaben auf der anderen Seite, das hat sich im Nachhinein wirklich als Glücksfall herausgestellt. Sehr zentrale Strukturen wie zum Beispiel in Frankreich erschweren oftmals eine praxisnahe, flächendeckende Umsetzung. Hat man dagegen nur dezentrale und damit uneinheitliche Strukturen, sind valide Vergleiche oder einheitliche Standards schwierig umzusetzen. Dazu kommt, dass die Selbstverwaltung immer den Ehrgeiz hatte, Qualitätssicherung gemeinsam zu realisieren. Dieser Anspruch hat gegen viele Widerstände sehr vieles erreicht, auf das wir heute stolz sein können. Jetzt sind wir an dem Punkt, an dem es heißt, Qualität muss auch Konsequenzen haben. Wir nehmen den Qualitätsbegriff aus der Vitrine der Sonntagsreden und arbeiten damit. Wir wollen einerseits vorbildliche Qualität fördern, aber andererseits auch denen richtig auf die Füße treten, die sich partout nicht an erwartbare Mindeststandards halten.

Das fängt jetzt mit dem KHSG an, das eine Krankenhausplanung nach Qualität vorsieht.

Ich denke, dass es ganz logisch ist, dass bei der Krankenhausplanung künftig Qualität berücksichtigt werden soll. Das ist im Sinne aller Beteiligten. Dabei geht es darum, dass über Mindeststandards der Strukturqualität die Aufnahme in den Krankenhausplan geregelt werden soll. Mindeststandards der Prozess-und Ergebnisqualität sollen dann über den Verbleib im Krankenhausplan entscheiden. Bis Ende 2016 soll der G-BA – so sieht das Gesetz es vor – erste Entscheidungen zu diesem neuen Verfahren treffen, sodass bereits 2017 damit begonnen werden kann. Bis Ende April 2016 werden wir dem G-BA unser erstes Konzept zur Beratung vorlegen. Da in dieser ersten Phase nur auf bestehende Qualitätsindikatoren zurückgegriffen werden soll, kann die Einführung ohne größeren Zusatzaufwand erfolgen.

Die Versorgung soll mithilfe von Qualitätsindikatoren gesteuert werden. Derzeit gibt es bereits 430 solcher Indikatoren. Kommen jetzt alle Indikatoren auf den Prüfstand, und welche Bereiche sind relevant?

Die Versorgungsbereiche, die durch externe Vergleiche geprüft werden sollen, werden vom G-BA bestimmt. Das Gesetz bestimmt lediglich für den Hygiene- und den Psychiatriebereich eine explizite Verpflichtung. Natürlich sind die vorhandenen Qualitätsindikatoren eine sehr gute Basis. Wir haben hier reichlich Erfahrung, welche Indikatoren gut sind, welche weniger, bei welchen man mit der Bewertung vorsichtig sein muss. Wir müssen unsere Indikatoren ohnehin ständig überprüfen, denn der medizinische Fortschritt entwickelt die geltenden Standards kontinuierlich weiter. Zudem muss man prüfen, ob wirklich alles, was wir derzeit messen, in der Praxis zu Verbesserungen führt. Wir wollen unsere Verfahren auch um unwirksame Indikatoren kürzen und so die Projekte verschlanken.

Wie lassen sich Indikatoren untereinander vergleichen bzw. die Wertigkeit einstufen, um dann auch die Kliniken untereinander gerecht vergleichen zu können?  

Das Patientenoutcome ist natürlich das Wichtigste. Je schwerwiegendere Folgen Abweichungen vom Standard für die Patienten haben, umso gewichtiger ist der entsprechende Indikator. Weiterhin spielt in der Bewertung von Indikatoren eine Rolle, wie zuverlässig wir diese abbilden können, wie zuverlässig die Daten sind und ob wir die Risiken, die die Patienten haben, angemessen berücksichtigen können. Was wir auf keinen Fall haben wollen ist, dass Ärzte davon abgehalten werden, Patienten mit hohem Risiko zu behandeln. Das wäre eine fatale Wirkung. Daher brauchen wir unbedingt eine vernünftige Risikoadjustierung. Am Ende müssen unsere Ergebnisse einen fairen Vergleich der Krankenhäuser ermöglichen.  

Das Gesetz sieht außerdem Zu- bzw. Abschläge für gute bzw. schlechte Qualität vor. Inwieweit trägt das zur Qualitätsförderung bei?  

Inzwischen sehen ja alle Beteiligten die Anwendung von finanziellen Abschlägen kritisch. Denn wenn man schlechte Qualität bezahlt, wird sie ja dadurch trotzdem anerkannt. So hat auch der Gesetzgeber wirklich in der letzten Runde der Beratung des Gesetzes noch einen wesentlichen Aspekt eingeführt: Wenn ein Krankenhaus drei Mal Abschläge bekommt und es dann immer noch nicht schafft, die Qualitätsmängel zu verbessern, soll die Leistung nicht mehr finanziert werden. Sie muss sogar aus der Krankenhausplanung herausgenommen werden. Die Sache hat also noch mal richtig Zähne bekommen, was auch vernünftig und richtig ist. Da waren sich Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft einig, die gesagt haben, wir können schlechte Qualität auf Dauer nicht einfach schlechter bezahlen. Wenn sie ungenügend ist, muss damit absehbar Schluss sein. Allerdings setzt es auch voraus, dass die Definition von nicht mehr ausreichender Qualität belastbar und fair im Vergleich erfolgt. Außerdem sollen die so eingesparten Gelder dann der Förderung von exzellenter Qualität zugutekommen, denn die Möglichkeit zur guten Versorgungsqualität soll ja weiterentwickelt werden. Eine weitere Nebenwirkung, die wir in den Projekten mit finanziellen Anreizen fürchten, ist, dass bei zusätzlicher Vergütung eine Mengenausweitung erfolgt, weil es dafür mehr Geld gibt, dass also die Indikationsstellung ausgeweitet wird. Die Indikationsstellung als Qualitätsindikator wird künftig sehr wichtig sein.

Ein weiteres Instrument sind die Qualitätsberichte, zu deren Erstellung die Krankenhäuser bereits seit 2005 gesetzlich verpflichtet sind. Haben sich diese bewährt?

Qualitätsberichte eignen sich wenig dazu, Patienten zu informieren. Dennoch sind sie sehr sinnvoll. Wir dachten immer, dass wir uns verständlich machen müssten, dass wir den Patienten möglichst viele Informationen geben wollen, aber das war vom Ansatz her  falsch. Meine Nachbarin will nicht das IQTIG verstehen, sie will wissen, wo sie sich behandeln lassen kann. Ich kann ihr immer erklären, warum man eine Schwellenwertbestimmung bei Elektrosonden bei Schrittmachern machen muss, damit die Batterie länger hält. Das kann sie auch verstehen, aber das ist nicht ihre Frage. Sie möchte wissen, wo sie selbst gut betreut wird oder wo sie ihren Mann hinschicken kann. Wir müssen möglichst einfache Antworten geben, die Orientierung erlauben. Diese sollen dann auch den entsprechenden Portalen beispielsweise der Krankenkassen zur Verfügung stehen. Wenn dann nach weiteren, detaillierteren Informationen gefragt wird, dann sollen sie natürlich auch zugänglich sein. Aber der erste Einstieg muss möglichst übersichtlich sein und die Fragen der Patienten beantworten. Die Qualitätsberichte selbst sind für uns Fachleute als Informationsquelle sehr nützlich. Wir müssen sie künftig nur besser nutzen und den Mut haben, aus der Fülle an fachlichen Details einfache, verständliche Antworten zu generieren.  

Wie zuverlässig sind die Qualitätsangaben der Krankenhäuser?

Es wird regelmäßig eine Datenvalidierung durchgeführt, indem man stichprobenmäßig vergleicht, was Krankenhäuser dokumentieren und was in den Patientenakten drinsteht. Dort finden wir, dass tatsächlich einiges an Dokumentation zur Qualitätssicherung nicht den Angaben in der Patientenakte entspricht. Dies ist aber meist mal zulasten und mal zugunsten der Einrichtungen. Die Dokumentationsqualität ist besser als ihr Ruf. Das schließt aber nicht aus, dass es durchaus auch einzelne schwarze Schafe gibt, die zu ihren Gunsten systematisch inkorrekt dokumentieren. Wir versuchen, sie zum Beispiel durch den Abgleich mit Krankenkassen- bzw. Routinedaten zu identifizieren. So werden manchmal zum Beispiel Druckgeschwüre höheren Grades abgerechnet, die aber in der Qualitätssicherung nicht auftauchen, dort wird dann schon mal grob gelogen. An diese Krankenhäuser tritt man heran und erstellt Zielvereinbarungen, deren Einhaltung kontrolliert wird. Mit der qualitätsorientierten Vergütung wird so ein unentschuldbares Verhalten echte Konsequenzen haben, da ist dann unter Umständen irgendwann Ende der Fahnenstange. Das Thema Datenvalidierung wird uns daher und auch mit Blick auf die planungsrelevanten Indikatoren noch intensiv beschäftigen.

Inwiefern?

Das KHSG erlaubt uns den Zugriff auf die Sozialdaten der Krankenkassen, was uns enorm mehr Möglichkeiten der Qualitätsmessung bietet, beispielsweise um uns Langzeitverläufe anzusehen. Denn oft ist für einen Patienten ja nicht das Wichtigste, was nach vier Tagen Krankenhausaufenthalt herausgekommen ist, sondern wie er sich mit seiner Hüfte nach einem halben Jahr fühlt. Es war immer ein Nachteil, dass wir in den bisherigen Verfahren nur den stationären Aufenthalt beobachten konnten, der dazu unter den Fallpauschalen, den DRGs, auch noch immer kürzer wurde. Teilweise hatten die Patienten gar keine Zeit mehr, im Krankenhaus eine Infektion zu bekommen. Die wird erst zu Hause sichtbar und das Krankenhaus weiß von keiner Wundinfektion und dokumentiert sie daher auch nicht. Daran wird deutlich, dass wir bislang viele wichtige Aspekte nicht erfassen konnten. Da wurde uns jetzt eine wichtige Tür geöffnet. Aber diese Rückmeldungen dienen auch den Krankenhäusern, die sich solche Rückmeldungen zum poststationären Verlauf ihrer Patienten für ihr internes Qualitätsmanagement wünschen.

Jetzt steht der stationäre Bereich im Fokus – wie steht es mit der Qualitätssicherung im ambulanten Bereich bzw. in der sektorenübergreifenden Versorgung?

Patienten sind natürlich nicht sektorenspezifisch krank und natürlich gibt es auch im niedergelassenen Bereich seit vielen Jahren eine Qualitätssicherung mit eigenen, der Situation von Praxen angepassten Instrumenten. Diese basieren oft auf konkreten Mindeststandards, deren stichprobenmäßiger Überprüfung und auf gemeinsamem Lernen in Qualitätszirkeln. Das Erstellen von Qualitätsberichten und großen Statistiken stand dort nicht im Vordergrund. Dennoch findet im ambulanten Bereich ja auch gute Versorgungsqualität statt und das soll künftig transparenter werden. In diesem Jahr starten wir das erste sektorenübergreifende Projekt im Bereich der Herzkatheter und wir suchen sowohl für den stationären als auch ambulanten Bereich praxistaugliche Instrumente für die Qualitätsdarlegung.  

Wo stehen wir in fünf Jahren mit Blick auf Qualität?   

Im Vergleich zur Qualitätssicherung 2011, also vor fünf Jahren, haben wir bereits große Fortschritte gemacht. Versorgungsqualität ist zu einem zentralen Thema geworden. Es wird gefragt, wie wir bekannte Mängel nachhaltig verbessern können und wie wir auch künftig eine gute, solidarisch finanzierte Versorgungsqualität gewährleisten können. Das ist ja auch für viele Ärzte zunehmend zu einer zentralen Frage geworden. Gerade aus diesem Grund will die Bundesregierung das Gesundheitswesen mit Qualität als wichtiger Steuerungsgröße weiterentwickeln. Wir sollten die Möglichkeiten ergreifen, unser Gesundheitssystem verstärkt nach den Kriterien der Qualität zu steuern und zu fördern. Natürlich wird es bei den anstehenden Veränderungen viele Stürme geben, denn für die, die nur selbstzufrieden sind und sich nicht um die legitimen Qualitätsforderungen kümmern, für die wird es unbequemer werden. Es ist letztlich ein Kämpfen um den richtigen Weg, bei dem diejenigen gewinnen sollen, denen es primär um bestmögliche Versorgungsqualität geht. Das ist das Wichtigste für die Patienten. Dann werden wir aber auch künftig Menschen dafür gewinnen können, sich im Gesundheitswesen für beste Qualität zu engagieren. Denn das ist ja auch eine wichtige Zukunftsfrage.

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