Interview zum Innovationsfonds

"Innovationen blühen lassen"

Holger Pfaff sitzt in einem Büro und gestikuliert

Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz hat die Bundesregierung einen Innovationsfonds aufgelegt, der neue Versorgungsformen, die über die bisherige Regelversorgung hinausgehen, sowie innovative Versorgungsforschungsprojekte fördern soll. Hierfür stehen von 2016 bis 2019 jährlich 300 Millionen Euro zur Verfügung. Die Förderentscheidung trifft ein beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) angesiedelter Innovationsausschuss. Zugleich hat sich ein Expertenbeirat konstituiert, der den Innovationsausschuss in wissenschaftlicher und versorgungspraktischer Hinsicht berät und Empfehlungen zur Förderentscheidung erstellt. Den Vorsitz hat Prof. Dr. Holger Pfaff von der Universität zu Köln. Im Interview mit ersatzkasse magazin. spricht er über die Aufgabe des Expertenbeirats, das Zusammenspiel aller beteiligten Akteure sowie über die Chancen, die der Innovationsfonds bietet.

Herr Prof. Dr. Pfaff, inwieweit hilft Ihnen Ihre berufliche Erfahrung als Vorsitzender des Expertenbeirats?

Prof. Dr. Holger Pfaff  Von Haus aus bin ich Verwaltungswissenschaftler und das entsprechende Studium fasste übergreifende Fragestellungen aus Politik, Ökonomie, Rechtswissenschaft und Soziologie zusammen, das kommt mir heute entgegen. Und schon zu Beginn meines Berufslebens kam ich mit Aspekten der gesundheitlichen Versorgung in Berührung. Aber ich denke, entscheidend ist, dass ich in der Versorgungsforschung zu Hause bin. Dazu zählen nicht nur meine Forschungsaktivitäten auf diesem Gebiet, sondern auch meine Mitgliedschaft im Vorstand des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung und mein Amt als Fachkollegiat bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im Zuge dessen ich Begutachtungen durchführe.

Wie kamen Sie zur Versorgungsforschung?

Einschneidend war die konkrete Auseinandersetzung mit der medizinischen Versorgung an der Universität Köln, die mit der Einhaltung von Leitlinien und Verhaltensbeeinflussungen seitens der Ärzte begann. Dies gilt für uns in Köln als eine kleine Geburtsstunde der Versorgungsforschung. Denn neu und zentral für die Versorgungsforschung war zu diesem Zeitpunkt, vor allem im Vergleich zu Public Health, dass sich Ärzte und Sozialwissenschaftler plötzlich die Hand gaben und gemeinsam nach Lösungen für medizinische Versorgungsprobleme suchten. Darauf aufbauend haben wir den ersten deutschen Kongress für Versorgungsforschung entwickelt mit expliziter Einbindung der medizinischen Fachgesellschaften, wir haben uns als Gemeinschaft verstanden. So war die Versorgungsforschung handlungsfähig. Sie ist der Handschlag zwischen Sozialwissenschaftlern und Medizinern.

Nun wurde ein Innovationsfonds aufgelegt, um die Versorgungsforschung und neue Versorgungsformen zu fördern. Wird das Ziel erreicht?

Davon bin ich fest überzeugt. Wir werden alles dafür tun. In der Versorgungsforschung haben wir immer gefordert, dass wir so etwas brauchen wie in der Industrie. Die Industrie gibt zwei bis drei Prozent dessen, was sie umsetzt, für Forschung und Entwicklung aus, damit sie weiter nach vorne kommt. So müssen wir auch in der Versorgungsforschung denken. Natürlich sind die 300 Millionen Euro pro Jahr nicht mit den Summen in der Industrie zu vergleichen, aber dennoch, das ist viel Geld, da darf man sich nicht beklagen. Wir agieren jetzt endlich in amerikanischen Dimensionen.

Wo steht die Versorgungsforschung hierzulande im Vergleich zu anderen Ländern?

Die Amerikaner haben bis zu drei Jahrzehnte Vorlauf, auch England ist viel weiter. Bislang war Deutschland ein, salopp gesagt, Trittbrettfahrerland, weil es von Studien anderer Länder lebt. Da ist auch die Frage, ob sich Erkenntnisse aus den USA, Schottland, Australien oder Holland überhaupt auf die deutschen Verhältnisse übertragen lassen. Wir können uns nicht immer darauf verlassen, dass andere die Vorarbeit leisten, das ist ungerecht und wie gesagt bedenklich mit Blick auf die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Deutschland. In Deutschland besteht zudem der Vorteil, dass die Beteiligten miteinander reden. Beim G-BA kommt die Selbstverwaltung zusammen, und auch wenn man sich vielleicht streitet, so entscheidet man doch gemeinsam, und das ist heutzutage ein seltenes Gut.

Kritiker merken an, dass wieder ein neuer Geldtopf aufgemacht wird, ohne wirklich zu wissen, was dabei herumkommt.

Bei Forschung und Entwicklung ist man sich nie sicher. Unsere Aufgabe als Expertenbeirat ist, dafür zu sorgen, dass die Methoden stimmen und so die besten Voraussetzungen für einen Erfolg zu schaffen. Zudem bin ich davon überzeugt, dass es ohne die Ausschreibung weitaus schwieriger wäre, mehrere Akteure und Krankenkassen zusammenzubringen. Wenn man Erfolg haben will, muss man oft kooperieren. Hier finden sich jetzt mehrere Beteiligte zusammen und erarbeiten gezielt innovative Ideen. Wer weiß, ob eine Krankenkasse ohne Aussicht auf Förderung überhaupt Geld für ein neues Projekt in die Hand nehmen würde. Aber entscheidend ist, dass die Idee am Ende evaluiert wird, das ist zwingend vorgeschrieben. Die Evaluation ist ein Riesenschritt und Erfolg und praktisch schon allein das Geld wert. Man muss immer ein Risiko eingehen, aber hier erwarte ich auch einen Erfolg. Wir stehen vor der Herausforderung, Innovationen zum Blühen zu bringen, aber dass eben auch nur die guten Innovationen blühen.

Um den Innovationsfonds gruppieren sich unterschiedliche Akteure: Expertenbeirat, Innovationsausschuss und Projektträger. Wie sieht das Zusammenspiel aus?

Das erscheint erst einmal als ein gewaltiges Konstrukt. Aber es zeichnet sich eben auch durch eine Art Gewaltenteilung aus. Ich fange mal beim Handling an. Der Projektträger bringt das nötige Know-how mit, um die organisatorischen Dinge abzuwickeln und die Projekte zu kontrollieren. Zudem versteht er auch etwas von der Sache an sich. Das ist eine anspruchsvolle Aufgabe und es ist gut, dass er dabei ist, was anfangs nicht geplant war. Auch der Expertenbeirat kam erst später im parlamentarischen Verfahren dazu. Man hat gemerkt, dass man jemanden braucht mit methodischer Expertise. Entsprechend hat er die Funktion, den Innovationsausschuss zu beraten, hauptsächlich in Bezug auf die Wissenschaftlichkeit der Evaluationskonzepte. Wir geben Empfehlungen an den Innovationsausschuss, der dann letztendlich entscheidet. Unsere Empfehlungen sind nicht bindend. Wenn der Innovationsausschuss sich über diese hinwegsetzt, muss er dies allerdings schriftlich begründen.

Im Innovationsausschuss sitzen auch das Bundesgesundheits- sowie Bundesforschungsministerium. Ist das richtig?

Dass der Staat mit am Tisch sitzt, ist der große Unterschied zum G-BA, und es steht die Befürchtung im Raum, dass er sich nun zu sehr in die Selbstverwaltung einmischt. Aber ich denke, das muss gar nicht so schlecht sein, und hier spreche ich als Politikwissenschaftler. Denn der Staat hat das Ganze nur nach dem Subsidiaritätsprinzip nach unten delegiert, an eine Ebene mit Sachverstand, doch letztendlich ist er verantwortlich. Zudem vergeben beide Ministerien auch Forschungsgelder für Forschungsprojekte im Gesundheitswesen. Durch ihre Teilnahme im Innovationsausschuss können sie so verhindern, dass doppelt geforscht und gefördert wird.

Sie haben die Empfehlungen des Expertenbeirats an den Innovationsausschuss angesprochen. Worauf beziehen sich diese?

Sie beziehen sich erstens auf die Ausschreibung an sich, zum Beispiel was die Themenschwerpunkte, die Dauer der Förderung oder den Umfang der Anträge betrifft. Hierzu können wir Empfehlungen abgeben. Dann geht es auch um die Förderkriterien, die wir für die erste Welle der Förderung, also für die Förderung noch in diesem Jahr, bereits mit definiert haben. Die zweite wichtige Empfehlung bezieht sich auf die Frage der Förderwürdigkeit der gestellten Projektanträge. Wir geben eine Empfehlung ab, welche der eingereichten Projektanträge förderfähig sind und welche nicht.

Wie lassen sich die Anträge untereinander fair vergleichen?

Bestimmte Kriterien sind quasi gesetzt, an denen man Bewertungen festmachen kann. Zum Beispiel ob etwas zu teuer ist. Wenn die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen, dann verschlechtert das die Erfolgsaussichten eines Antrags. Bei den Anträgen zu den neuen Versorgungsformen ist vor allem von Bedeutung, dass diese Innovation Aussicht auf die Aufnahme in die Regelversorgung hat. Wenn absehbar ist, dass ein innovatives Versorgungskonzept aus verschiedenen Gründen nicht in die Regelversorgung übernommen werden kann, dann mag es sich vielleicht um eine gute Idee handeln, aber die Förderchancen sind dann geringer. Ein anderes Kriterium ist die Übertragbarkeit. Wenn eine Krankenkasse für ein Projekt datenschutzrechtlich eine Sonderregelung erhält, man aber weiß, dass es so etwas in der Fläche nicht geben wird, dann ist die Übertragbarkeit gefährdet. Natürlich kann es bei der Einschätzung von Anträgen Ungerechtigkeiten geben, wir versuchen aber, diese durch entsprechende Qualitätssicherungsmaßnahmen in Grenzen zu halten.

Was halten Sie von der Befürchtung, bei den Verträgen zu neuen Versorgungsformen auch nach Proporz zu entscheiden?

In erster Linie muss es um die Qualität der Vorhaben gehen. Ob alle Kassenarten berücksichtigt werden können, kleine wie große Kassen, aus dem Norden wie aus dem Süden, wird nicht Aufgabe des Expertenbeirats sein. Natürlich ist das Ganze im Innovationsausschuss dann auch ein politischer Prozess. Wir vom Expertenbeirat jedenfalls werden auf Qualität und Umsetzbarkeit achten, und da wird wahrscheinlich nicht jedes Projekt für eine Förderung infrage kommen. Wie der Innovationsausschuss letztlich entscheidet, ist seine Sache.

Wie bewerten Sie die Vorgabe, dass bei den Anträgen zu den neuen Versorgungsformen mindestens eine Krankenkasse beteiligt sein soll?

Gerade mit Blick auf die Umsetzbarkeit einer Idee macht diese Regelung Sinn. Es sollten diejenigen, die eine Innovation zu bezahlen haben, sowie die Entscheidungsträger an sich – das heißt letztlich auch der G-BA – im Vorfeld davon überzeugt sein, dass es eine gute Idee ist, für die man bereit wäre, später in der Regelversorgung mehr zu zahlen. Gelingt es, eine Kasse zu beteiligen, ist dies ein Beleg dafür, dass zumindest die beteiligten Kassen in dem Projekt ein Regelversorgungspotenzial sehen.

Die Kassen stehen im Wettbewerb zueinander – ist es überhaupt gut für eine Kasse, wenn sie eine Innovation auf den Weg bringt, die am Ende in die Regelversorgung wandert?

Ich bin ein Fan von Wettbewerb, er fördert Ideen. Eine Einheitskasse würde Ideenarmut erzeugen. Natürlich büßt eine Krankenkasse mit ihrer Innovation zunächst ihren Wettbewerbsvorteil ein, wenn diese zur Regelversorgung wird. Aber wenn man davon ausgeht, dass jede Kasse gute und kostensenkende Ideen einbringt, die zum Standard werden, sinken die Kosten der Versorgung insgesamt, somit gewinnt jede Kasse, letztlich auch die Gesellschaft. Die Kostenbelastung verringert sich, wenn man sich mit anderen zusammentut. Ihren ursprünglichen Wettbewerbsvorteil könnte die Kasse über andere Wege auszugleichen versuchen, etwa über Service oder Image. Sie müssen auch bedenken: Es ist schwierig, den Arzt dazu zu bringen, nur für vereinzelte Patienten einer einzigen Kasse sein Behandlungs- und Verschreibungsverhalten zu ändern. Deshalb ist es klug zu sagen, für zentrale Dinge machen wir etwas Gemeinsames.

Wie viele Anträge erwarten Sie?

Es wird einen Unterschied geben zwischen den neuen Versorgungsformen, bei denen Vollanträge abgegeben werden müssen, und der Versorgungsforschung, wo das Verfahren zweistufig ist. Bei Letzterem geht es im ersten Schritt erst mal um Skizzen, und diese können schneller erstellt werden. Aus Erfahrung heraus geht man hier von mehreren Hundert Anträgen aus. Bei den neuen Versorgungsformen muss man einfach schon vorab viel mehr vorbereitet haben, im Grunde müssen zum Beispiel bereits die Vereinbarungen mit den Leistungserbringern vorbereitet sein. Zudem hat man einen großen Managementaufwand zu betreiben. Ein überzeugendes Projekt schüttelt man nicht mal eben so aus dem Ärmel. Daher rechnen wir zwar mit vielen Anträgen bei den neuen Versorgungsformen, aber es werden sicher weniger sein als bei der Versorgungsforschung.

Es ist davon auszugehen, dass Projekte mit mehreren Jahren Laufzeit eingereicht werden. Werden diese Anträge bewilligt, steht automatisch mit jedem Jahr weniger Geld für neue Anträge zur Verfügung.

Der Effekt wird kommen. Hier muss man sich genau überlegen, wie viel Geld zu welchem Zeitpunkt ausgegeben wird. In diesem Zusammenhang spielt die Frage nach der zeitlichen Übertragbarkeit der Mittel eine große Rolle. Diese Frage ist meines Wissens zurzeit noch nicht endgültig geklärt.

Der Innovationsfonds ist angelegt auf vier Jahre. Erhoffen Sie sich eine Fortsetzung?

Als Versorgungsforscher erhoffen wir uns natürlich eine Fortsetzung. Ich würde sagen, es ist gut, wenn es weitergeht. Wenn aber andererseits die Evaluation zeigt, dass keine überzeugenden Ergebnisse geliefert werden, dann kann man durchaus auf die Idee kommen, sich das Geld zu sparen. Zudem muss sich der Verwaltungsaufwand in Grenzen halten und rentieren. Ich denke aber, die Versorgungspraxis und -forschung werden gute Ergebnisse liefern. Ich glaube, dieser Innovationsfonds bietet eine große Chance, einen Schulterschluss zwischen Wissenschaft und Versorgungspraxis zu erreichen, der zu gemeinsamen Lernerfolgen und zu einer Verbesserung der Versorgung der Patienten in der Zukunft führt. Dafür lohnt sich die viele Arbeit.

 

Prof. Dr. Holger Pfaff, geboren am 15. Mai 1956 in Schramberg, hat Sozial und Verwaltungswissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg, der Universität Konstanz und der University of Michigan, Ann Arbor, studiert. Nach Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Hochschulassistent an der Universität Oldenburg und der TU Berlin übernahm er 1997 die Professur für das Fach Medizinische Soziologie an der Universität zu Köln. Seit 2012 leitet Pfaff dort das Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft. Von 2002 bis 2010 war Pfaff Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Soziologie (DGMS) und von 2006 bis 2011 Vorsitzender des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung. Er ist Kollegiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft und weiterhin Vorstandsmitglied des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung. Seit 2016 ist er Vorsitzender des Expertenbeirats zum Innovationsfonds.

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