Landtagswahlen

Deutschlands Parteiensystem im Wandel

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Die Bundestagswahl im September 2017 wirft ihre Schatten voraus. Fünf Landtagswahlen stehen bis dahin noch an, zwei in diesem Spätsommer, drei im Frühjahr 2017. Welche Signale werden von ihnen für die Bundespolitik ausgehen?

Zu den Naturgesetzlichkeiten nicht nur der deutschen Politik gehört, dass die Parteien, die die Regierung stellen, im Laufe der Legislaturperiode an Zustimmung verlieren, während die Opposition in der Wählergunst zulegt. Gegen alle Erwartung fiel dieser „Zwischenwahleffekt“ nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 aus. Von diesem Muster ausgenommen war kurzzeitig nur die AfD, die im Gefolge ihrer guten Ergebnisse bei den Europawahlen und ostdeutschen Landtagswahlen ab Mitte 2014 in den Umfragen auf sieben Prozent kletterte. Heftige innerparteiliche Turbulenzen, die in die Spaltung der immer weiter nach rechts driftenden Partei mündeten, führten jedoch dazu, dass sie ein Jahr später auf ihren Ausgangswert bei der Bundestagswahl wieder zurückfiel.

Die „eingefrorene“ politische Stimmung ließ sich auf mehrere miteinander verbundene Faktoren zurückführen: die gute Wirtschaftslage, die die Arbeitslosigkeit niedrig hielt und dem Großteil der Arbeitnehmer zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Reallohnzuwächse bescherte, die Umsetzung der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Wahlversprechen der großen Koalition (Mindestlohn, Rente mit 63, Mütterrente), die Überlagerung innenpolitischer Themen durch die Europa- und Außenpolitik (Ukraine-Krise, Griechenland-Rettung), das weitgehend störungsfreie Management der großen Koalition und die selbstverschuldete Schwäche der – institutionell ohnehin benachteiligten – parlamentarischen Oppositionsparteien Grüne und Linke.

Mit dem Einsetzen der Flüchtlingskrise änderte sich die Stimmungslage ab August 2015 schlagartig. Während die beiden Regierungsparteien nun rapide und massiv an Zustimmung verloren, schnellten die Umfragewerte der AfD ebenso unvermittelt nach oben. Der nach ihrer Spaltung wenige Wochen zuvor bereits totgesagten Partei eröffneten sich durch die veränderte Themenagenda unverhofft neue Chancen. Die islamistischen Terroranschläge in Paris und Brüssel, die fehlende Aufnahmebereitschaft der europäischen Nachbarländer (insbesondere im Osten) und die Übergriffe überwiegend maghrebinischer Migranten auf Frauen am Silvesterabend in Köln spielten ihnen dabei ebenso in die Hände wie der Streit innerhalb der Regierung über die „Asylpakete“ und die heftige Kritik von Teilen der Union am Kurs der eigenen Kanzlerin, die zu einem offenen Zerwürfnis zwischen CDU und CSU führten. Bei den Landtagswahlen in Baden- Württemberg und Rheinland-Pfalz im März 2016 lag die AfD mit 15,1 bzw. 12,6 Prozent erstmals auch im Westen zweistellig, in Sachsen- Anhalt erreichte sie mit 24,2 Prozent das bisher beste Ergebnis einer rechtspopulistischen oder -extremistischen Partei bei Landtagswahlen überhaupt.

Wie die Wahlanalysen zeigen, schöpfte die AfD in Baden- Württemberg und Rheinland- Pfalz etwa ein Viertel, in Sachsen-Anhalt sogar fast ein Drittel ihrer Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler. Damit war sie der Hauptprofiteur der durch das Flüchtlingsthema ausgelösten Politisierung, die die Wahlbeteiligung in allen drei Ländern um gut zehn Prozentpunkte nach oben trieb. Rechnet man die Abwanderungen von den vorhandenen Parteien hinzu, rekrutierte die AfD in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz etwas weniger, in Sachsen- Anhalt mehr als die Hälfte ihrer Stimmen aus dem linken Parteienspektrum. Derselbe Effekt hatte sich bereits bei den vorangegangenen Wahlen in Ostdeutschland gezeigt.

Die Motivlagen der AfD-Wähler lassen sich vielleicht mit dem Begriffspaar „Unsicherheit“ und „Unbehagen“ am besten umschreiben. Unsicherheit bezieht sich dabei mehr auf die soziale Situation, also die Sorge vor Wohlstandsverlusten, während Unbehagen auf kulturelle Entfremdungsgefühle abzielt, den Verlust vertrauter Ordnungsvorstellungen und Bindungen. Beide Motive verbinden sich im Bedürfnis, die staatlichen Leistungen auf die eigene, einheimische Bevölkerung zu konzentrieren – die vermeintlich nicht-zugehörigen Zuwanderer sollen ausgeschlossen bleiben („Wohlfahrtschauvinismus“). Dass die Angst vor dem Fremden nicht dort am größten ist, wo die meisten Fremden leben, ist keine neue Erkenntnis, ebenso wenig die Verbreitung rechtsextremer Einstellungsmuster bis in die Mitte der Gesellschaft. Indem sie den Protest gegen die von allen übrigen Parteien (mit Ausnahme der CSU) im Grundsatz mitgetragene Flüchtlingspolitik anfacht, bringt die AfD diese latenten Überzeugungen an die politische Oberfläche. Gleichzeitig profitiert sie von nicht-extremistischen Überzeugungswählern aus dem bürgerlich- konservativen Bereich, die sich von der nach links gerückten CDU nicht mehr vertreten fühlen.

Letzteres bedeutet, dass der AfD auch nach Abebben der durch die Flüchtlingskrise hochgeschwappten Protestwelle genügend thematische Gelegenheiten verbleiben. Risiken entstehen ihr vor allem von innen. Die bisherige kurze Geschichte der Partei hat gezeigt, warum es den rechten Herausforderern in Deutschland nach wie vor schwerer fällt Fuß zu fassen als in anderen europäischen Ländern. Zum einen ist die Gefahr, am eigenen organisatorischen Unvermögen zu scheitern, ohnehin stets gegeben. Zum anderen wird sie durch die restriktiven Bedingungen befördert, unter denen die Newcomer hierzulande agieren müssen. Als „Hauptproblem“ erweist sich dabei die Stigmatisierung des Rechtsextremismus infolge des NS-Erbes. Parteien wie die AfD, die sich einen gemäßigten Anstrich geben, werden von rechtsextremen Kräften als Trittbrett genutzt, um eben diese Stigmatisierung zu überwinden. Damit stehen ihnen interne Konflikte über den Umgang mit den unerwünschten Unterstützern ins Haus, die ihr Ansehen und ihren Zusammenhalt früher oder später ruinieren.

Wieweit sich diese Querelen bereits bei den kommenden Landtagswahlen in Mecklenburg- Vorpommern und Berlin auswirken, bleibt abzuwarten – auch wenn die Umfragewerte nicht mehr so hoch sind wie im Frühjahr, sagen sie der AfD den sicheren Einzug in die Landesparlamente voraus. Eine Fortsetzung der Erfolgsserie der Rechtspopulisten bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint insofern schon heute relativ gewiss. Mit der Etablierung der AfD würde sich die Achse des Parteiensystems insgesamt nach rechts verschieben. Dies ist einerseits eine schlechte Nachricht für die SPD, weil es ihre Chancen für eine Rückeroberung des Kanzleramtes von der Union weiter vermindert. Andererseits schadet es CDU und CSU, die kein Interesse daran haben können, mit der AfD eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit einzugehen – erst recht nicht nach deren Radikalisierung.

Koalitionspolitisch könnte das bedeuten, dass der Bundesrepublik „österreichische Verhältnisse“ drohen, indem neben einer großen Koalition in den alten Ländern und auf Bundesebene womöglich nur noch ein schwarz-grünes Bündnis und in den neuen Ländern rot-rot-grüne oder rot-schwarz-grüne Bündnisse mehrheitsfähig sind. 

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