Ambulante Notfallversorgung

Not in der Notaufnahme

Illustration: Notdienstpraxis beim Krankenhaus

Immer mehr Versicherte suchen die Notaufnahmen der Krankenhäuser auf, die eigentlich ausschließlich für schwere Notfälle vorgesehen sind. Oftmals sind den Patienten die ambulanten Notfallstrukturen nicht bekannt, es besteht Unsicherheit über die Schwere der Erkrankung, und teilweise wollen sie auch nicht so lange auf einen Facharzttermin warten müssen. Diese Problematik hat die Politik erkannt und die ambulante Notfallversorgung mit dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) konkretisiert. Dabei sollen Portalpraxen „erste Hilfe“ leisten.

Das Patientenaufkommen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser ist in den letzten Jahren kontinuierlich angestiegen. Einzelne Studien gehen von einer jährlichen Steigerungsrate von bis zu neun Prozent aus. Dabei zeigt sich, dass immer mehr Patienten behandelt werden, die als Selbstvorsteller in die Krankenhäuser kommen und eigentlich im vertragsärztlichen Bereich hätten behandelt werden können. So hat eine Befragung von Krankenhäusern durch die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin aus dem Jahr 2013 ergeben, dass sich etwa 37 Prozent der Patienten eigeninitiativ in den Notaufnahmen der Krankenhäusern vorstellen, wobei lediglich zehn bis 20 Prozent der Patienten lebensbedrohlich erkrankt sind. Dieser Umstand führt nicht nur zu einer Überlastung der stationären Notaufnahmen, sondern auch zu einer hohen Unzufriedenheit bei allen Beteiligten. So müssen Patienten oftmals stundenlang mit Schmerzen in der Notaufnahme ausharren. Die Krankenhäuser klagen vermehrt über eine Verstopfung der Notaufnahmen mit sogenannten „Pflasterpatienten“, die mit „Bagatellerkrankungen“ vorstellig werden und vom Haus- oder Facharzt hätten versorgt werden können. Hier werden unnötig Kapazitäten der Krankenhäuser gebunden.

Wo liegen die Ursachen für eine verstärkte Inanspruchnahme der Notaufnahmen in den Krankenhäusern? Ein Hauptproblem liegt darin, dass den Patienten die ambulanten Notfallstrukturen, wie etwa die Notrufnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), Notdienstpraxen oder der fahrende Bereitschaftsdienst nur wenig bekannt sind. Gerade vielen ausländischen Patienten sind solche Strukturen aus ihren Heimatländern unbekannt. Zudem sind diese ambulanten Angebote nicht überall und zu jeder Tageszeit gleich verfügbar. Darüber hinaus suchen Patienten die Notaufnahmen auch auf, weil sie zu lange auf einen Facharzttermin warten müssen oder sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden und keinen niedergelassen Arzt innerhalb der Sprechstundenzeiten aufsuchen können. Zum Teil besteht aber auch eine ungerechtfertigte Erwartungshaltung der Patienten, dass sie im Krankenhaus „besser“ versorgt würden. Die Politik hat sich diesem Problem mit dem KHSG, das am 1. Januar 2016 in Kraft trat, angenommen. Demzufolge verbleibt der Sicherstellungsauftrag bezüglich der ambulanten Notfallversorgung bei den KVen. Allerdings müssen diese zur Sicherstellung des Notdienstes entweder Notdienstpraxen in oder an Krankenhäusern einrichten oder die Notaufnahmen der Krankenhäuser unmittelbar in den Notdienst einbinden. Damit hat der Gesetzgeber einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Jetzt liegt es an der Selbstverwaltung, die ambulante Notfallversorgung so auszugestalten, dass sie für die Patienten transparent, gut erreichbar und zu jeder Zeit verfügbar ist.

Ein Gutachten des AQUA-Instituts zeigt auf, wie die ambulante Notfallversorgung künftig besser ausgestaltet sein könnte. Es schlägt die Etablierung sogenannter Portalpraxen vor, die grundsätzlich an jedem Krankenhaus eingerichtet werden sollen und damit, nach dem noch zu entwickelnden Notfallstufenkonzept des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA), rund um die Uhr an der Notfallversorgung teilnehmen. Die Portalpraxis setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Sie beinhaltet immer eine gemeinsame „Anlaufstelle“ der KV und der Notaufnahme des Krankenhauses. Hier soll eine einheitliche Triage erfolgen und die Patienten in den richtigen Versorgungspfad (niedergelassener Bereich oder Notaufnahme des Krankenhauses) gewiesen werden. Zudem kann die Portalpraxis auch eine Notdienstpraxis beinhalten, in der die Patienten ambulant behandelt werden können. Diese ist zwar organisatorisch von der Notaufnahme getrennt; räumlich werden Notaufnahme und Notdienstpraxis jedoch häufig zusammenliegen. Ob eine Portalpraxis neben der Anlaufstelle auch eine Notdienstpraxis betreibt, ist von der Versorgungsdichte der Krankenhäuser abhängig und wird im städtischen Bereich naturgemäß anders aussehen als im ländlichen Raum.

Wenn sich ein gehfähiger Patient in die Portalpraxis begibt, kann die Triage in der Anlaufstelle zu folgendem Ergebnis führen: Besteht kein akuter Behandlungsbedarf, wird der Patient an einen niedergelassenen Arzt verwiesen und bekommt von der Anlaufstelle entsprechende Informationen. Ist hingegen ein akuter ambulanter Behandlungsbedarf vorhanden, wird unterschieden, ob der Patient innerhalb oder außerhalb der allgemeinen ärztlichen Sprechstunde vorstellig wird. Innerhalb der Sprechstundenzeit wird er an den niedergelassenen Bereich verwiesen mit entsprechenden Informationen, an wen er sich wenden kann. Tritt der akute ambulante Behandlungsbedarf außerhalb der Sprechstundenzeit auf, wird er unmittelbar in der Notdienstpraxis der KV behandelt. Sofern eine solche nicht vorhanden ist, wird der Patient an eine Notdienstpraxis in einem nahegelegenen Krankenhaus verwiesen bzw. unmittelbar in die Notaufnahme des Krankenhauses geleitet. In Zeiten mit geringer Anzahl ambulanter Notfallpatienten gelangt der Patient ebenfalls unmittelbar in die Notaufnahme. In jedem Fall ist die gemeinsame Anlaufstelle der Portalpraxis ein verlässlicher Anlaufpunkt für die Patienten, diese räumliche Orientierung ist sehr wichtig. Ein Krankenhaus ist verkehrstechnisch gut ausgeschildert, ein noch „unbekannter“ Haus- oder Facharzt ist in der jeweiligen Notfallsituation nur schwer ausfindig zu machen. Portalpraxen müssen eine verlässliche Anlaufstelle für alle gehfähigen Patienten sein, damit diese wissen, an wen sie sich im Notfall wenden können. Daher müssen sie bundesweit und flächendeckend etabliert werden. Die vorhandenen Strukturen in den Notaufnahmen der Krankenhäuser bieten einen guten Anknüpfungspunkt für die Bildung der Notdienstpraxen als Teil der Portalpraxen.

Daneben bleibt die bisherige Struktur der ambulanten Notfallversorgung erhalten. Patienten mit ambulantem Behandlungsbedarf, die nicht gehfähig sind oder keine Portalpraxis aufsuchen möchten, können den ambulanten Fahrdienst der KV in Anspruch nehmen. In diesem Zusammenhang müssen die Patienten auch besser über die verschiedenen Notfallstrukturen informiert werden, damit sie den für sie richtigen Behandlungspfad selbst steuern können. Darüber hinaus ist es sinnvoll, die Rettungsleitstellen der Rettungsdienste und der Leitstellen der KV zusammenzulegen. Hier könnte eine einheitliche Triage erfolgen, wobei der Patient von Anfang an in den für ihn richtigen Versorgungspfad gewiesen wird. Auch dies würde zu einer geringeren Inanspruchnahme der Notaufnahmen in den Krankenhäusern führen.

Neben den Kooperationsvereinbarungen, die die KVen mit den Krankenhäusern treffen müssen, ist auch die Politik weiter gefordert, damit das Portalpraxenkonzept des AQUA-Instituts in Gänze umgesetzt werden kann. Es ist zu überlegen, ob ein Kontrahierungszwang für KV und Krankenhäuser zu regeln ist für den Fall, dass die beiden Akteure keine entsprechenden Kooperationsvereinbarungen eingehen. Es ist erforderlich, dass eine bundesweit vorgegebene Anhaltszahl von Notärzten je 100.000 Einwohner vom G-BA festgelegt wird, um die bundeseinheitliche ambulante Notfallversorgung durch die KV zu garantieren. Hier ist der Gesetzgeber gefordert, einen gesetzlichen Auftrag an den G-BA zu formulieren. Zudem sollte die Politik die Voraussetzungen für eine Zusammenlegung der beiden Rettungsleitstellen schaffen bzw. die Rettungsdienste und KV zur Zusammenarbeit verpflichten.

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