Wahlkampf

Bekannte Themen frisch verpackt

Der Wahlkampf hat längst begonnen. Das merkt man insbesondere in der Gesundheitspolitik. Denn bisher war es Union und SPD in diesem Bereich gelungen, den Koalitionsvertrag aus dem Jahre 2013 weitgehend geräuschlos abzuarbeiten. Doch seit einigen Monaten hakt es. Verhandlungen scheitern immer wieder, Dispute werden öffentlich ausgetragen, selbst vor persönlichen Angriffen schrecken die Gesundheitspolitiker nicht mehr zurück. Parallel zum politischen Alltagsgeschäft wird intensiv an den Wahlprogrammen gearbeitet. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung wird erneut die Frage stehen, ob das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Versicherung noch eine Zukunft hat.

Eine einfache Wiederholung der Parolen vorangegangener Wahlkämpfe wird bei den Wählern nicht mehr ziehen. Zumindest die SPD hat erkannt, dass der  Kampfbegriff der Bürgerversicherung an Glanz verloren hat. Von vielen Wählern wird das Ziel eines einheitlichen Versicherungssystems für die gesamte Bevölkerung zwar grundsätzlich begrüßt, doch sie halten es nicht für realisierbar. „Nur wenn klar ist, wie die Umsetzung erfolgen kann, kann die SPD ein weiteres Mal erfolgreich für sich mit ihrer Bürgerversicherung werben“, stellte die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Hilde Mattheis, kürzlich fest.

Eine Umsetzung in einem Schritt erscheint inzwischen nicht nur den Sozialdemokraten, sondern auch den Grünen für unmöglich. Deshalb wird sich die Diskussion darauf konzentrieren, welche Schritte in welchen Zeiträumen finanziell und verfassungsrechtlich machbar sind. Eine erste Grundlage für diese Debatte lieferte Anfang Januar die Bertelsmann-Stiftung. Sie untersuchte die kontrovers diskutierte Frage, welche Auswirkungen die Einbeziehung der Beamten in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) auf die öffentlichen Haushalte hätte. Das Ergebnis: Schon im ersten Jahr der Umstellung würden Bund und Länder etwa drei Milliarden Euro sparen. Das ist ein wichtiger Hinweis, denn der Umgang mit den Beamten ist Dreh- und Angelpunkt bei der Schaffung eines einheitlichen Versicherungssystems. Schließlich stellen Beamte, Pensionäre und die mitversicherten Familienangehörigen mit einem Anteil von 46 Prozent die größte Gruppe unter den Privatversicherten.

Gleichwohl gibt es nach wie vor erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Bürgerversicherung, die entkräftet werden müssen. So wird unter anderem vom Deutschen Beamtenbund die These vertreten, der Staat verletze seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Staatsdienern, wenn er die Beihilfe abschafft und dafür wie bei Arbeitnehmern einen Arbeitgeberzuschuss zur Krankenversicherung zahlt. Ungeklärt ist zudem, was bei einem Wechsel in die (GKV) mit den gebildeten Alterungsrückstellungen geschieht. Um diese Probleme zu umschiffen, steht eine rasche Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) gar nicht mehr auf der Agenda der Befürworter einer Bürgerversicherung. Sie hoffen vielmehr, bei den Wählern zunächst mit einer Angleichung des Vergütungssystems der Ärzte punkten zu können. Tatsächlich wird es in der Bevölkerung als ungerecht empfunden, wenn Privatversicherte bevorzugt behandelt werden. Dass es für die Ärzte keinen Unterschied mehr machen sollte, ob sie einen Privat- oder einen Kassenpatienten behandeln, ist eine durchaus populäre Forderung, die von der CDU/CSU sowie der FDP als Gegner einer Bürgerversicherung schwer zu kontern ist. Diese Parteien werden sich der Debatte über die Zukunft der PKV ohnehin nicht entziehen können. Die anhaltende Niedrigzinsphase stellt das Modell einer Kapitaldeckung infrage, die Versicherten ächzen unter drastischen Beitragssteigerungen. Deshalb werden hier – unabhängig von der Systemfrage – Reformen nötig sein. 

Im Wahlkampf mit seinen möglichst einfachen Botschaften dürfte ein weiterer Punkt eine wichtige Rolle spielen: Die (Wieder-)Herstellung der Parität bei der Beitragszahlung. Auf Druck der Union hatte die große Koalition den Arbeitgeberbeitrag eingefroren und alle zukünftigen Kostensteigerungen damit allein den Versicherten aufgebürdet. Noch ist der Zusatzbeitrag mit durchschnittlich 1,1 Prozent eine überschaubare Belastung. Doch er dürfte nach Schätzungen in der nächsten Legislaturperiode bereits auf über zwei Prozent steigen. Selbst in der Union gibt es mittlerweile Stimmen, die diese Spreizung für nicht mehr akzeptabel halten. Gut möglich, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hier ihre oft erfolgreich eingesetzte Umarmungsstrategie einsetzt und selbst eine Korrektur in Aussicht stellt.  

Ein weiteres wichtiges Thema wird die Digitalisierung im Gesundheitswesen sein. Sie kommt in Deutschland nur schleppend voran, was in der technikfreundlichen Bevölkerung mit zunehmendem Unverständnis registriert wird. Die elektronische Gesundheitskarte kann nach wie vor kaum mehr als die alte Karte, eine Vernetzung der Leistungserbringer ist auf Insellösungen beschränkt und der Einsatz von Medizin-Apps ist bisher noch eine Ausnahme. Wer hier gute Konzepte für eine Beschleunigung vorlegen kann, wird bei den Wählern punkten können. Es geht um die Telemedizin, die elektronische Patientenakte, um die Förderung innovativer Start-up-Unternehmen oder die sinnvolle Nutzung von Routinedaten für die Versorgungsforschung.   

Ein Problem, das nach wie vor breite Wählerschichten umtreibt, sind die steigenden Haftpflichtprämien für Hebammen. Den Geburtshelfern wurde durch mehrere politische Eingriffe zwar kräftig unter die Arme gegriffen. Doch sie haben große Teile der Öffentlichkeit auf ihrer Seite, wenn es um weitere Hilfen geht. Dem Thema werden sich auch die Parteien nicht entziehen können. Ebenso bleiben die Kliniken im Blickfeld, nachdem die Reform der großen Koalition die Probleme durch mehr Geld eher verdeckte denn löste. Der Abbau von Überkapazitäten, eine bessere Qualität und mehr Druck auf die Länder, ihren Finanzverpflichtungen nachzukommen, bleiben auf der Tagesordnung.  Das gilt auch für den Dauerbrenner Arzneimittelpreise, obwohl – oder besser weil – die große Koalition noch in dieser Wahlperiode hier Veränderungen plant. Aller Voraussicht nach wird sie beschließen, dass die zwischen Krankenkassen und Pharmaindustrie vereinbarten Preise für neue Präparate künftig geheim bleiben. Diese leicht durchschaubare Lobbypolitik bietet gute Angriffsflächen, zum Beispiel für die Grünen und die Linkspartei. 

Nicht zuletzt werden auch die unerledigten Aufgaben der großen Koalition eine Rolle spielen. Bisher konnten sich Union und SPD nicht auf eine Reform der Pflegeausbildung einigen, die den Fachkräftemangel mindern soll. Die SPD ist für die Zusammenlegung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege, Teile der Union sind gegen die Generalistik. Die Kritiker befürchten, dass die Reform den Fachkräftemangel sogar noch verstärkt, da die anspruchsvollere Ausbildung junge Leute mit Hauptschulabschluss ausschließen könnte. Die rechten Parteien werden im Wahlkampf weiter Stimmung gegen die in Deutschland aufgenommenen Flüchtlinge machen und vor einer angeblichen Überforderung des deutschen Gesundheitswesens warnen. Umso wichtiger wird es für die demokratischen Parteien sein, der Hetze Konzepte für eine faire Finanzierung durch den Bundeshaushalt entgegenzusetzen. Denn die Bewältigung der Zuwanderung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht allein den Beitragszahlern aufgebürdet werden. 

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