Prävention und Gesundheitsförderung

Impulsgeber und aktiver Gestalter

Anfang 2016 ist das „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention“ in Kraft getreten. Im Mittelpunkt steht eine nationale Präventionsstrategie, mit der Prävention und Gesundheitsförderung direkt vor Ort im Lebensumfeld der Menschen gestärkt werden sollen. Die Ersatzkassen haben sich gemeinsam auf den Weg gemacht, um wesentliche Inhalte des Gesetzes in die praktisch e Umsetzung zu bringen. Welche neuen Möglichkeiten ergaben sich seitdem in der Ausgestaltung der Prävention und  Gesundheitsförderung für die Ersatzkassen und ihre Versicherten? Welche konkreten Projekte gibt es? Was sind die künftigen Herausforderungen? Ein erstes Resümee.

Nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung hat Prävention einen höheren Stellenwert als je zuvor. Dabei besteht die größte Herausforderung nach wie vor darin, bestimmte Zielgruppen mit Präventionsmaßnahmen möglichst niedrigschwellig zu erreichen. Das Präventionsgesetz hat hier anknüpfend an die bisherige Praxis der Krankenkassen eine gute Richtung vorgegeben: Mit dem sogenannten Lebensweltenansatz sollen Präventionsleistungen Menschen möglichst dort erreichen, wo sie leben, lernen und arbeiten – nämlich in ihren gewohnten Lebenswelten. Dazu zählen z. B. Kindertagesstätten, Schulen, Betriebe, Kommunen und Pflegeeinrichtungen. Zugleich wird ein verstärktes Engagement insbesondere für diejenigen gefordert, die sozial benachteiligt sind und bisher mit  Leistungen der Prävention noch nicht gut erreicht werden konnten. Auch sollen Krankenkassen verstärkt zusammenarbeiten, um für diese Zielgruppen kassenübergreifende Angebote anzubieten und somit sozial bedingte sowie geschlechtsbezogene Ungleichheit von Gesundheitschancen zu verringern.

Die Ersatzkassen bauen ihre Präventionsaktivitäten in den letzten Jahren kontinuierlich aus. Gleichwohl ist zu konstatieren, dass es in Bezug auf die Erreichbarkeit der (sozial) benachteiligten Zielgruppen mit Angeboten der Prävention und Gesundheitsförderung noch Nachholbedarf gibt. Studien belegen, dass insbesondere diese Zielgruppen bis dato solche Angebote zur Gesundheitsförderung und  Prävention weniger bis gar nicht an Anspruch  nehmen. Es gilt daher, Bedingungen zu schaffen, die auch bei diesen Zielgruppen das Gesundheitsverhalten nachhaltig positiv beeinflussen und fördern sowie Krankheitsrisiken reduzieren.

Die Ersatzkassen greifen die Impulse des Präventionsgesetzes auf und entwickeln zusammen Aktivitäten unter dem Dach des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek). Mit diesem gemeinsamen Engagement sollen vorrangig die Menschen erreicht werden, bei denen Angebote der Prävention und Gesundheitsförderung bisher nicht ausreichend angekommen sind. Nachfolgend werden exemplarisch einige gemeinsame Projekte der Ersatzkassen kurz vorgestellt. Sie machen deutlich, dass Krankenkassen auch im wettbewerblichen Umfeld stabile Strukturen eigeninitiativ schaffen, um abgestimmt mit weiteren Partnern und Setting- Verantwortlichen die Gesundheitsförderung in den Lebenswelten zielgerichtet und qualitätsgesichert auszubauen. Die Zielgruppen umfassen unter anderem Migranten, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende sowie pflegebedürftige Menschen in Pflegeeinrichtungen und pflegende Angehörige. Dabei ist stets zu beachten, dass Präventionsmaßnahmen nur dann erfolgreich sein können, wenn Verhaltens- und Verhältnismaßnahmen kombiniert werden. Dabei fördern die Krankenkassen mit ihren Leistungen in Lebenswelten insbesondere den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen (Verhältnisse) und entwickeln Vorschläge zur Verbesserung der gesundheitlichen Situation sowie zur Stärkung der gesundheitlichen Ressourcen und Fähigkeiten und unterstützen deren Umsetzung (Verhalten).

Präventionsangebote auf Augenhöhe  

Es zeigt sich, dass ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Akzeptanz und einen nachhaltigen Transfer von Gesundheitsförderung und Prävention in den Alltag der Menschen deren direkte Beteiligung (Partizipation) darstellt, um so die konkreten Handlungsbedarfe zu erheben und bedarfsgerechte Angebote zu entwickeln. Selbstbestimmt Einfluss auf die Gesundheit zu nehmen, ist eine wichtige Leitidee aller Projekte, die vom vdek im Namen und im Auftrag der Ersatzkassen initiiert werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das von den Ersatzkassen unterstützte Projekt „GESUND!“ der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. GESUND! widmet sich der Gesundheitsförderung von Menschen mit Lernschwierigkeiten. Damit wird eine bisher große Lücke in der Präventions- und Gesundheitsförderungslandschaft geschlossen, da aktuell wenige Angebote dieser Zielrichtung für die Zielgruppe existieren.

Der vom Gesetzgeber geforderte Schulterschluss mit weiteren Krankenkassen und relevanten Akteuren der Gesundheitsförderung erfolgt vorbildhaft bei dem bundesweiten Projekt „Gesund-Bewusst-Aktiv: Gesundheitsförderung für Migrant_innen im Quartier“ gemeinsam mit dem Paritätischen Gesamtverband.

Prävention für pflegebedürftige Menschen stellt ein wichtiges Zukunftsfeld dar. Denn gesundheitsbezogene Lebensqualität, Teilhabe und Autonomie kennen kein Alter. Für pflegebedürftige Menschen ist die Lebenswelt häufig eine stationäre Pflegeeinrichtung. Mit dem Präventionsgesetz werden stationäre Pflegeeinrichtungen nun explizit als Lebenswelt definiert werden und der Auftrag der Pflegekassen zur Erbringung von Leistungen zur Prävention im § 5 SGB XI für Pflegeversicherte ausdrücklich geregelt. Auch in diesem wichtigen Feld engagieren sich die Ersatzkassen, damit auch die Bewohner von Pflegeeinrichtungen möglichst schnell von den Gesetzesänderungen profitieren. So hat der vdek ein umfangreiches Forschungs- und Entwicklungsprojekt mit den Universitäten Halle und Oldenburg initiiert, um bereits bestehende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung in Pflegeeinrichtungen weiterzuentwickeln sowie neue innovative Maßnahmen zu erarbeiten. Ziel ist zudem die Erarbeitung eines wissenschaftlich fundierten Schulungskonzeptes zur Qualifikation von Fachberatern und die Erstellung von Beratungsmaterialien, um qualitätsgesicherte, partizipativ ausgerichtete und nachhaltige Standards zu entwickeln.

Flankiert wird das Ganze von einem bundesweiten Ideenwettbewerb, bei dem innovative und kreative Ideen zur Gesundheitsförderung in der Lebenswelt „stationäre Pflegeeinrichtung“ gefunden und – wenn notwendig – leitfadenorientiert durch ausgewiesene Gesundheitsexperten weiterentwickelt und umgesetzt werden. Mit dem Ideenwettbewerb sollen die Pflegeeinrichtungen auch motiviert werden, sich der Gesundheitsförderung noch offensiver zu widmen. Der Ideenwettbewerb ist im Juni 2017 gestartet. Die eingereichten Ideen werden in einem Kompendium gebündelt und können nach Abschluss des Ideenwettbewerbs von allen Akteuren eingesehen und genutzt werden. Alle sowohl im Ideenwettbewerb als auch mit dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt gewonnenen Erkenntnisse werden selbstverständlich der Praxis, Fachöffentlichkeit und den übrigen Sozialversicherungsträgern kostenfrei zur Verfügung gestellt.

Nicht nur Aufgabe der Krankenkassen

Das Präventionsgesetz hat wichtige Impulse im Versorgungsbereich der Prävention gesetzt: mehr gemeinsame Aktivitäten der Krankenkassen; vulnerable Zielgruppen verstärkt in den Blick nehmen; und noch stärker auf die Lebenswelten der Menschen fokussieren. Die Ersatzkassen schaffen in diesem Sinne gemeinsam neue Präventionsangebote für vulnerable Zielgruppen. Sie nehmen damit ihren versorgungspolitischen Auftrag ernst und investieren die Beitragsgelder der Versicherten in nachhaltige Präventionsangebote. Ein großes Manko des Präventionsgesetzes bleibt aber bestehen: Die Gesetzesstruktur mit der einseitig hohen Gestaltungs- und Finanzverantwortung auf der Seite der gesetzlichen Krankenversicherung wird dem Anspruch, Prävention und Gesundheitsförderung gesamtgesellschaftlich zu verankern, nicht gerecht. Der Erfolg von Prävention und Gesundheitsförderung setzt die Bereitschaft aller Akteure voraus, einen Beitrag gemäß ihrer Zuständigkeit und ihres Know-hows zu leisten und miteinander zu kooperieren. Dazu braucht es an einigen Stellen noch viel Geduld und das Ausloten der Möglichkeiten und Grenzen der beteiligten und zu beteiligenden Partner.

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