Bundestagswahl

Signale aus den Ländern

2017 wird wegen seiner vier Wahlgänge gern als Superwahljahr bezeichnet – und es ist nun schon zur Hälfte vorbei. Zeit also für eine erste Bilanz. Die drei Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen (NRW) haben immerhin schon einige über bloße Landesthemen hinausweisende Erkenntnisse gebracht.

Erstens: Die CDU steht besser da, als viele vorher erwartet haben. Sie ist in allen drei Ländern als stärkste Partei hervorgegangen und wird voraussichtlich in Kiel und Düsseldorf die bisherigen SPD-Ministerpräsidenten ablösen. Zweitens: Den Sozialdemokraten ist umgekehrt der Anlauf auf die entscheidende Wahl, die zum Bundestag im September, gründlich misslungen. Trotz, oder vielleicht sogar auch wegen der großen Euphorie, die der Wechsel an der Parteispitze von Sigmar Gabriel zu Martin Schulz Anfang des Jahres ausgelöst hatte. Drittens: Das in der Vergangenheit schon vielfach prophezeite Ende der Volksparteien ist nicht in Sicht. In allen drei Ländern vereinen CDU und SPD gemeinsam etwa zwei Drittel der Wählerstimmen auf sich. Das Gleiche signalisieren derzeit auch die Umfragen zur Bundestagswahl. Christ- und Sozialdemokraten sind, wie in den fast 70 Jahren der Bundesrepublik zuvor, die bestimmenden politischen Kräfte. Das ist eine in Europa einzigartige Leistung. Viertens: In der Folge schwindet einerseits der Einfluss der kleinen Parteien. Andererseits gewinnen sie ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer wieder, zum Teil auch in  Dreierkonstellationen. Fünftens: Die AfD scheint ihren Zauber des radikalen Neulings auf der politischen Bühne bereits wieder verloren zu haben. Anders als in den Wahlkämpfen 2016 bestimmte sie nicht mehr Themen und Stil der politischen Auseinandersetzung. Sechstens: Die lange anhaltende Tendenz der sinkenden Wahlbeteiligung ist gestoppt, sie hat bei allen Wahlen dieses und des vergangenen Jahres wieder zugenommen. Unter dem Strich zeigt sich das parlamentarische System der Bundesrepublik in diesem Superwahljahr also in einem stabilen, vitalen Zustand. Das ist ein beruhigender und bei einem Blick in andere europäische Länder durchaus nicht selbstverständlicher Befund.  

Was aber bedeutet vor allem die Wahl in NRW, die wegen ihrer 13,5 Millionen Stimmberechtigten gern als kleine Bundestagswahl bezeichnet wird, für den entscheidenden, den nationalen Urnengang im Herbst? Dass vier Monate in der Politik eine lange Zeit sind, ist eine Binsenweisheit, aber deshalb ja nicht falsch. Manches spricht zwar dafür, dass Union und FDP den in NRW gewonnenen Schwung nutzen können. Sollte es ihnen gelingen, in Düsseldorf wieder eine schwarz-gelbe Regierung zu installieren, wenn auch nur mit einer Stimme Mehrheit, könnte das die Liberalen weiter stärken und zu einem Muster für die Wiederauflage dieses klassischen bürgerlichen Bündnisses auch auf Bundesebene werden. Schließlich galt NRW schon früher als ein Labor der politischen Entwicklung in der Bundesrepublik. Hier entstand 1966 die erste sozial-liberale Koalition, der dann ab 1969 für lange Jahre das gleiche Modell auf Bundesebene folgte. 1995 schloss Johannes Rau hier zwar nur zähneknirschend ein rot-grünes Bündnis, das dann aber 1998 zum Vorbild für die Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer wurde. Und auch das Scheitern von Schwarz-Gelb in Düsseldorf 2010 könnte man als Vorboten für das Gleiche auf Bundesebene 2013 verstehen.

Andererseits zeigt gerade das heftige Auf und Ab der Sozialdemokraten in den ersten Monaten dieses Jahres, wie schnell sich politische Stimmungen drehen können. Zwischen dem ersten Hoch der SPD mit Martin Schulz und dem heutigen Tief lagen sogar nur drei Monate. Und der eigentliche Bundestagswahlkampf, in dem Schulz seine Rolle als Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel erst richtig ausspielen wird, hat noch gar nicht begonnen.

Konstellation im Bundesrat

Jenseits demoskopischer und taktischer Befindlichkeiten haben die Wahlen in Schleswig-Holstein und NRW aber ganz reale Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Dem bisher so starken rot-grünen Block gehen immerhin neun Stimmen verloren, wenn die neuen Landesregierungen wie erwartet anders zusammengesetzt sein werden. Das könnte Bedeutung vor allem für die Zeit nach der Bundestagswahl gewinnen, sollte es dann zu einer Ablösung der großen Koalition kommen. Derzeit ist sie noch mit mindestens einer Partei in jeder Landesregierung vertreten und kann so kontroverse  Voten gegen ihre Politik in der Regel abwenden. In Zukunft könnte die Zusammenarbeit zwischen der Länderkammer und einer neuen Mehrheit im Bundestag wieder komplizierter werden, je nachdem, welche Parteien dann an der Bundesregierung beteiligt sein werden. Immerhin haben CDU und FDP nach ersten Konsultationen in Düsseldorf bereits angekündigt, NRW werde unter ihrer Regierung für die Einstufung von Algerien, Marokko und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten stimmen. Mit diesem Plan, der Konsequenzen für den Umgang mit abgelehnten Flüchtlingen aus diesen Ländern hätte, konnte sogar die große Koalition sich nicht durchsetzen. Die rot-grünen Landesregierungen lehnten ihn auf Druck der Grünen stets ab. Eine Mehrheit für eine solche Einstufung wäre zwar auch mit der Unterstützung aus Düsseldorf noch nicht gegeben. Völlig offen ist auch, wie sich eine mögliche Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen in Schleswig-Holstein in dieser Frage verhalten würde.  

Es ist aber bereits absehbar, dass die Debatten und Abstimmungen im Bundesrat wieder interessanter werden und der Einfluss der Länderkammer steigen wird. Und der Vermittlungsausschuss, der in den vergangenen Jahren kaum einmal getagt hat, wird aus seinem Dornröschenschlaf erwachen. Manche nennen ihn wegen seiner Beratungen hinter verschlossenen Türen die Dunkelkammer der Demokratie. Andererseits ist er die Werkstatt, in der die große Kunst des politischen Kompromisses gepflegt wird.

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