Ausblick

Zwischen Zusatzbeitrag und Finanzausgleich

Nach der Bundestagswahl stehen die Zeichen auf Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen. Zugleich gibt es im Gesundheitssystem weiterhin Baustellen, die in der neuen Legislaturperiode angegangen werden müssen. Doch eine Jamaika-Koalition wird sich kaum zu grundlegenden Reformen aufraffen können.

Was wäre gewesen, wenn die Bundestagswahl wie die des Jahres 2013 zu einer rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag geführt hätte? Anders als vor vier Jahren hätte es gute Chancen für eine entsprechende Koalition unter Führung eines Kanzlers Martin Schulz gegeben. Das deutsche Gesundheitssystem hätte vor umwälzenden Reformen gestanden. Denn SPD, Grüne und Linke sind dafür, das weltweit nur in Deutschland bestehende Privileg einer privaten Krankenversicherung (PKV) für Selbstständige, Beamte und Besserverdiener in einer Bürgerversicherung für alle aufgehen zu lassen.

Doch nun wird es wahrscheinlich eine Jamaika-Koalition werden. Die grundlegenden Vorstellungen von Union, FDP und den Grünen über die ideale Gestalt eines funktionierenden und sozial gerechten Gesundheitssystems sind aber so unterschiedlich, dass schon deshalb in dieser Konstellation mit grundlegenden Reformen nicht zu rechnen ist. Zu erwarten ist eher ein „Muddling-Through“, das dem Politikstil früherer Merkel-Regierungen ohnehin sehr entgegen kommt. Hinzu kommt, dass die gute ökonomische Entwicklung noch einige Zeit für eine stabile Finanzlage der Krankenkassen sorgen wird. Der finanzielle Reformdruck, Hauptmotor früherer Reformen, wird sich also vorerst in Grenzen halten.

Allerdings werden die Grünen, schon um die Parteibasis nicht zu vergraulen, zumindest das Thema Zusatzbeitrag auf die Tagesordnung setzen. Denn die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung zählt zu den zehn wichtigsten Wahlversprechen der Partei. Verbündete gibt es in dieser Frage zumindest auf dem Arbeitnehmerflügel der Union.

Ob über die Zukunft der PKV verhandelt werden wird, hängt auch von der FDP ab. Sie hat sich in ihr Wahlprogramm eine Öffnung der PKV für alle Bürger geschrieben. Das könnte ein Anknüpfungspunkt für eine Debatte über eine Integration von privater und gesetzlicher Krankenversicherung (GKV) ohne das Etikett Bürgerversicherung sein. Doch wenn es zum Schwur kommt, dürfte die FDP sich hier eher auf die Seite der Union  schlagen, die das Thema PKV wie bei den Verhandlungen vor vier Jahren am liebsten völlig außen vorhalten will. Denkbar ist allenfalls, dass Beamten und Selbstständigen in Zukunft der Zugang zur GKV erleichtert wird. Sie können sich zwar schon heute gesetzlich versichern, aber nur zu prohibitiv hohen Beiträgen.

Einige Themen drängen, die - egal welche der drei Parteien den Gesundheitsminister stellen wird - auf der Tagesordnung mit Blick auf das Gesundheitssystem landen werden.

Ganz oben auf der Liste steht eine Überarbeitung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA). Seit 2009 mehrfach angepasst hat er zu einer Teilung des Krankenkassenmarkts in Kassen geführt, bei denen die Zuweisungen aus dem Fonds die anfallenden Behandlungskosten regelmäßig nicht decken, und Kassen, die regelhaft mehr erhalten als sie brauchen. Handlungsoptionen soll hier ein von der alten Regierung in Auftrag gegebenes Gutachten erst zum Jahresende aufzeigen. Es könnte deshalb sein, dass im Koalitionsvertrag zu diesem Thema nur unverbindliche Absichtserklärungen formuliert werden. Dabei wäre es dringend erforderlich, vor allem die Strategieanfälligkeit des derzeitigen Finanzierungssystems Gesundheitsfonds zum Thema zu machen. Hier in der Vergangenheit bekannt gewordene Manipulationen fanden vor allem bei Krankenkassen statt, die der Landesaufsicht unterliegen. Diese kontrolliert die Einhaltung der Gesetze erwiesenermaßen oft laxer als die Bundesaufsicht durch das Bundesversicherungsamt. Die Monopolkommission hat dies bereits heftig als wettbewerbsverzerrend kritisiert.

Auch der Krankenhaussektor harrt einer weiteren Reform. Die große Klinikreform hat die versprochene Neuordnung der Krankenhauslandschaft entlang der Qualität nur in Ansätzen erreicht. Gleichzeitig sorgte sie aber dafür, dass der Krankenhaussektor höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erhält und damit bestehende Überkapazitäten am Leben gehalten werden. Versichertengelder fließen in wachsendem Umfang in Krankenhausinvestitionen, die eigentlich die Länder aus Steuermitteln zahlen müssten. Das System der dualen Klinikfinanzierung gehört deshalb auf die Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen.

Wachsenden Handlungsbedarf gibt es auch beim Thema Arzneimittel. Hier hat die letzte durchgreifende Reform ein FDP-Gesundheitsminister zu verantworten. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), das erstmals Preisverhandlungen für neue Medikamente in Deutschland einführte, wurde verwässert und konnte auch deshalb nicht verhindern, dass es in den vergangenen Jahren zu einem massiven Preisschub bei neuen Medikamenten gekommen ist. Gleichzeitig wurde das generische Marktsegment durch die Rabattverträge der Kassen immer günstiger. Die Herstellung solcher Medikamente findet inzwischen vor allem in Niedriglohnländern statt. Lieferengpässe und Qualitätsprobleme sind möglicherweise darauf zurückzuführen. Auch hier muss die neue Koalition Antworten geben.

Last not but least: Mit ihrer Parole von einem Deutschland, in dem wir gut und gerne leben, hat die Union versucht, den Wählern weis zu machen, weil die Wirtschaft wächst und die Arbeitslosenrate sinkt, sei alles in Butter. Das ist gründlich schief gegangen. Die über 90 AfD-Abgeordneten im Bundestag wurden vor allem von Bürgern gewählt, die das anders sehen. Viele fühlen sich sozial abgehängt und vom Staat im Stich gelassen. In der Union möchte man deshalb auch neue sozialpolitische Akzente setzen. Neben Rente und Altersversorgung dürfte es dabei vor allem um Pflege und Pflegekräftemangel gehen. Ein Thema muss dabei das im Sommer auf den letzten Drücker verabschiedete Pflegeberufegesetz sein. Es sieht eine generalisierte Ausbildung zum Pflegeberuf vor, die vor allem zu einer Aufwertung der Altenpflege führen soll. Das Gesetz ist verabschiedet. Die für die Umsetzung entscheidende Verordnung aber muss der neue Bundestag auf den Weg bringen. Ohne klare Festlegungen im Koalitionsvertrag droht eine Wiederauflage der Konflikte aus der vergangenen Legislaturperiode, an denen das Gesetz fast gescheitert wäre.

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