Krankenpflege

Neuer Weg bei der Vergütung

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Patienten, Angehörige und im Pflegedienst der Krankenhäuser Beschäftigte beklagen seit Langem die unzureichende Personalbesetzung im Pflegedienst. Die Politik versucht nunmehr eine Lösung herbeizuführen, indem sie die Pflege aus den Diagnosis Related Groups (DRG) herausnehmen will, um diese besser und unabhängig zu vergüten. Die Pflegepersonalkostenvergütung soll auf Grundlage der von den Krankenhäusern geplanten und nachgewiesenen Pflegepersonalausstattung und der entsprechenden Kosten vereinbart werden. Die Eckpunkte der Bundesregierung eines Sofortprogramms Kranken- und Altenpflege verkennen Ursache und Wirkung des Pflegepersonalproblems in den Krankenhäusern.

Die gesetzliche und die private Krankenversicherung (GKV und PKV) zahlen mittlerweile pro Jahr 77 Milliarden Euro für die Krankenhausbehandlung. Etwa 20 Prozent der Erlöse sind für den Pflegedienst vorgesehen. Die tatsächlichen Kosten der Krankenhäuser, die für die Beschäftigten in der Pflege aufgewendet werden, liegen mindestens zehn Prozent darunter.

Der durchschnittliche Erlös einer Krankenhausbehandlung ergibt sich aus dem Bundesbasisfallwert. Dieser liegt 2018 bei 3.467,30 Euro. Die Bezugsgröße aus der Kalkulation des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) liegt hingegen bei 2.967,62 Euro. Die Bezugsgröße spiegelt die Kostensituation der Kalkulations-Krankenhäuser wider. Das Kalkulationsverfahren setzt sich aus etwa 250 freiwilligen und zusätzlich 40 Krankenhäusern zusammen, die im Rahmen einer Stichprobenprüfung gezogen worden sind. Generell gilt, dass private Krankenhausträger deutlich unterrepräsentiert sind, da sie bislang am freiwilligen Verfahren nicht beteiligt waren. Diese haben grundsätzlich aufgrund ihres höheren Spezialisierungsgrades günstigere Kostenstrukturen.

Von 2005 bis 2018 ist die Bezugsgröße um 0,24 Prozent gesunken. 13 Jahre hat es faktisch keine Kostensteigerungen im Krankenhausbereich gegeben. Dies konnte unter anderem dadurch erreicht werden, dass an der größten Kostenart im Krankenhaus, dem Pflegedienst, kräftig gespart worden ist. Die Fallzahl der Krankenhäuser ist von 2004 bis 2017 um 14,21 Prozent gestiegen. Freie Krankenhauskapazitäten ergaben sich durch eine deutliche Verringerung der Verweildauer. Vor Einführung der fallbezogenen DRG-Vergütung lag die durchschnittliche Verweildauer bei etwa zwölf Tagen; heute liegt sie bei unter sieben Tagen. Die fallbezogene Vergütung hatte hierzu entsprechende Anreize geliefert. Nur die Entwicklung der  Zahl der beschäftigten Ärzte hat der Leistungsmengensteigerung einerseits und der Leistungsverdichtung andererseits standgehalten; nicht aber die des Pflegedienstes.

Mittlerweile liegt die Investitionsförderquote der Länder gemessen an den Gesamtkosten der Krankenhäuser bei 3,3 Prozent. Die reale Investitionsquote der Krankenhäuser  liegt aber bei etwa 7,3 Prozent. Diese Werte ergeben sich aus dem InEK-Kalkulationsverfahren für die Investitionsbewertungsrelationen. Die Zahlen machen deutlich, dass es eine schleichende monistische Finanzierung gibt. Die Probleme im Pflegedienst ergeben sich aus dem Personalabbau, der von den Krankenhausträgern zu verantworten ist, um beispielsweise Investitionslücken zu schließen. Die Wahlleistungserlöse der Krankenhäuser, etwa für Ein- oder Zweibettzimmerzuschläge, reichen hierfür bei Weitem nicht aus. Ein Finanzierungsproblem für den Pflegedienst über die DRG-Finanzierung gibt es nicht; ganz im Gegenteil. Es gibt eine deutliche Überfinanzierung, die noch den Fehlanreiz ein weiteren Mengensteigerung bietet. Die Pflege wird jährlich durch diverse Programme mit mehr als einer Milliarde Euro zusätzlich gestützt. All dies konnte jedoch nicht dazu beitragen, dass maßgeblich mehr Pflegekräfte  in den Krankenhäusern eingestellt worden sind.

Die gute konjunkturelle Lage und der demografische Wandel führen zu Fachkräftemangel auch bei den Pflegekräften. Darüber hinaus sind viele Pflegekräfte in den letzten Jahren in Bereiche abgewandert, in denen die Arbeitsbedingungen besser und die Arbeitsbelastungen geringer waren. Auch die angestiegene Teilzeitquote unter den Pflegekräften geht auf diese Entwicklung zurück. Ein weiteres Problem ist, dass die Zahl der Auszubildenden nicht dem Bedarf an Pflegekräften Stand halten konnte. Die Pflegeausbildung ist vernachlässigt worden.

Die Situation am Pflegearbeitsmarkt hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber Personaluntergrenzen (PPUG) vorgesehen hat. PPUG definieren kritische Grenzen. Wenn eine Personalbesetzung an dieser Grenze nicht mehr erreicht wird, liegt eine vermeintliche Patientengefährdung vor. Die aus der Vergangenheit bekannten Personalanhaltszahlen schreiben hingegen Sollbedarfe fest.   

In der Zukunft ist es aufgrund des demografischen Wandels am Arbeits- und Gesundheitsmarkt nahezu unmöglich, Sollbedarfe bundesweit zu erfüllen. Selbst eine bundesweite Umsetzung der PPUG wird nicht ohne einen Konzentrationsprozess in der Krankenhauslandschaft möglich sein. Die Zahl der Krankenhäuser bzw. Krankenhausstandorte müssen sich erheblich verringern. Das bedeutet nicht, dass die Kapazitäten und Ressourcen sich verringern müssen. Vielmehr müssen diese auf weniger Standorte verteilt werden. Dies erhöht die Wirtschaftlichkeit und Qualität der stationären Versorgung.

PPUG in pflegesensitiven Bereichen einzuführen, war ein erster Schritt des Gesetzgebers, die Pflegesituation in deutschen Krankenhäusern zu verbessern und indirekt Pflegeerlöse auch tatsächlich beim Patienten ankommen zu lassen. Die Ausweitung der Untergrenzen auf alle bettenführenden Abteilungen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart und in den Eckpunkten vorgesehen, ist ein weiterer notwendiger Schritt, um die Pflege aufzuwerten.

Der Plan, ein zweites paralleles Entgeltsystem für die Pflegefinanzierung aufzubauen, birgt diverse Gefahren in sich. Einerseits  kehrt man zur Kostenerstattung zurück, insbesondere da die Pflegedienstkosten aus den Landesbasisfallwerten herausgerechnet werden sollen. Das Problematische ist dabei, dass eine Leistung zum Teil über einen Preis und der restliche Teil über Kostenerstattung vergütet werden soll. Dies schafft andererseits die Möglichkeit von Verschiebebahnhöfen. Alle Tätigkeiten, die vom Pflegepersonal in den letzten Jahren ausgegliedert wurden, werden künftig formal wieder von Pflegekräften erbracht, ohne dass ein Mehrwert für die Versorgung der Patienten entsteht. Ausgelagerte, als Sachkosten geführte Pflegekräfte werden durch entsprechende Prämien zurückgeholt. Derzeit ist noch nicht abzusehen, ob die Pflegepersonalkosten tages- oder fallbezogen abgerechnet werden sollen. Eine tagesbezogene Vergütung würde zu einem erheblichen verwaltungstechnischen Mehraufwand führen. Die Abrechnungsprüfung der Krankenkassen muss zwangsläufig dann auch eine Prüfung der Verweildauer fokussieren und es steigen MDK-Prüfnotwendigkeiten. Dies  bindet gleichzeitig Ressourcen in den Krankenhäusern. Zusätzlicher Dokumentations-, Prüf- und Kontrollaufwand müssen aber ausgeschlossen werden.

Das Problem für den Pflegedienst ist nicht, dass zu wenig Mittel von den Krankenkassen bereitgestellt wurden, sondern dass die Krankenhäuser die geflossenen Mittel für den Pflegedienst nicht bereitgestellt haben. Deshalb muss eine Lösung gefunden werden, die an die Ursache des Problems und nicht an die Symptome des Problems geht. Fehlende Transparenz im Pflegedienst und in der Öffentlichkeit über Mittelzufuhr und Mittelabfluss für den Pflegedienst muss also behoben werden, damit die Pflegekosten tatsächlich besser vergütet werden. Das heißt, die Pflegeerlöse müssen nicht nur beim Krankenhausträger, sondern beim Pflegedienst ankommen.

Lösungsoptionen

Ein sinnvoller Weg, die Pflegesituation tatsächlich zu verbessern, liegt darin, die Relativgewichte für die Pflege gesondert auszuweisen und abzurechnen. Der DRG-Katalog sollte um eine Spalte ergänzt werden, in der Bewertungsrelationen für die Pflege je DRG ausgewiesen werden. Die Rechnungen der Krankenhäuser und die Zahlungen der Krankenkassen müssen separat aufgeteilt werden. Krankenhausträger sollten verpflichtet wer- den, den Personalvertretungen und der Pflegedienstleitung jährlich eine Aufstellung über die vereinnahmten Pflegeerlöse zukommen zu lassen. Die Pflege in den Krankenhäusern kann so Kenntnis erhalten, welche Mittel für die Pflege den Krankenhäusern zufließen und welche Mittel vom Krankenhausträger für den Pflegedienst bereitgestellt werden. Darüber hinaus sollten Kennzahlen beispielsweise in den Qualitätsberichten verpflichtend werden, die das Verhältnis der Zahl der Pflegekräfte zu den Erlösen wiedergeben. Nur über interne und externe Transparenz kann die bestehende Kluft zwischen Mittelzufluss und -bereitstellung beseitigt werden.

Die Eckpunkte der Bundesregierung  sehen vor, das von den Krankenhausträgern verursachte Pflegepersonalproblem durch die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips für mehr als 20 Prozent der Krankenhausbetriebskosten lösen zu wollen. Dies ist der denkbar schlechteste Weg, dem Problem in der Krankenpflege zu begegnen. Ein und dieselbe Leistung wird einerseits nach einem DRG-Entgelt und andererseits nach individuellen Kosten vergütet. Die Krankenhausträger, die für die Misere in der Krankenpflege mitverantwortlich sind, kassieren ein zweites Mal, da die Kontrollmöglichkeiten der Krankenkassen an Grenzen stoßen und der kalkulatorischen Fantasie der Krankenhausträger unterlegen sein werden. Die Länder, die aufgrund ihres Förderverhaltens maßgeblich mitverantwortlich sind, bleiben erneut verschont. Die Zeche zahlen Beitragszahler,  Patienten und wahrscheinlich weiterhin die Pflegekräfte.

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