GKV-VEG

Rückkehr zur paritätischen Finanzierung

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Das Bundeskabinett hat am 6. Juni 2018 den vom Bundesministerium für   Gesundheit (BMG) vorgelegten Entwurf eines GKV-Versichertenentlastungsgesetzes – GKV-VEG – verabschiedet. Der Entwurf zielt darauf ab, dass die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von Arbeitgebern und Versicherten paritätisch getragen und die Beitragsbelastung der Selbstständigen mit geringem Einkommen spürbar gesenkt werden. Außerdem sollen Beitragsschulden aus ungeklärten Mitgliedschaftsverhältnissen  bereinigt werden und ein Teil der Überschüsse und Finanzreserven der Krankenkassen, die aus Beitragsmitteln erzielt wurden, den Beitragszahlern wieder zugutekommen. Sie sollen für Beitragssenkungen und Leistungsverbesserungen genutzt werden. Das soll zu einer Beitragsentlastung der Versicherten von rund acht Milliarden Euro jährlich führen.

Die Einführung der paritätischen Finanzierung und die Absenkung der Beitragsbelastung für Selbstständige mit geringem Einkommen sind Vorhaben, auf die sich die Regierung bereits im Koalitionsvertrag geeinigt hatte. Mit den geplanten gesetzlichen Regelungen zum Abschmelzen der Rücklagen bei den Kassen und mit der Einführung einer Obergrenze der Liquiditätsreserve beim Gesundheitsfonds geht der Gesetzentwurf über die Vereinbarungen des Koalitionsvertrages hinaus. Ebenso verhält es sich mit dem Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Beitragsschulden. Der in den letzten Jahren überproportionale Anstieg der Beitragsschulden bei den Krankenkassen ist laut BMG weitgehend auf Fälle ungeklärter Mitgliedschaften zurückzuführen. Daher werden im Gesetzentwurf die Voraussetzungen zur Beendigung für freiwillige Mitgliedschaften in der sogenannten obligatorischen Anschlussversicherung geschaffen, wenn der Verbleib von Mitgliedern ungeklärt ist. Zudem werden flexiblere Möglichkeiten für die Beitragsfestsetzung bei fehlender Mitwirkung der Versicherten im Entwurf vorgesehen. Zur Reduzierung bereits bestehender Beitragsschulden sollen die Krankenkassen ihre Mitgliederbestände um „ungeklärte passive“ Mitgliedschaften und damit verbundene Beitragsschulden bereinigen. Die für die aufzuhebenden Mitgliedschaften erhaltenen Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds müssen zurückgezahlt werden.

Der nun vom Bundeskabinett verabschiedete Gesetzentwurf wurde als besonders eilbedürftige Vorlage an den Bundesrat weitergeleitet. Nun haben die Länder Gelegenheit, zu dem Entwurf Stellung zu nehmen. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzentwurf den Bundestag erst kurz vor der parlamentarischen Sommerpause erreicht. Verabschieden wird der Bundestag den Entwurf aller Voraussicht nach im Herbst. In Kraft treten soll das Gesetz nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt, mit Ausnahme der Regelungen zur paritätischen Finanzierung, die für den 1. Januar 2019 geplant sind.

Paritätische Finanzierung

Im Zentrum des GKV-VEG steht die Wiedereinführung der paritätischen Finanzierung der GKV zum 1. Januar 2019. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Beiträge zur GKV in gleichem Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten bzw. Rentenversicherung und Rentnern getragen werden. Der bisherige ausschließlich durch die GKV-Mitglieder zu tragende Zusatzbeitrag soll damit gleichfalls paritätisch finanziert werden. Im Durchschnitt werden die Mitglieder in den gesetzlichen Krankenkassen um 0,5 Beitragssatzpunkte entlastet. Arbeitgeber und Rentenversicherungsträger werden in gleicher Höhe belastet. Die Umsetzung lässt die bestehende Finanzarchitektur der GKV weitestgehend unberührt. Der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) begrüßt die Entlastungen der GKV-Mitglieder. Positiv ist auch, dass die Arbeitgeber wieder stärker in die Verantwortung für Kostensteigerungen in der GKV, zum Beispiel durch den medizinischen Fortschritt, eingebunden werden.

Mindestbemessungsgrundlage für Selbstständige

Hauptberuflich Selbstständige zahlen ihre Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung gegenwärtig auf Basis der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Diese wird anhand der von der Bundesregierung jährlich angepassten Bezugsgröße bestimmt. Der Mindestbeitrag entspricht dem 40. Teil dieser Bezugsgröße. Da viele Kleinunternehmer damit finanziell überfordert sind, wird der Mindestbeitrag mit dem VEG auf den 80. Teil der Bezugsgröße halbiert. Das entspricht im Jahr 2018 einer Mindestbeitragsbemessungsgrundlage von monatlich 1.142 Euro (anstatt 2.284 Euro), was einen durchschnittlichen Mindestbeitrag von monatlich 171 Euro bedeutet. Mit der Absenkung der Mindestbemessungsgrundlage entfallen zukünftig auch Prüfnotwendigkeiten bei den Kassen und damit Verwaltungsaufwände. Denn die bisherige Regelung, wonach für Existenzgründer ein niedrigerer Beitrag erhoben werden kann, entfällt im Zuge der Neuregelung. Ebenso entfällt die besondere Prüfung wegen einer Hilfebedürftigkeit des hauptberuflich selbstständig Tätigen. Der vdek befürwortet die Maßnahme als richtigen Schritt. Die Entlastung der Selbstständigen mit geringen Einnahmen wird im Kontext der weiteren Regelungen zur Reduzierung der Beitragsschulden dazu beitragen, dass ein weiterer Anstieg des Beitragsschuldenbergs  gebremst wird.

Finanzreserven der Krankenkassen und Rücklagen des Gesundheitsfonds

Die Finanzreserven des Gesundheitsfonds sollen durch das GKV-VEG abgesenkt werden. Dazu wird eine Obergrenze der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds eingeführt. Diese soll bei 50 Prozent einer durchschnittlichen Monatsausgabe der  KV liegen und würde damit etwa 9,5 Milliarden Euro betragen. Darüber hinausgehende Mittel sollen jährlich in die Einnahmen des Gesundheitsfonds überführt werden und stünden so den Krankenkassen für die Versorgung der GKV-Versicherten zur Verfügung. Die Ersatzkassen begrüßen die Einführung einer Obergrenze bei der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds. Dies fordern die Ersatzkassen bereits seit Jahren. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, Beitragsentlastungen herbeizuführen. Krankenkassen, die über hohe Rücklagen verfügen, werden verpflichtet, diese systematisch abzuschmelzen. Dazu werden die Obergrenzen für Rücklagen und Betriebsmittel im SGB V zusammengeführt und abgesenkt. Künftig darf die Finanzreserve einer Krankenkasse das Einfache einer durchschnittlichen Monatsausgabe nicht mehr übersteigen. Darüber hinausgehende Mittel sind über eine Senkung des Zusatzbeitragssatzes abzuschmelzen. Dafür steht ein Zeitraum von drei  Jahren, im Einzelfall und unter besonderen Voraussetzungen auch von fünf Jahren, zur Verfügung. Ist ein Abschmelzen der  Rücklagen auch in fünf Jahren nicht möglich, sind die verbleibenden Überschüsse an den Gesundheitsfonds abzuführen. Die Regelungen sollen frühestens zum 1. Januar 2020 in Kraft trete  und sind zwingend mit einer gesetzlichen Fortentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) verbunden, die laut Gesetzentwurf bis zum 31. Dezember 2019 erfolgen soll. Dies hatten auch die Ersatzkassen gefordert, damit die mit dem Abschmelzen der Rücklagen verbundenen Wettbewerbsverzerrungen abgemildert werden können.

Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Beitragsschulden

Mit dem im Gesetz geplanten Maßnahmenpaket zur Reduzierung der Beitragsschulden will der Gesetzgeber auf die sehr hohen Beitragsrückstände reagieren. Diese belaufen sich gegenwärtig auf über sieben Milliarden Euro. Die Maßnahmen sehen vor, dass eine Versicherung über die obligatorische Anschlussversicherung (oAV) nur erfolgen kann, wenn der Aufenthalt der betreffenden Person im Geltungsbereich des Gesetzes auch geklärt ist. Darüber hinaus sind freiwillige Mitgliedschaften zu beenden, wenn die Personen für die Krankenkasse nicht auffindbar sind. Dies soll dazu beitragen, ungerechtfertigte Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds für Versicherte, die keinerlei Leistungen in Anspruch nehmen und keine Beiträge entrichten, zu verhindern. In den vergangenen Jahren ist dieses Phänomen am Beispiel der „Saisonarbeitnehmer“ deutlich geworden. Der Gesetzentwurf enthält nun ergänzende Regelungen, mit denen zu Unrecht bezogene Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds rückwirkend korrigiert werden sollen. Um die Beitragsschulden weiter zu reduzieren, müssen die Krankenkassen ihre Mitgliederbestände um solche „ungeklärten passiven Mitgliedschaften“ rückwirkend ab 1. August 2013 bereinigen. Der vdek begrüßt die geplanten Regelungen ausdrücklich und betont, dass eine Bereinigung nicht nur der derzeit noch laufenden Versicherungsverhältnisse erforderlich ist, sondern eine rückwirkende Bereinigung aller entsprechenden Versichertenbestände ab dem 1. August 2013 erfolgen muss, inklusive bereits aus anderem Grund beendeten „passiven“ Mitgliedschaften. Nur so kann sichergestellt werden, dass nicht nur die aufgelaufenen Beitragsschulden vollständig bereinigt werden, sondern auch eine Korrektur zu Unrecht erfolgter Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds erfolgt.

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